Laichen mit Hilfe Deutsche Wildlachse: Vom Ozean zurück in die Aufzuchtstation
Wildlachse legen Tausende Kilometer zurück, um ihre alte Heimat in Rhein und Elbe zu erreichen – doch nur wenige schaffen es, sich fortzupflanzen. Menschen helfen bei der Partnerwahl.
„Fiiiiiiiisch, Fisch!“ ruft Dennis Bock über das Rauschen des Wehrs hinweg. Rasch taucht er seinen Kescher in das dunkelgrüne Wasser. Kurze Zeit später zappelt ein kräftiges, muskelbepacktes Wesen in den Händen des 48 Jahre alten Fischwirts: Es ist ein echter Wildlachs.
Knapp 80 Zentimeter lang, im braunrot und orange schimmernden Laichkleid, liegt der Fisch vor ihm in einer Wanne. Ein echtes Prachtexemplar. Es sind Bilder, die man sonst eher aus der Wildnis in Alaska kennt. Doch hier befinden wir uns mitten in Nordrhein-Westfalen, an einem Zufluss von Sieg und Rhein – unweit des Flughafens Köln-Bonn und weniger als 30 Kilometer entfernt vom Zentrum Kölns.
In die Arktis und zurück: Ein Lebenszyklus wie ein Märchen
Der Wildlachs in Bocks Händen ist Teil des Wanderfischprogramms Nordrhein-Westfalen. Es ist der Versuch, ein Stück echte Wildnis zurück in Deutschlands und Europas ehemals größten Lachsfluss zu bringen: den Rhein.
Der Lebenszyklus eines Wildlachses gleicht einem Märchen. „Den hier haben wir wahrscheinlich vor drei, vier Jahren als Setzling ausgesetzt“, sagt Bocks Kollege Sven Wohlgemuth vom Wildlachszentrum Rhein-Sieg.
Seitdem sei der Lachs den Rhein hinunter in die Nordsee geschwommen und weiter Richtung Arktis gezogen. Dort, vor den Küsten Grönlands, Islands oder Norwegens, habe er sich an Heringen groß gefressen. Nach einigen Jahren im Ozean machte sich der Wildlachs dann auf den Heimweg in sein Laichhabitat, um sich jetzt im November oder Dezember im seichten Kies flussaufwärts fortzupflanzen.
„Ich wünschte, Lachse könnten Bücher schreiben“
Es ist eine beschwerliche Reise. Zwischen 3.000 und 5.000 Kilometer legen die Lachse auf ihrem Weg zurück – vorbei an Haifischen, Robben, Wehren und rotierenden Schiffsschrauben. Nur einer von mehr als 3.000 Junglachsen schafft es zurück.
„Manchmal wünsche ich mir, die Lachse könnten Bücher schreiben, so viele Geschichten hätten die uns zu erzählen“, sagt Wohlgemuth. Er zeigt auf einen dunklen, hufeisenförmigen Abdruck auf beiden Seiten des gerade gefangenen Fisches. „Ein Wels-Biss.“
Einst kein „König der Fische“ mehr
Im vergangenen Jahrhundert war der Lachs, gerne „König der Fische“ genannt, in Deutschland vollständig ausgestorben - schuld waren Verschmutzung, Verbau der Gewässer und Überfischung. Seit den 1990er Jahren gibt es Bemühungen, ihn wieder anzusiedeln, vor allem an Rhein, Elbe und Weser.
Hindernisse wie Wehre und Wasserkraftanlagen wurden mit Fischtreppen ausgestattet, um den Lachsen den Aufstieg in ihre Laichgebiete zu ermöglichen. Außerdem werden jedes Jahr Rückkehrer eingefangen, um aus ihren Eiern Hunderttausende Junglachse auszubrüten und im Frühjahr in den Flüssen auszusetzen.
