Bielefeld (dpa)
Studie: Integrationsfeindliche Einstellungen wachsen
Unter welchen Bedingungen gehören Zugewanderte aus Sicht der Bevölkerung dazu? Werden sie als gleichwertig anerkannt? Zentrale und brisante Fragen für eine Gesellschaft. Eine neue Studie zu Integration liefert überraschende Antworten.
Beim Konfliktthema Zuwanderung sinkt einer Studie zufolge der Anteil der Menschen, die Integration für den richtigen Weg halten.
2020 haben „integrationsfeindliche“ Einstellungen - Abwertung von Geflüchteten, Muslim- und Fremdenfeindlichkeit - zugenommen, wie aus der repräsentativen Langzeitanalyse „ZuGleich“ hervorgeht, die Bielefelder Forscher und die Stiftung Mercator am Montag vorstellten. Auch die Corona-Pandemie habe sich hier auf Einstellungen ausgewirkt, sagte Studienleiter Andreas Zick.
Nur noch 48 Prozent der Bevölkerung befürworten demnach Integration, wollen also Eingewanderten ihre kulturelle Identität weiter zugestehen und sie zugleich an der Gesellschaft hierzulande teilhaben lassen. Die Zustimmung zu Integration sei seit der ersten „ZuGleich“-Erhebung von 2014 (60 Prozent Zuspruch) gesunken. Integration verlange Bemühungen von allen, auch den Eingesessenen, betonte Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. Die Achtung der kulturellen Eigenschaften von Hinzugekommenen und die Anerkennung einer Gleichwertigkeit seien zentral für Integration. Hier hapere es aber deutlich.
Fast jeder Dritte meint, Eingewanderte sollten ihre eigene kulturelle Prägung aufgeben, sich absolut an die Mehrheitsgesellschaft anpassen, also assimilieren, erläuterte Co-Autorin Nora Rebekka Krott. Weitere zehn Prozent sprechen Zugewanderten ihre eigene kulturelle Identität zwar nicht ab, wollen sie aber in Deutschland nicht teilhaben lassen. Und ebenfalls jeder Zehnte verwehre Zugewanderten sowohl den Erhalt der eigenen Identität als auch gesellschaftliche Teilhabe.
Interessant: Dass Neue sich einseitig mehr anpassen sollten, finden grundsätzlich auch in der Gruppe der Zugewanderten viele. Je länger sie schon hierzulande leben, desto stärker fällt diese Forderung aus.
In die Langzeitstudie zu Einstellungen in der Bevölkerung zu Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit - „ZuGleich“ - sind vier repräsentative Erhebungen seit 2014 eingeflossen. Für die jüngste waren von November 2020 bis Januar 2021 gut 2000 Erwachsene befragt worden, knapp ein Drittel mit Einwanderungsgeschichte.
Eine „Kultur der Abwehr“ ausgemacht
Aus Sicht der Studienautoren „erschreckend“: Eine wachsende Gruppe verlange Vorrechte für sich als vermeintlich Etablierte. Gut 38 Prozent stimmten der Aussage zu: „Wer in Deutschland neu ist oder später hinzukommt, soll sich mit weniger zufriedengeben“. Man habe eine „Kultur der Abwehr“ ausgemacht und steigende Werte gemessen bei der Abwertung von Geflüchteten (28 Prozent) und bei Muslimfeindlichkeit, die bei gut jedem dritten Befragten zutagegetreten sei.
Bei rund 30 Prozent sei von einer fremdenfeindlichen Haltung auszugehen. So sind 40 Prozent der Auffassung, es lebten zu viele Migranten in Deutschland. Jeder Vierte sagt, die muslimische Kultur habe einen „gefährlichen Einfluss“ auf die deutsche Kultur. Gut ein Viertel aller Bürger bundesweit hat eine Einwanderungsgeschichte, wiederum ein Viertel darunter ist muslimischen Glaubens.
Welche Kriterien müssen Zugewanderte erfüllen, um dazuzugehören? „Die Befragten haben jetzt eine höhere Messlatte für eine Zugehörigkeit“, beobachtet Sozialpsychologe Zick. Vor allem sollen sie Deutsch sprechen, politische Institutionen und Gesetze achten, arbeite und keine Sozialhilfe beziehen, wie jeweils eine große Mehrheit von weit über 80 Prozent findet. Jeder Vierte hält es für wesentlich, in Deutschland geboren oder Christ zu sein. 2020 ist es vor allem die politische Mitte, die diese Forderungen an Zugewanderte stellt.
Was bewirkt die Pandemie? Viele Menschen, die sich durch die Corona-Krise stark belastet sehen, treiben soziale oder finanzielle Sorgen um. Das drücke sich bei einigen auch in ihrer Haltung zur Integration aus, erläuterte Zick. Es gebe gerade in der Pandemie auch Widerstand gegen eine Politik der offenen Grenzen - obwohl es coronabedingt kaum zu Migration gekommen sei. Zudem hätten es Austausch und Begegnung wegen der Corona-Auflagen schwer gehabt.
Ein positives Ergebnis: Eine große Mehrheit von drei Vierteln stimmt der Aussage zu, dass Migranten am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollen. Aber es gebe Widersprüche, unterstrich Zick. Frage man in puncto Akzeptanz von Vielfalt konkret nach, zeige sich Skepsis. Andere Kulturen seien bei vielen mit Vorurteilen verbunden. Unter den Eingewanderten gab ein Drittel an, oft oder sehr oft rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt zu sein. „Rassismus bremst den Prozess der Integration.“
Und was ist mit der vielzitierten „Willkommenskultur“? Sie findet erfreulich steigenden Zuspruch. Allerdings gibt es auch hier ein Aber: Nach der starken Fluchtbewegung von 2015 geht es Zick zufolge jetzt weniger ums Willkommenheißen, sondern um das reale Ankommen und die Einstellungen zum Zusammenleben. Das Thema werde Deutschland herausfordern und die Zukunft stark prägen.
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