Münster (dpa)
Missbrauchskomplex Münster: Mutter bestreitet Vorwürfe
Wieder steht im Missbrauchskomplex Münster eine Frau vor dem Landgericht. Diesmal ist es die Mutter eines jungen Opfers. Auch sie bestreitet die Vorwürfe um schweren sexuellen Missbrauch.
Vor dem Blitzlichtgewitter der Fotografen schützt sich die 31-Jährige mit einem hellen Aktendeckel. Die Mutter eines heute elfjährigen Opfers im Missbrauchskomplex Münster erreicht mit einem leichten Stolperschritt am Donnerstag die Anklagebank.
Auf dem Kopf eine schwarze Kappe, gekleidet ganz in Schwarz, die Haare zu einem schulterlangen Pferdeschwanz zusammengebunden. Mit leicht unsicherer Stimme macht sie Angaben im Landgericht Münster zur Person. Sie sei ledig und in Halberstadt in Sachsen-Anhalt geboren, nicht in Münster, wie es fälschlicherweise in der Anklage steht.
Mehr erfährt die Öffentlichkeit zum Prozessbeginn vorerst nicht über die Deutsche. Die Anklageschrift über sechs Seiten wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgelesen. Das Landgericht Münster hat dem Antrag der Nebenklage zu diesem Schritt stattgegeben. Auch die Verteidiger und die Staatsanwaltschaft sehen das so. Zum Schutz des Opfers.
Die Staatsanwaltschaft wirft der 31-Jährigen aus Münster in neun Fällen Beihilfe durch Unterlassen vor. Die Frau soll seit 2018 vom schweren sexuellen Missbrauch ihres eigenen Kindes durch ihren Lebensgefährten gewusst haben. Vereinzelt soll sie ihren Sohn auch zu sexuellen Handlungen mit dem Mann animiert haben.
Im Hauptprozess war dieser im Juli 2021 zu 14 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Das Urteil gegen den 28-Jährigen ist noch nicht rechtskräftig. Die Mutter (46) des IT-Technikers soll wegen Beihilfe für fünf Jahre ins Gefängnis. Sie hatte die Vorwürfe ebenso wie die nun Angeklagte zurückgewiesen.
Die 31-Jährige äußert sich nach Verlesung der Anklage ausführlich zu ihrer Person, die Vorwürfe „bestreitet sie umfassend“, wie eine Gerichtssprecherin am Nachmittag berichtet. Auch hier war die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Allein am Landgericht Münster ist der Prozess mit der Mutter des Opfers die 13. Verhandlung in dem großen Missbrauchskomplex. Weitere Verfahren wurden oder werden an anderen Landgerichten in ganz Deutschland geführt. Dabei geht es um schwere sexuelle Gewalt über Jahre von mehreren Männern an einer Vielzahl von Kindern. Tatorte gab es mehrere in Deutschland, im benachbarten Ausland und in einer eigens präparierten - heute abgerissenen - Gartenlaube in Münster. Aus dem Inneren gibt es stundenlanges Material aus einer Überwachungskamera, auf dem sexuelle Gewalt an mehreren Kindern dokumentiert ist.
Am ersten Verhandlungstag hat eine Zeugin vom Jugendamt der Stadt Münster zu den Folgen der Taten auf das junge Opfer informiert. Außerdem wurde eine Audiodatei als Beweismittel eingeführt, auf der ein Dialog zwischen der Angeklagten und ihrem ehemaligen Lebensgefährten zu hören ist. Zum Inhalt wurde nichts bekannt.
Bis Ende September hat das Landgericht Münster acht weitere Verhandlungstage angesetzt. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin droht der Angeklagten im Fall einer Verurteilung eine Haftstrafe zwischen 2 und 15 Jahren. Auch über eine anschließende Sicherungsverwahrung muss das Landgericht entscheiden.
Beim nächsten Verhandlungstag am Dienstag sollen mehrere Täter als Zeugen vernommen werden. Darunter auch Adrian V., der als Haupttäter geltende ehemalige Lebensgefährte der Angeklagten. Der IT-Techniker kann allerdings die Aussage verweigern.
Münster ist neben Lügde und Bergisch Gladbach einer von drei großen Missbrauchsfällen der vergangenen Jahre in Nordrhein-Westfalen. Der Fall kam im Juni 2020 nach Ermittlungen in der Gartenlaube ans Licht. Im Zuge dessen hatte es in mehreren Bundesländern und im Ausland Festnahmen gegeben. In dem Tatkomplex wurden bereits fünf Männer zu Freiheitsstrafen verurteilt. Insgesamt wurden durch die Ermittler mehr als 50 Tatverdächtige identifiziert, von denen derzeit etwa 30 in U-Haft sitzen.
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