Konstituierende Sitzung Showdown in Thüringen - Wer wird Landtagspräsident?

Simone Rothe und Stefan Hantzschmann, dpa
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Von Simone Rothe und Stefan Hantzschmann, dpa
| 26.09.2024 04:04 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Thüringens Landtag trifft sich zu seiner ersten, wahrscheinlich turbulenten Sitzung (Archivbild). Foto: Martin Schutt/dpa
Thüringens Landtag trifft sich zu seiner ersten, wahrscheinlich turbulenten Sitzung (Archivbild). Foto: Martin Schutt/dpa
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Das gab es noch nie: Die AfD stellt in Thüringen erstmals die stärkste Fraktion in einem Landesparlament. Und gleich kommt es zum politischen Tauziehen - Ausgang ungewiss.

Der Thüringer Landtag trifft sich heute knapp vier Wochen nach der Wahl zu seiner ersten Sitzung - und gibt einen Vorgeschmack darauf, wie vertrackt und explosiv die politische Lage in dem kleinen Freistaat ist. 

Dabei geht es in Erfurt eigentlich nur um die konstituierende Sitzung des Parlaments, zu der stets auch die Wahl einer Landtagspräsidentin oder eines Landtagspräsidenten gehört. Angesagt ist jedoch ein erstes Kräftemessen zwischen der AfD, die erstmals in einem deutschen Landesparlament die stärkste Fraktion stellt, sowie CDU, BSW, Linke und SPD auf der anderen Seite. 

Von möglichen Tricksereien, unsicheren Kantonisten und dem Gang zum Verfassungsgericht ist schon vor Sitzungsbeginn die Rede. „Es wird sicher ein spannender Tag“, prophezeit der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Torben Braga. 

Warum diese Nervosität?

In Thüringen erinnern sich viele noch an die Ministerpräsidentenwahl 2020, als die AfD einen Scheinkandidaten aufstellte, den sie nicht wählte, sondern stattdessen dabei half, den FDP-Politiker Thomas Kemmerich in das Amt zu hieven. Nun geht es um das Amt des Landtagspräsidenten. Die AfD hat als stärkste Kraft mit 32 von 88 Abgeordneten das Vorschlagsrecht für das zweithöchste Staatsamt. Die anderen vier Fraktionen wollen aber keinen Kandidaten einer Partei an die Spitze des Parlaments wählen, die vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet wird. 

Damit gleich von Anfang an auch andere Fraktionen Kandidaten zur Wahl stellen können, wollen CDU und BSW die Geschäftsordnung auf den letzten Drücker ändern und einen Passus aus der Thüringer Verfassung aufnehmen. Danach sollen Kandidaten aus der Mitte des Parlaments kommen - alle Fraktionen hätten dann ein Vorschlagsrecht. Auch SPD und Linke unterstützen das. Die AfD hält das geplante Vorgehen für rechtswidrig. „Diese Meinung hat die AfD exklusiv“, sagt CDU-Fraktionschef Mario Voigt. 

Wen schicken die Fraktionen ins Rennen?

Die AfD-Fraktion hat ihre Abgeordnete Wiebke Muhsal als Kandidatin nominiert. Die 38-Jährige wurde vor Jahren wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt. Gerichte sahen es als erwiesen an, dass sie einen Arbeitsvertrag mit einer Mitarbeiterin im Jahr 2014 um zwei Monate vordatierte, um zusätzliches Geld von der Landtagsverwaltung zu erhalten. Thüringens BSW-Fraktionschefin Katja Wolf nannte den Vorschlag eine „Provokation“.

Die CDU schickt Thadäus König quasi als Konsenskandidaten in die Wahl. Der 42-Jährige hatte bei der Landtagswahl das landesweit beste Erststimmenergebnis. Vertreter von BSW, SPD und Linke signalisierten, dass sie König als einen guten Bewerber für die Landtagsspitze ansehen.

Welche Szenarien werden diskutiert?

Geleitet wird die Sitzung vom Alterspräsidenten, dem 73 Jahre alten Jürgen Treutler von der AfD. Laut Tagesordnung eröffnet er die Sitzung, ruft die Namen der Abgeordneten auf und stellt die Beschlussfähigkeit des Landtags fest. Üblich ist auch, dass gefragt wird, ob es Einwände zur Tagesordnung gibt. Treutler hatte zuletzt angedeutet, dass er mit Einwänden rechnet - und auch mit Unterbrechungen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, sagte, er könne sich vorstellen, dass Treutler den Tagesordnungspunkt zur Änderung der Geschäftsordnung eigenmächtig überspringt oder absetzt. „Dann würden wir widersprechen“, sagte Bühl. Ein solches Vorgehen würde die Kompetenzen des Alterspräsidenten klar überschreiten, so Bühl. 

Warum ist immer wieder vom Verfassungsgericht die Rede?

CDU-Fraktionschef Voigt will das Verfassungsgericht in Weimar anrufen, wenn gegen die Regeln des Landtags oder gegen die Verfassung verstoßen werde. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der AfD kündigte den Gang zum Verfassungsgericht an, sollte der Landtag die bisher bestehende Geschäftsordnung nicht einhalten. 

Wenn die Verfassungsrichter entscheiden müssen, würde die Landtagssitzung unterbrochen. Das Bundesverfassungsgericht hatte jüngst bei einer Klage der AfD-Bundestagsfraktion deutlich gemacht, „dass ein Vorschlagsrecht nicht verbunden ist mit einem bestimmten Wahlergebnis“.

Der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland beschreibt es so: Die AfD habe ein Vorschlagsrecht, aber kein Recht auf ein bestimmtes Amt - „dafür muss sie Mehrheiten bekommen“. Aus seiner Sicht wäre es aber eleganter gewesen, die Geschäftsordnung des Landtags schon vor Monaten zu ändern. 

Gibt es weitere Unwägbarkeiten? 

Alterspräsident Treutler könnte auch einfach den Plenarsaal verlassen und damit für eine Unterbrechung der Sitzung sorgen. Dann wäre womöglich der zweitälteste Abgeordnete an der Reihe - aus dem Kreis der parlamentarischen Geschäftsführer hieß es, dass das ebenfalls ein AfD-Abgeordneter wäre. Es gibt aber noch viele andere Unwägbarkeiten - etwa wenn Treutler gar nicht erst die Namen der Abgeordneten aufruft und keine Beschlussfähigkeit hergestellt ist. Dann gebe es eine Liste mit Unterschriften, mit der die Beschlussfähigkeit nachgewiesen werden könnte, hieß es. 

Ist eine Überraschung möglich? 

Vielleicht geht die Landtagssitzung aber auch ohne längere Unterbrechung und mit einer Wahl aus. Die AfD pocht zwar auf ihr Vorschlagsrecht für die Präsidentenwahl, Braga schloss aber auch ein Kompromissangebot nicht aus. Er sei pragmatisch genug, dass ein Präsidentenkandidat der AfD im Thüringer Parlament keine Mehrheit finden werde. Er sei jedoch optimistisch, „dass eine Lösung gefunden wird“. „Es gibt Möglichkeiten, Kompromisse zu treffen.“ Wie die aussehen könnten, ließ Braga vor der entscheidenden Landtagssitzung offen. 

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