Altenburg (dpa)
Todesangst und neue Hoffnung - Merkel erneut im Flutgebiet
Eine Naturkatastrophe mit weltweiten Schlagzeilen beschäftigt die Kanzlerin zum Ende ihrer Amtszeit weiter. Schon zum zweiten Mal macht sie sich ein Bild von den Flutzerstörungen im Ahrtal.
Rund eineinhalb Monate nach der tödlichen Hochwasserkatastrophe im Ahrtal hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut das Flutgebiet besucht und mit Anwohnern gesprochen.
Es sei schon „viel geschafft und aufgeräumt“ worden, sagte Merkel am Freitag. Doch es werde Jahre dauern, diesen „unfassbaren Schaden wiedergutzumachen“. Sie ergänzte: „Wir brauchen einen ganz, ganz langen Atem.“ Die Menschen an der Ahr könnten sich auf weitere Hilfe verlassen. „Wir werden Sie nicht vergessen, das wird auch eine nächste Bundesregierung übernehmen“, versicherte Merkel auf einer Pressekonferenz in Grafschaft im nördlichen Rheinland-Pfalz.
Die scheidende Bundeskanzlerin zeigte sich sehr beeindruckt von der „so umfassenden Zerstörung von Häusern“, die sie zuvor gesehen hatte. Die Todesangst der von Dächern geretteten Ahr-Anwohner lasse sich nur erahnen. Mit der Mainzer Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) und mehreren rheinland-pfälzischen Ministern hatte Merkel einen Rundgang durch Altenburg, einem Ortsteil der Gemeinde Altenahr, unternommen. Das Dorf am Flüsschen Ahr war in der Katastrophennacht auf den 15. Juli nach extremem Starkregen zu etwa 95 Prozent überflutet worden. Insgesamt gab es im Ahrtal 133 Todesopfer. Kurz nach der Flut sagte Merkel bei ihrem ersten dortigen Besuch umfassende Hilfe zu.
Dreyer sieht in Merkels Rückkehr ein Signal
Ihre Rückkehr fast sieben Wochen später in das weitgehend zerstörte Flusstal bedeutete nach Ansicht von Ministerpräsidentin Dreyer „Trost und Zuspruch“ für die Menschen dort. Merkels Besuch in Altenburg sei ein Signal gewesen, dass die Bevölkerung nicht vergessen werde. Trotz aller Zerstörungen seien inzwischen beeindruckende Fortschritte bei den Aufräumarbeiten zu sehen, versicherte Dreyer. Sie kündigte noch für diesen Monat eine weitere „Zukunftskonferenz“ an, bei der es wie bei einem ersten derartigen Treffen nächste Woche um Details des Wiederaufbaus gehen solle.
Dreyer erinnerte auch daran, dass ihr Land gleich nach der Flut Soforthilfen in dreistelliger Millionenhöhe ausgezahlt habe. Zudem sei der geplante Wiederaufbaufonds von 30 Milliarden Euro für Hochwasseropfer in Deutschland von Bund und Ländern auf den Weg gebracht worden. Von Anfang Oktober an könnten Betroffene hiervon Geld beantragen. Merkel versicherte, sollten 30 Milliarden Euro tatsächlich nicht reichen, könnten Bund und Länder „noch mehr tun“. Sie betonte: „Da muss keiner Angst haben, dass es am Geld scheitert.“
Die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, Cornelia Weigand (parteilos), sagte: „Die Ahr ist auf über 40 Kilometern zerstört.“ Rund 40.000 Anwohner seien betroffen. Das Leben an Flüssen müsse angesichts möglicher extremer Wetterlagen als Folge des Klimawandels neu gedacht werden: „Der Wiederaufbau an der Ahr kann das Modell für die vielen Mittelgebirgsflüsse in Europa werden.“ Für eine neue hochwassergerechte Bebauung brauche es das Fachwissen nationaler und internationaler Experten.
Wiederaufbau mit neuen Ideen
Merkel nannte die Überlegung sehr interessant, für solche neue Anpassungen an den Klimawandel „die besten Ideen aus ganz Europa zu sammeln“. Womöglich könnte sich damit auch der Europäische Ausschuss der Regionen, eine beratende Einrichtung der EU, befassen.
Der Bürgermeister der Ortsgemeinde Altenahr, Rüdiger Fuhrmann, sagte laut Mitteilung: „Ich wünsche mir, dass die Menschen in der Region bleiben und weiterleben können, dort, wo sie vor der Flut gelebt haben, wenn sie das wollen, und dass unsere Orte wieder so lebendig werden wie in der Zeit, bevor diese Katastrophe uns heimgesucht hat.“ Viele flutgeschädigte Anwohner des Ahrtals sind bereits weggezogen.
Ministerpräsidentin Dreyer erklärte, das Überschwemmungsgebiet müsse von Experten neu berechnet werden. Es werde Gebiete geben, wo die Gefahren so groß seien, dass es keinen Wiederaufbau von Häusern an derselben Stelle geben sollte. Hier werde gemeinsam mit den Kommunen nach Ersatzflächen gesucht werden. Damit sind laut Dreyer viele Fragen verbunden, denn Eigentum habe in Deutschland einen hohen gesetzlichen Schutz. Daher müssten auch viele juristische Fragen geklärt werden. Die Regierungschefin betonte: „Wir wollen den Menschen ihre Heimat zurückgeben.“
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