Jena (dpa)
Infektiologe: Corona an Schulen nicht einfach laufen lassen
Zum Start des neuen Schuljahres ziehen die Corona-Zahlen bei Kindern an. Ein Infektiologe warnt angesichts der Delta-Variante vor einem zu leichtfertigen Umgang mit dem Virus im Klassenzimmer.
Die Corona-Maßnahmen an den Schulen sollten aus Sicht des Jenaer Infektiologen Mathias Pletz auch im neuen Schuljahr nicht komplett aufgehoben werden.
„Nach allem, was wir über Delta wissen, kann man es nicht einfach laufen lassen“, sagte der Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Uniklinikum Jena der Deutschen Presse-Agentur. Zum einen, weil die mittlerweile auch in Deutschland vorherrschende Delta-Variante für Kinder gefährlicher sein könne als bisherige Varianten. Und zum anderen, weil auch viele Erwachsene noch nicht geimpft seien.
Kinder erkranken weniger schwer
Grundsätzlich erkrankten Kinder weniger schwer als Erwachsene an Covid-19, sagte Pletz. Auch gegenüber Teenagern hätten Kinder unter 14 Jahren ein deutlich geringeres Risiko zu erkranken. Während einer schweren Grippewelle etwa sterben demnach mehr Kinder als 2020 durch Covid-19. „Ob das nun mit Delta auch noch gilt, bleibt abzuwarten.“ Bei der Variante wisse man noch nicht, ob sie möglicherweise für schwerere Verläufe bei Kindern verantwortlich ist. „Es gibt aber Berichte aus verschiedenen Regionen der Welt, dass aktuell die Hospitalisierungsrate bei Kindern steigt.“
Schulen sollen möglichst geöffnet bleiben
Auch in Deutschland stiegen in der Gruppe der 5- bis 14-Jährigen zuletzt die Zahlen für Neuinfektionen und Krankenhauseinweisungen. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg in dieser Gruppe laut Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) binnen eines Monats von unter 30 auf über 170 (Stand 2.9.). Die Zahl wöchentlicher Krankenhauseinweisungen mit Covid-19 je 100.000 Kinder verdoppelte sich zeitweise auf über 0,7. Damit lag sie aber weiter unter dem Niveau für andere Altersgruppen. Über alle Altersgruppen hinweg lag der Wert am Freitag bei 1,83.
„Schulen werden sicher nicht mehr so niedrigschwellig geschlossen werden wie man das 2020 gemacht hat“, sagte Infektiologe Pletz. Er plädierte angesichts des Geschehens dafür, zunächst weiter regelmäßig zu testen. Es sei vernünftig, in den ersten Wochen nach den Ferien, wenn die Schüler nach dem Urlaub erstmals wieder aufeinandertreffen, zu testen und sich das Infektionsgeschehen anzusehen.
Ließe man das Virus „durchrauschen“, gäbe es unabhängig davon, wie viel gefährlicher Delta nun für Kinder ist, eine weitere Gefahr: „Kinder können das Virus aus der Schule nach Hause bringen und ihre ungeimpften Eltern anstecken.“ Noch sei die Quote von knapp über 60 Prozent vollständig Geimpften zu niedrig, um alle Maßnahmen aufzuheben. In einigen Modellierungen gebe es bereits Hinweise auf zu erwartende Zahlen bei der Intensivbettenbelegung, „die im Bereich der dritten Welle liegen“.
Immer mehr Ungeimpfte aufIntensiv stationen
Der einzige Weg heraus sei das Impfen. Mittlerweile sei gesichert, dass Impfungen auch besser vor Übertragungen schützen. Dazu komme: „Jeder Corona-Patient, der auf einer Intensivstation behandelt wird, weil er sich nicht impfen lassen wollte, nimmt einem anderen Patienten, der zum Beispiel auf eine komplizierte Tumorchirurgie wartet, das Bett weg.“ Das gelte nicht für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen könnten.
Wie lange es noch bis zu vollständiger Normalität dauere, lasse sich nicht vorhersagen. „Wir haben viele kluge Modellierer. Aber das individuelle menschliche Verhalten, das die größte Rolle spielt, kann man in diesen Modellen nicht gut abbilden.“ Entscheidend sei auch das mögliche Auftreten neuer Varianten. Wenn eine Immun-Escape-Variante mit hoher Übertragbarkeit auftauche - also eine Variante, die einer Immunität durch Impfung oder Infektion entkommen kann - „kann uns das ganz schön zurückwerfen“. Der Vorteil sei, dass sich die Impfstoffe relativ schnell anpassen ließen.
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