Berlin (dpa)

Pro und contra: Bundestag berät über allgemeine Impfpflicht

| 26.01.2022 05:34 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Mindestens 50,8 Prozent aller Menschen in Deutschland sind bereits „geboostert“. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
Mindestens 50,8 Prozent aller Menschen in Deutschland sind bereits „geboostert“. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
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Impfpflicht oder keine Impfpflicht - diese Frage erhitzt die Gemüter. Und der Bundestag ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, wie sich in der Orientierungsdebatte zeigt.

Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht im Kampf gegen die Corona-Pandemie ist im Bundestag hoch umstritten. In einer ersten ausführlichen Debatte über diese gesellschaftlich brisante Frage prallten am Mittwoch die Meinungen von Befürwortern und Gegnern aufeinander.

Prominente Befürworter wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sahen darin den einzigen Weg zum Überwinden der Pandemie. Gegner wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki oder Gregor Gysi von der Linken hielten eine Impfpflicht dagegen für untauglich, unverhältnismäßig und gefährlich für das Vertrauen in die Demokratie. In der leidenschaftlich, aber weitgehend sachlich geführten Debatte lehnte nur die AfD eine Impfpflicht generell ab.

Lauterbach warb eindringlich für das Impfen und warnte davor, die Frage einer Impfpflicht jetzt nicht zu klären. Eine Umsetzung dauere mindestens fünf bis sechs Monate. „Wenn wir die Impfpflicht jetzt beschließen und dann umsetzen, dann sind wir im Herbst gerüstet. Wenn wir das Problem vor uns wegschieben, dann wird das Problem in voller Stärke zurückkommen.“ Dies könne man Kindern, Pflegekräften, Ärzten und gefährdeten Menschen nicht weiter zumuten. „Wir müssen handeln.“ Ohne Impfung werde man „nicht zurückkommen zu dem Leben, was wir geliebt und geschätzt haben“.

Auch Impfpflichtgegner wie Kubicki bekannten sich ausdrücklich zum Impfen. „Es gibt gute Gründe für eine Impfung, die für eine Impfpflicht überzeugen mich nicht“, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende. Es gehe bei der Debatte im Kern auch um den Minderheitenschutz, der durch eine Impfpflicht berührt würde. „Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Mehrheit für die Minderheit festlegt, was man als vernünftig anzusehen hat, und was man nach Mehrheitsmeinung tun muss, um solidarisch zu sein.“

Der Orientierungsdebatte lag kein konkreter Gesetzentwurf zugrunde. Bislang zeichnen sich drei Modelle ab: eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, eine Impfpflicht ab 50 Jahren und der Verzicht auf eine Impfpflicht. Diese bezieht sich ausschließlich auf das Coronavirus.

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt, plädierte für die Impfpflicht ab 18. „Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung und auch als weitere Einschränkungen, die vor allem Kinder und Jugendliche, aber viele andere mehr treffen mit harten Folgen.“ Man könne die Pandemie auch einfach laufen lassen, sagte Schmidt. „Das führt irgendwann zu einer Grundimmunität. Vorher aber führt es zu vielen Toten, Kranken und Long-Covid-Patienten.“

Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther argumentierte ähnlich: „Impfen ist der Weg aus der Pandemie.“ Der Linke-Abgeordnete Gysi warnte dagegen vor einer Vertiefung der Spaltung der Gesellschaft. „Weil Impfen wichtig ist, müssen wir einen anderen Weg gehen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!“ Statt einer Impfpflicht benötige man deutlich mehr Vertrauen. „Sonst wird die Demokratie immer mehr Schaden nehmen.“ Der FDP-Politiker Andrew Ullmann plädierte für verpflichtende Aufklärungsgespräche für Impfskeptiker.

Bundesjustizminister Marco Buschmann plädierte dafür, vor einer Entscheidung über eine allgemeine Impfpflicht zunächst alle milderen Alternativen zu prüfen. „Ich traue mir da heute keine abschließende Meinung zu“, sagte er als FDP-Bundestagsabgeordneter. Es sei auch denkbar, dass sich die Frage durch wirksame Medikamente erledige.

Die Abgeordneten der CDU/CSU hielten sich deutlich mit einer eigenen Positionierung zurück. Sie kritisierten vor allem vehement, dass die Ampel-Regierung keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Die Vize-Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) sprach von „Arbeitsverweigerung“ und monierte: „Die Ampel ist in der Frage der Impfpflicht führungs- und orientierungslos.“ Die geplante Vielzahl von unterschiedlichen Anträgen im Parlament zeichne ein Bild der Planlosigkeit und führe zu Verunsicherung in der Bevölkerung.

Der CDU-Abgeordnete Tino Sorge warf Gesundheitsminister Lauterbach ein Versteckspiel vor. Er habe sich geweigert, einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten, auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) gebe keine Richtung vor. „Man spielt so lange Verstecken und hofft, dass irgendjemand ein Konzept zur Impfpflicht vorlegt, wenn man nur lange genug darauf wartet.“ Die Unionsabgeordneten forderten das Anlegen eines Impfregisters.

Die AfD lehnte eine Impfpflicht sowohl für einzelne Berufsgruppen wie auch allgemein „vollständig“ ab. Fraktionschef Tino Chrupalla sagte, man sei an einem Punkt angelangt, an dem Impfstoffe schon fast eine religiöse Stellung erhielten. „Wer nicht glaubt und von seinem Grundrecht auf Selbstbestimmung gebraucht macht, ist automatisch ausgeschlossen.“ Die zweite Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warnte: „Wenn der Staat sich anmaßt, über die Körper seiner Bürger zu entscheiden, ist das ein elementarer Zivilisationsbruch.“ Es gebe für eine Impfpflicht keine Rechtfertigung: „weder medizinisch, noch ethisch noch juristisch“. Man müsse mit dem Virus leben.

© dpa-infocom, dpa:220126-99-851857/17

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