Frankfurt/Main/Berlin (dpa)
Lokführer rollen weiter ungebremst Richtung Bahn-Streik
Tausende Reisende sind in den vergangenen Wochen mit der Bahn in den Urlaub gefahren. Doch über der Rückreise könnte bei manchem ein Fragezeichen stehen.
Bei der Deutschen Bahn rücken Streiks der Lokführer näher. Deren Gewerkschaft GDL hat am Montag in Frankfurt mit der Auszählung der Urabstimmung begonnen und rechnet mit einem klaren Votum ihrer Mitglieder für einen Arbeitskampf.
„Wir erwarten über 90 Prozent Zustimmung zum Streik“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky zum Auftakt der Zählung in der Frankfurter Gewerkschaftszentrale.
Das Ergebnis der vor sechs Wochen gestarteten Briefwahl will die GDL am Dienstagvormittag verkünden. Notwendig sei die Zustimmung von 75 Prozent der abgegebenen Stimmen, aber keine Mindestbeteiligung.
Weselsky: „Wie immer“ ausreichend Vorlauf für Passagiere
Ungehört blieb ein Appell von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zur Mäßigung. Weselsky ließ erneut offen, ob bereits konkrete Termine für Arbeitsniederlegungen genannt werden. Man werde „wie immer“ den Bahn-Passagieren ausreichend Vorlauf einräumen, damit diese sich vorbereiten könnten. Auch eine mögliche Dauer der Streiks ließ der Gewerkschafter offen.
Die Bahn wollte sich am Montag nicht zu ihren Streikvorbereitungen äußern, sondern erst mögliche Ankündigungen der GDL abwarten. Die Gewerkschaft hat sich bislang nicht in die Karten blicken lassen und auch offen gelassen, welche Bereiche sie bestreiken will. Am schlagkräftigsten ist sie zweifelsfrei bei den Lokführern.
Bei deren letzten Streik vor sechs Jahren hatte die Bahn einen Notfahrplan erstellt, um zumindest etwas Betrieb aufrecht zu erhalten. Im Fernverkehr konnte etwa ein Drittel der Züge fahren, vor allem auf den Hauptstrecken vom Ruhrgebiet nach Osten sowie von Hamburg nach Süden. Auch im Regionalverkehr und bei S-Bahnen dürfte bei einem Lokführerstreik ein Großteil der Züge ausfallen. Der gestörte Betriebsablauf könnte dann auch bei Konkurrenten der Deutschen Bahn zu Einschränkungen führen.
Tarif-Verhandlungen „gescheitert“
Die Tarifrunde zwischen Bahn und GDL steckt fest. Weselsky schloss erneut aus, beim gegenwärtigen Stand an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Der GDL-Chef erklärte: „Die Verhandlungen sind gescheitert und die Uhr läuft ab. Jetzt ist Arbeitskampf angesagt, wenn der Bahn-Vorstand kein verbessertes Angebot vorlegt.“
Auf den ersten Blick scheinen Forderung und Angebot gar nicht so weit auseinander zu liegen. Die GDL fordert unter anderem Lohnerhöhungen wie im öffentlichen Dienst von rund 3,2 Prozent sowie eine deutliche Corona-Prämie im laufenden Jahr mit einer Laufzeit von 28 Monaten. Die Bahn will sich hingegen am „Notlagentarifvertrag“ der Flughäfen orientieren, der eine ähnliche Erhöhung um 3,2 Prozent auf einen längeren Zeitraum und spätere Stufenzeitpunkte verteilen würde, bei einer Vertragslaufzeit von 40 Monaten. Hinzu kämen Leistungen zur Altersvorsorge und der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen.
Neben dem Streit um Einkommenszuwächse tobt im Bahn-Konzern ein Machtkampf zwischen der GDL und der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) um den jeweils besseren Tarifabschluss. Für die GDL ist das eine Frage des Überlebens und der künftigen Wachstumsmöglichkeiten. Denn die Bahn muss derzeit das Tarifeinheitsgesetz umsetzen. In den rund 300 Betrieben des Unternehmens soll danach nur noch der Tarifvertrag der jeweils größeren Gewerkschaft zur Anwendung kommen. Meist ist das die EVG. Die GDL hat deshalb angekündigt, der Konkurrenz Mitglieder abjagen zu wollen.
Bahn: „Attacke auf das ganze Land“
Kurz vor Ende der Urabstimmung hatte Bahn-Personalchef Martin Seiler noch einmal klar gemacht, für wie schwierig er die Lage hält. „Es ist keine Tarifrunde wie jede andere“, sagte Seiler. Die Bahn habe schon wegen der Corona-Krise mit Milliardenverlusten zu kämpfen. Hinzu kämen Folgen der Flutkatastrophe. Ein Streik sei eine „Attacke auf das ganze Land“, kritisierte Seiler. Man könne sich in ein bis zwei Tagen einig werden, wenn die Gewerkschaft nur verhandeln wolle.
Im Fall eines Streiks können die Fahrgäste von geplanten Zugfahrten zurücktreten und sich den Fahrpreis erstatten lassen, wenn eine Verspätung von mehr als 60 Minuten zu erwarten ist. Wer trotzdem in den Zug steigt, für den gelten die üblichen Entschädigungsregeln: bei 60 Minuten Verspätung 25 Prozent des Fahrpreises, ab 120 Minuten 50 Prozent.
Es wäre der erste Streik bei der Bahn seit Dezember 2018, als die EVG ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufrief. Weitaus härter verlief der GDL-Streik 2014 und 2015. In acht sich steigernden Wellen hatten die Lokführer unter Weselskys Führung ihre Streiks durchgezogen.
Die Konkurrenzgewerkschaft EVG hatte schon im vergangenen Herbst einen Tarifabschluss mit der Bahn unterschrieben. Dieses Jahr gab es eine Nullrunde, Anfang 2022 erhalten die Beschäftigten 1,5 Prozent mehr Geld. Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen.
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