Taschkent/Duschanbe (dpa)
Maas sucht neue Rettungswege für Afghanen
Es ist vielleicht die wichtigste Reise von Heiko Maas als Außenminister. Fünf Länder besucht er, die für die Krisenbewältigung in Afghanistan wichtig sind. Es geht um das Schicksal Tausender - und die eigene politische Zukunft.
Von der größten Evakuierungsmission in der Geschichte der Bundeswehr ist nichts mehr übrig, als Außenminister Heiko Maas in der Nacht zu Montag in Taschkent landet.
Elf Tage stand auf dem Flughafen der usbekischen Hauptstadt der zentrale Pfeiler der Luftbrücke, das Drehkreuz zwischen dem afghanischen Kabul und Deutschland, über das mehr als 5000 Menschen vor den militant-islamistischen Taliban in Sicherheit gebracht wurden. Nur wenige Stunden vor der Ankunft des Ministers fliegen Transportmaschinen vom Typ A400M die letzten Überreste der Operation nach Hause zurück.
Die militärische Evakuierung ist damit beendet. Jetzt übernimmt die Diplomatie das Ruder. Der Besuch des Außenministers in Taschkent markiert den Übergang von Phase 1 zu Phase 2 der Hilfsaktion für diejenigen, die Schutz vor den neuen Machthabern in Kabul suchen. Und für die Deutschland eine besondere Verantwortung trägt: Ehemalige afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr und der Bundesministerien sowie besonders gefährdete Afghanen wie Menschenrechtsaktivisten oder Frauenrechtlerinnen. Insgesamt geht es um mehr als 40.000 Menschen.
Um Phase 2 der Hilfsaktion in Gang zu bringen bereist Maas nun vier Tage lang fünf Länder, die man braucht, um diese Menschen nach Deutschland zu bringen: Die Türkei, die den Flughafen im afghanischen Kabul nach dem Abzug der US-Streitkräfte zusammen mit den Taliban betreiben soll. Die Nachbarländer Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan, die Zwischenstation für die auf dem Landweg Ausreisenden sein sollen. Und Katar, das Land mit dem wohl besten Draht zu den Taliban, an denen nun kein Weg mehr vorbei geht.
"Dem Versagen ein Gesicht gegeben"
Es ist vielleicht die wichtigste Reise in den dreieinhalb Jahren, die Maas nun das Auswärtige Amt führt. Sie ist deswegen so wichtig, weil es diesmal nicht wie so oft in der Diplomatie um abstrakte Formelkompromisse oder mühsam ausgehandelte Absichtserklärungen geht. Es geht ganz konkret um das Schicksal Zehntausender Menschen, denen Deutschland in den letzten 20 Jahren versprochen hat, sie nicht im Stich zu lassen. Es geht aber auch nur um etwas anderes: Das politische Schicksal von Heiko Maas selbst.
Für die Fehleinschätzungen der gesamten Bundesregierung in Sachen Afghanistan, musste er die mit Abstand meiste Prügel einstecken. Er habe „dem Versagen ein Gesicht gegeben“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Rücktrittsforderungen kamen zwar überwiegend aus der zweiten Reihe. Mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder meinte aber immerhin auch ein sehr prominenter Koalitionspartner, Maas dürfe nach der Wahl kein Minister mehr werden. Selbst aus der eigenen Partei bekommt der Saarländer allenfalls noch halbherzige Rückendeckung. Vizekanzler und Kanzlerkandidat Olaf Scholz vermeidet es, sich klar hinter ihn zu stellen.
Dass Maas ziemlich alleine im Feuer steht, obwohl er die Verantwortung für das Afghanistan-Desaster mit einigen anderen im Kabinett teilt, hat mehrere Gründe: An seiner Amtsführung gab es schon vorher viel Kritik, was ihn zu einem leichten Angriffsziel macht. Sein Ministerium ist formell für die Lageeinschätzung in Afghanistan zuständig. Und außerdem sind unter den fünf Kabinettsmitgliedern mit Verantwortung für Afghanistan drei, bei denen jetzt schon klar ist, dass sie der nächsten Regierung nicht angehören werden: Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU).
Bleiben nur noch Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), der es als Oberbefehlshaberin des Evakuierungseinsatzes der Bundeswehr gerade ganz gut gelingt, wieder in einem einigermaßen positiven Licht zu erscheinen.
