Bochum (dpa/lnw)
Junge im Schrank - Haft und Sicherungsverwahrung für Täter
Ein Mann versteckt einen Jungen zweieinhalb Jahre in seiner Wohnung in Recklinghausen. Er missbraucht ihn fast täglich. Polizisten finden das Kind. Jetzt hat das Gericht ein Urteil gefällt.
Immer wieder blickte sich der Angeklagte während der Urteilsbegründung um, als suche er einen Weg hinaus aus dem Gerichtssaal. Das Bochumer Landgericht hat den 46-jährigen Deutschen am Donnerstag zu neun Jahren Haft verurteilt und seine anschließende Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
In über 400 Fällen soll der Mann einen Jungen in seiner Recklinghäuser Wohnung sexuell missbraucht haben.
„Wir haben es hier mit einem ungewöhnlichen Fall zu tun“, sagte der Vorsitzende Richter Stefan Culemann gleich zu Beginn seiner Urteilsbegründung. Und das begründete er mit mehreren Aspekten. Zum einen ist da der Junge, der Mitte 2017 aus einer betreuten Wohneinrichtung für Jugendliche plötzlich verschwand und erst zweieinhalb Jahre später von der Polizei zufällig entdeckt wurde. Als Beamte kurz vor Weihnachten 2019 die Wohnung des Angeklagten durchsuchten, weil es Hinweise darauf gegeben hatte, dass der Mann Bilder und Videos mit kinderpornografischem Inhalt besessen und getauscht hatte, hockte der Junge in einem Kleiderschrank im Schlafzimmer.
Und zum anderen ist da die schiere Masse an schweren Straftaten, die es so nur selten gibt. „Wir gehen davon aus, dass es in der gesamten Zeit fast täglich zu einem sexuellen Übergriff gekommen ist“, sagte Richter Culemann. Und selbst mit einem „Sicherheits-Abschlag zu Gunsten des Angeklagten von 50 Prozent“ stehen im Urteil am Ende noch mehr als 400 Einzeltaten.
Fest steht für die Richter auch: Es war der anfangs 13-jährige Junge, der den Kontakt mit dem Recklinghäuser suchte. Nachdem sie sich in einem Messenger-Chat kennengelernt hatten, bei dem immer klar war, dass sexuelle Inhalte geteilt wurden, kam es im Juni 2017 zu einem ersten realen Treffen im Kreis Recklinghausen. Laut Urteil hat der Junge bei einer nicht-öffentlichen Zeugenvernehmung eingeräumt, dass er dabei freiwillig sexuelle Handlungen des Mannes zuließ, um sein Taschengeld aufzubessern.
„Für die späteren Übergriffe gilt das aber nicht mehr“, sagte der Vorsitzende Richter am Donnerstag. Eine Vielzahl von Taten soll der 46-Jährige verübt haben, als der Junge schlief. Bei anderen soll der Schüler Videos geguckt oder auf seinem Handy gespielt haben.
Bei der Wohnungsdurchsuchung waren Hunderte Bilder und Videos mit sexuellem Inhalt sichergestellt worden. Darüber hinaus konnten die Beamten die Chats mit mehreren anderen Männern rekonstruieren, bei denen sich die Beteiligten über pädosexuelle Fantasien austauschten.
Von der Erklärung des 46-Jährigen, die Initiative zu den sexuellen Kontakten sei die ganze Zeit über von dem Jungen ausgegangen und er habe sich einfach nicht dagegen wehren können, glauben die Richter deshalb nicht ein Wort. „Es war anders. Das wissen wir“, so Richter Culemann.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer elf Jahre Haft, die Nebenklage sogar 15 Jahre Haft gefordert. Die Verteidiger hatten auf maximal sieben Jahre Haft plädiert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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