Starnberg/München (dpa)

Prozess um Morde von Starnberg: Neuer Verdacht

Britta Schultejans, dpa
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Von Britta Schultejans, dpa
| 06.09.2021 10:05 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Im Prozess um den mutmaßlichen Dreifachmord in Starnberg erhebt die Verteidigung eines der beiden Angeklagten Foltervorwürfe gegen die Ermittler. Foto: Sven Hoppe/dpa
Im Prozess um den mutmaßlichen Dreifachmord in Starnberg erhebt die Verteidigung eines der beiden Angeklagten Foltervorwürfe gegen die Ermittler. Foto: Sven Hoppe/dpa
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Im Prozess um den Mord an einer Familie in Starnberg erhebt die Verteidigung eines Angeklagten heftige Vorwürfe gegen die Polizei - und sie hat einen weiteren Verdächtigen im Visier.

Der erste Blick auf den Tatort war wohl der falsche - doch wie richtig war der zweite? Der Aufsehen erregende Prozess um den Mord an einer Familie in Starnberg wirft immer mehr Fragen auf.

Stimmt die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass ein junger Mann seinen Freund bestehlen wollte und darum ihn und dessen Eltern kaltblütig erschoss? Wie verlässlich ist das Geständnis, das er bei der Polizei abgab? Und welche Rolle spielt ein anderer Freund des ermordeten Sohnes, bei dem Munition aus der Tatwaffe gefunden wurde? Mit diesen Fragen hat das Landgericht München II sich an diesem Montag befasst.

Am Anfang der Verhandlung steht ein brisanter Antrag: Die Verteidigung des als Mittäter angeklagten 20 Jahre alten Slowaken will verhindern, dass die Aussage des Haupttäters bei der Polizei als Beweismittel berücksichtigt wird. Der Grund: Sie wirft der Polizei nicht weniger als Folter vor.

Der angeklagte 21-Jährige hatte nach Polizeiangaben in einer Arrestzelle in Fürstenfeldbruck ein Geständnis abgelegt und seinen Freund und Mitbewohner, den 20-Jährigen, als Komplizen belastet.

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass der heute 21 Jahre alte Hauptangeklagte in der Nacht im Januar 2020 die Familie auslöschte - eine 60 Jahre alte Frau, ihren 64 Jahre alten Mann und den gemeinsamen Sohn. Anschließend habe er die wertvolle Waffensammlung des Sohnes gestohlen. Er steht unter anderem wegen Mordes vor Gericht. Die Vernehmung bei der Polizei ist das einzige Mal, dass er sich bislang zu den Vorwürfen äußerte. Die Aussage hat also großes Gewicht.

Nicht erlaubte Vernehmungsmethoden?

In dem Antrag heißt es nun: Die „angeblich gewonnenen Informationen beruhen auf verbotenen Vernehmungsmethoden“. Die Anwälte werfen der Polizei „Erniedrigung, Quälerei und Misshandlung“ bei dem Verhör in Fürstenfeldbruck vor. Die Polizei weist das entschieden zurück: „Der Vorwurf der Folter entbehrt jeglicher Grundlage“, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord, die Staatsanwaltschaft München II schließt sich dieser Stellungnahme an.

„Die Zelle war dunkel, abgesehen von einer Neonlampe“, führen die Anwälte weiter aus. Der Angeklagte, der ihren mitangeklagten Mandanten in seiner Aussage belastete, sei „entweder ganz nackt oder nur mit einer Unterhose bekleidet und darüber hinaus lediglich notdürftig mit einer braunen Decke“ versorgt gewesen. Aufgrund einer schweren Neurodermitis habe der junge Mann „blutige Stellen am gesamten Körper“ gehabt.

Die Vernehmung des Deutschen, der möglicherweise auch noch unter Drogeneinfluss gestanden und darum nicht vernehmungsfähig gewesen sein könnte, wurde nicht aufgezeichnet. Dadurch habe „die Folter (...) offensichtlich kaschiert werden“ sollen, sagt Stevens. Die Befragung sei „in der Haftzelle, ohne jegliche Protokollierung oder vorgeschriebene Aufzeichnung“ erfolgt. Die Ermittlerin sei „nur mit einer Butterbreze“ dort aufgetaucht.

Gericht muss prüfen

Die Polizei will sich zu den Vorwürfen weiter nicht äußern. „Es gebietet der Respekt vor der Justiz, dass die Polizei in einem laufenden Gerichtsverfahren zu Vorgängen, die in diesem Verfahren behandelt werden, keine Auskunft erteilt. Sofern die Verteidigung derartige Vorwürfe bei Gericht vorbringt, werden sie Gegenstand der richterlichen Überprüfung sein“, sagt der Sprecher.

Zunächst waren die Ermittler bei der Tat von einem anderen Szenario ausgegangen. Nämlich davon, dass der Sohn erst seine Eltern und dann sich selbst erschoss. Er wurde mit der Waffe in der Hand gefunden, Schmauchspuren wurden festgestellt.

Die Verteidigung des Mitangeklagten hat aber auch an der neuen Version der Staatsanwaltschaft erhebliche Zweifel und gibt an, es gebe zahlreiche Hypothesen, was in jener Januarnacht 2020 in Starnberg geschehen ist.

Sie legt darum auch großes Augenmerk auf einen 19 Jahre alten Freund des Tatverdächtigen und Opfers, der am Montag vor Gericht erscheint: Bei dem jungen Mann fand das SEK Munition aus der Tatwaffe. Ermittlungen gegen ihn wurden aber eingestellt. Ob das richtig war, an dieser Einschätzung hat die Verteidigung des 20-Jährigen allerdings ihre Zweifel.

In Widersprüche verstrickt

Die Aussage des 19-Jährigen dürfte Wasser auf ihre Mühlen sein. Er verstrickt sich in Widersprüche, beruft sich auf angebliche Erinnerungslücken und sagt auf eine Frage auch, er könne sie nicht beantworten, ohne sich selbst zu belasten.

Die Patronenhülse aus der Tatwaffe soll ein Geschenk des späteren Opfers gewesen sein. Am Tattag habe er eigentlich selbst im Haus der Familie sein und sich dort mit seinem Kumpel treffen wollen. Der Hauptangeklagte habe ihm dann aber geschrieben, dass es an dem Wochenende nicht gehe, weil er mit dem später getöteten jungen Mann die Waffensammlung verkaufen wolle.

„Was ist mit den ganzen Sachen?“, heißt es in einem Chat zwischen dem mutmaßlichen Haupttäter und dem Zeugen. Und: „Die Kacke ist am Dampfen.“ Der Hauptangeklagte forderte ihn schließlich - noch vor dessen Verhaftung - auch auf, den Whatsapp-Chat mit ihm und Waffenfotos zu löschen. Außerdem gab es laut Gericht eine Chatgruppe, in der es um den Verkauf von Waffen gegangen sein soll. Der Name der Gruppe: „Die Idioten vom Starnberger See“.

© dpa-infocom, dpa:210906-99-108766/4

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