Berlin (dpa)
Parteien ringen nach dem TV-Triell um die Deutungshoheit
Die große Wende im Bundestagswahlkampf hat das erste TV-Duell nicht gebracht. Umfragen zufolge siegte SPD-Kandidat Scholz vor Grünen-Chefin Baerbock. Doch die Union gibt sich noch lange nicht geschlagen.
CDU/CSU, SPD und Grüne haben die erste große Fernsehdebatte ihrer Kanzlerkandidaten gleichermaßen als Erfolg verbucht.
So bescheinigte CSU-Chef Markus Söder dem zuletzt schwächelnden Unions-Kandidaten Armin Laschet (CDU) am Montag in München einen starken Auftritt: „Das war aus meiner Sicht genau das, was wir uns erhofft hatten.“ Kritisch äußerte sich hingegen die politische Konkurrenz: Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner etwa beklagte auf Instagram, zentrale Themen wie Digitalisierung, Bildung oder Rente seien allenfalls „am Rande angesprochen“ worden.
Beim Triell der Sender RTL und ntv hatten Laschet, Vizekanzler Olaf Scholz und die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock am Sonntagabend über Themen wie Afghanistan, Corona und den Klimawandel debattiert. 36 Prozent der rund 2500 Befragten einer repräsentativen Forsa-Umfrage unter wahlberechtigten Zuschauern gaben an ,SPD-Kanzlerkandidat Scholz habe das Triell gewonnen. 30 Prozent sahen Baerbock vorn, nur 25 Prozent Laschet.
Laschet zufrieden
Trotzdem zog Laschet ein positives Fazit. Jetzt werde endlich über Themen geredet, sagte der CDU-Vorsitzende im Anschluss an eine Präsidiumssitzung seiner Partei in Berlin. Auf die Frage, wie frustrierend das anschließende Umfrageergebnis war, antwortete Laschet: „Gar nicht. Es haben fünf Millionen Menschen zugeschaut, um die geht es mir.“
Allerdings verfestigt sich in den Umfragen der Aufwärtstrend der SPD: In dem am Montag veröffentlichten Meinungstrend des Meinungsforschungsinstituts Insa für „Bild“ erreichen die Sozialdemokraten 25 Prozent, ein Plus von zwei Prozentpunkten innerhalb einer Woche. Damit liegen sie nun klar vor der Union, die mit minus drei Punkten nur noch auf 20 Prozent kommt. Die Grünen verlieren demnach ebenfalls einen halben Punkt und erreichen 16,5 Prozent. Die FDP legt auf 13,5 Prozent zu (plus 0,5 Punkte), die AfD (11 Prozent) und die Linke (7 Prozent) bleiben stabil.
Möglich sind damit laut Insa fünf Regierungskoalitionen - vier davon unter Führung der SPD: Ein Bündnis von SPD, Union und Grünen, eine Koalition von SPD, Union und FDP, eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP, eine Koalition mit Union, Grünen und FDP sowie Rot-Grün-Rot. Auch in den Umfragen anderer Institute hatte die SPD die Union zuletzt ein- oder sogar überholt.
Zuvor hatten Spitzenvertreter der CDU Laschet demonstrativ den Rücken gestärkt. „Das war ein sehr guter Auftritt, und das hilft uns“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier zum Triell. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn lobte, Laschet habe mit Attacke und inhaltlicher Aufladung gepunktet. Wegen schwacher Umfrageergebnisse war der nordrhein-westfälische Ministerpräsident in den vergangenen Wochen parteiintern gehörig unter Druck geraten.
Die SPD kürte Scholz auf Twitter zum Triell-Sieger: „Olaf hat erneut bewiesen: Er kann Kanzler! Er hat einen Plan für die Zukunft!“ Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, würdigte unterdessen den „fulminanten“ und „souveränen“ Auftritt von Baerbock. Inhaltlich hätten sich deutliche Unterschiede abgezeichnet. Union und SPD stünden für ein „ambitionsloses Weiterso“.
Baerbock und Scholz schließen im Gegensatz zu Laschet eine Koalition mit der Linken nicht aus. Scholz knüpfte ein mögliches Bündnis zuletzt allerdings mehrfach an ein klares Bekenntnis zur Nato, was die Linke jedoch weiterhin ablehnt: „Ein klares Bekenntnis zur Nato würde heute bedeuten, einem Kriegsbündnis tatsächlich die Stimme zu geben“, erklärte Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow.
Merkel kritisiert Grüne
Derweil kritisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Desaster die Grünen. Das TV-Triell habe gezeigt, dass die Partei bei diesem Thema „keine klare Haltung“ habe, sagte Merkel nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in der CDU-Präsidiumssitzung.
In steuerpolitischen Fragen sieht FDP-Generalsekretär Volker Wissing eine Nähe zur Union. „Da ist schon ein Graben zwischen der SPD, Grünen und uns“, sagte Wissing im RTL/ntv-„Frühstart“. Gleichzeitig stellte er aber auch den Willen von CDU und CSU nach steuerlichen Entlastungen in Frage: Die Union, „die 16 Jahre lang Steuerreformen verhindert hat, ist jetzt auch nicht gerade ein Überraschungsei“.
Der Sozialverband Vdk kritisierte, dass soziale Themen beim Triell fast keine Rolle gespielt hätten. VdK-Präsidentin Verena Bentele forderte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe eine Neuausrichtung künftiger TV-Duelle: „Die dringend notwendigen Reformen bei Pflege, Rente und Gesundheit müssen dann ganz weit oben stehen.“
© dpa-infocom, dpa:210830-99-27249/3