Die Risiken sind groß
Es geht also um sehr viel für Maas, politisch vielleicht sogar um alles. Für seine diplomatische Hilfsaktion hat er die Latte sehr hoch gelegt. Man werde sie fortführen „bis alle in Sicherheit sind, für die wir in Afghanistan Verantwortung tragen“, sagt er.
Die Risiken sind allerdings groß. Deutschland ist nicht mehr präsent in Afghanistan. Mit den Bundeswehrsoldaten sind auch alle Diplomaten aus dem Krisenland abgezogen. Die Hilfsaktion muss also von außen organisiert werden. Vom Krisenreaktionszentrum in Berlin aus, aber auch aus den Botschaften der Nachbarländer, die Maas nun personell verstärkt.
Es gibt zwei Wege aus Afghanistan raus. Den bisherigen über den Flughafen Kabul, sollte der nach dem Abzug der US-Streitkräfte wieder in den zivilen Betrieb übergehen. Und den Landweg in eines der sechs Nachbarländer, von denen Maas auf seiner Reise drei besucht: Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan.
Auf beiden Wegen ist man allerdings auf den guten Willen der Taliban angewiesen. Sie kontrollieren die Verkehrswege zu den Grenzen mit Checkpoints. Sie werden auch die Kontrolle über den Flughafen haben, selbst wenn sie internationale Hilfe aus der Türkei oder Katar zulassen. Usbekistan teilte zudem mit, dass es seinen Grenzübergang zu Afghanistan „vollständig geschlossen“ halte. Afghanische Schutzsuchende würden nicht dauerhaft aufgenommen, hieß es am Montag in der Ex-Sowjetrepublik.
Druckmittel Geld
Die Verhandlungsposition gegenüber den Islamisten wird trotzdem als einigermaßen aussichtsreich beschrieben. Vor allem weil es ein Druckmittel gibt: Geld. 430 Millionen Euro hatte die Bundesregierung ursprünglich für dieses Jahr an Hilfsgeldern für Afghanistan zugesagt. Die sind nun zum größten Teil auf Eis gelegt. Maas setzt darauf, dass auch die islamistischen Machthaber kein Interesse daran haben, ihre Bevölkerung verhungern zu lassen.
Der deutsche Unterhändler Markus Potzel, der in Katar seit Tagen Gespräche mit dem politischen Büro der Taliban führt, hat positive Signale für freies Geleit nach dem Abzug der Amerikaner bekommen. Sollte das funktionieren, wird es noch darum gehen, gefährliches Chaos wie in der vergangenen Woche am Flughafen Kabul zu verhindern. Maas versucht einem Ansturm auf die Grenzübergänge entgegenzuwirken, indem er klar macht, dass sich nicht jeder Hoffnung auf ein Ticket nach Deutschland machen kann. Die Bundesregierung werde nur diejenigen bei der Ausreise unterstützen, die eine feste Aufnahmezusage haben, betont er in Taschkent mit allem Nachdruck. „Es geht uns nur um diese Personengruppe.“
„DEUTSCHLANDS ENGAGEMENT ENDET NICHT“
Um Afghanistan selbst kann Maas bei seiner Reise nur noch einen Bogen machen. Sein letzter Besuch dort ist gar nicht so lange her. Im April besuchte er als letztes Regierungsmitglied die deutschen Soldaten im Camp Marmal in Masar-i-Scharif und führte in Kabul Gespräche mit dem inzwischen geflüchteten Präsidenten Aschraf Ghani. „Deutschland bleibt ein verlässlicher Partner an der Seite der Menschen in Afghanistan“, sagte er damals gleich nach der Ankunft. „Zwar endet der Militäreinsatz, doch auf allen anderen Ebenen setzen wir unser Engagement fort.“
Was Maas am Sonntag in Berlin vor dem Start seiner viertägigen Afghanistan-Mission sagte, hörte sich sehr ähnlich an: „Ich reise heute in die Region, um deutlich zu machen: Deutschlands Engagement endet nicht mit dem Abschluss der militärischen Evakuierungsmission.“ Bleibt zu hoffen, dass das Engagement diesmal erfolgreicher ist.
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