Niedrige Wasserstände erschweren die Wanderung
Nach Einführung der Wanderfischprogramme kehrten deutlich mehr Lachse zurück. Die Wildlachsstation Siegburg spricht von durchschnittlich 200 Rückkehrern in den Rheinzuflüssen des Bundeslandes seit der Jahrtausendwende, im Jahr 2007 habe man sogar mehr als 500 gezählt.
Auch an der Elbe hatten die Maßnahmen Erfolg, wie Daten der North Atlantic Salmon Conservation Organization für Deutschland zeigen. Forschende gehen davon aus, dass nur etwa ein Drittel der Rückkehrer erfasst wird.
Doch in den Dürrejahren 2018 und 2019 brachen die Zahlen überall in Deutschland massiv ein und konnten sich seitdem nicht erholen. In diesem Jahr wurden in Nordrhein-Westfalen, wo deutschlandweit die meisten Lachse aufgegriffen werden, bisher nur 72 Rückkehrer gezählt.
„Die Wasserstände sind seit 2018 einfach viel zu niedrig“, erklärt Wohlgemuth. Niedriges Wasser erschwere nicht nur die Wanderung, sondern mache die Fische auch anfälliger für Raubfische und Kormorane, die an Engstellen wie Fischtreppen dann leichteres Spiel haben.
Fachleute halten eine langfristige Ansiedlung für möglich
Die Situation sei dennoch nicht aussichtslos, sagt der Fischökologe Christian von Landwüst von der Bundesanstalt für Gewässerkunde. Langfristig könne man den Lachs definitiv wieder in Deutschland ansiedeln, aber dafür müssten die bestehenden Anstrengungen deutlich intensiviert werden.
Statt Fischtreppen brauche es eine vollständige Durchgängigkeit der Gewässer: Wehre müssten zurückgebaut werden und weite zusammenhängende Flussstrecken frei werden für die Wanderung.
Das größte Hindernis für die Lachse im Rhein liege direkt im Rheindelta in den Niederlanden, sagt von Landwüst. Dort sei nur ein Rheinarm vollständig geöffnet, während die anderen häufig blockiert seien durch gigantische Sperrbauwerke, die Haringvliet-Schleusen.
Der sogenannte „Kierbesluit“ (auf deutsch: „Spaltöffnungsbeschluss“) soll immerhin dafür sorgen, dass die Schleusentore länger offen bleiben, sodass Wanderfische mehr Zeit haben, hindurchzuschwimmen und ihren Organismus von Salz- auf Süßwasser umzustellen.
Es geht nicht nur um die Lachse
Doch warum überhaupt der ganze Aufwand? „Es geht dabei natürlich nicht nur um den Lachs“, sagt Fischwirtschaftsmeister Wohlgemuth. „Alles, was wir für den Lachs machen, kommt auch anderen Fischarten zugute.“
Renaturierte Gewässer förderten die gesamte aquatische Lebensgemeinschaft. Und auch die Gesellschaft profitiere unmittelbar: Aus intakten Lachsgewässern lasse sich nicht nur sauberes Trinkwasser gewinnen, sondern sie schützten auch vor Hochwasser. Auenlandschaften etwa wirken als Pufferzonen und speichern überschüssiges Wasser.
Plastikwanne statt Kiesbett
Das Wildlachs-Männchen in Dennis Bocks Händen hat sein Ziel erreicht - zumindest fast: Statt in einem kleinen Nebenfluss nach einer Partnerin zu suchen, liegt es nun in einer Plastikwanne. Die Fischwirte notieren noch schnell die letzten Daten und bringen den Fisch dann in die Aufzuchtstation.
Dort wählen sie auf Basis genetischer Analysen eine passende Partnerin aus. Ohne menschliche Hilfe fänden noch zu wenige Tiere von allein im kiesigen Flussbett zueinander, meinen die Fachleute. „Aber wenn wir hier eines Tages arbeitslos werden“, sagt Wohlgemuth, „dann haben wir alles richtig gemacht“.