Kabul (dpa)
Taliban stellen Übergangskabinett für Afghanistan vor
Die militant-islamistischen Taliban hatten betont, dass sie eine Regierung nicht nur aus ihren eigenen Mitgliedern bilden werden. Mit den ersten Besetzungen werden sie dieser Ansage nicht gerecht.
Die militant-islamistischen Taliban haben Teile eines Übergangskabinetts für Afghanistan vorgestellt.
Demnach wird der öffentlich wenig bekannte Mullah Mohammed Hassan Achund amtierender Vorsitzender des Ministerrats, was dem Amt eines Premierministers gleichkommt. Das erklärte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Kabul.
Die Ernennung Achunds als Regierungschef gilt als Überraschung. Er ist eines der Gründungsmitglieder der Taliban, war zuletzt im Führungsrat, der Rahbari Schura, und gilt als enger Vertrauter des Taliban-Führers Haibatullah Achundsada. Achund, der in Afghanistan Mullah Hassan genannt wird, hielt bereits während der ersten Taliban-Herrschaft wichtige Posten: UN-Angaben zufolge war er Außenminister und Gouverneur der Provinz Kandahar, aus der er stammt. Achund gilt als gemäßigt. Seit 2001 steht er im Zusammenhang mit den Handlungen und Aktivitäten der Taliban auf einer UN-Sanktionsliste.
Die Taliban hatten nach massiven militärischen Gebietsgewinnen Mitte August die Macht in Afghanistan übernommen. Der bisherige Präsident Aschraf Ghani war kurz davor aus dem Land geflohen. Seit ihrer Machtübernahme bemühen sich die Islamisten um eine gemäßigtere Außendarstellung als zu Zeiten ihrer Schreckensherrschaft zwischen 1996 und 2001. Es besteht dennoch weiter die Sorge, dass die militante Gruppe ihre Herrschaft auf Unterdrückung und drakonischen Strafen gründen könnte.
Insgesamt 33 Posten besetzt
Taliban-Sprecher Mudschahid sagte, man habe sich darauf geeinigt, ein Übergangskabinett zu ernennen und bekanntzugeben, „um die notwendigen Regierungsarbeiten durchführen zu können“. Insgesamt besetzten die Taliban 33 Posten. Die Besetzung der verbleibenden Führungspositionen von Ministerien und Institutionen werde man sukzessive bekanntgeben, sagte Mudschahid weiter.
Zu einem von zwei Stellvertretern Achunds wurde Mullah Abdul Ghani Baradar ernannt, der bisherige Vizechef der Taliban. Er wurde nach seiner Freilassung aus pakistanischer Haft im Jahr 2018 das öffentliche Gesicht der Islamisten und unterzeichnete 2020 für die Taliban das Abkommen mit den USA unter anderem über ein Ende des US-geführten Militäreinsatzes in Afghanistan. Er telefonierte auch mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump.
Die Ernennung von Achund zeige, „wie wenig wir im Westen über die Taliban wissen und ihre Entscheidungen voraussagen können“, sagte der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network. Vor der Bekanntgabe waren die allermeisten Beobachter davon ausgegangen, dass Mullah Baradar Regierungschef wird.
Andere Personalien sind weniger überraschend. Mullah Jakub, der älteste Sohn des langjährigen, verstorbenen Taliban-Chefs Mullah Omar, wird Verteidigungsminister. Er soll etwa Mitte 30 sein und als Taliban-Vizechef die Milizen gesteuert haben. Siradschuddin Hakkani, der dritte Vizechef der Taliban und Chef des berüchtigten Hakkani-Netzwerkes, wird Innenminister. Das Hakkani-Netzwerk wird für einige der grausamsten Anschläge in Afghanistan verantwortlich gemacht. Die USA suchen den etwa Mitte-40-jährigen Hakkani mit einem siebenstelligen Kopfgeld.
Als Aufsteiger innerhalb der Taliban-Reihen sehen Beobachter Amir Chan Motaki. Er war Bildungs- und Informationsminister während der Taliban-Herrschaft 1996 bis 2001 und wird nun Außenminister. Er gilt als eine der versöhnlichsten Figuren innerhalb der Bewegung und leitete bislang die Aussöhnungskommission der Taliban. Mit Abdul Hak Wasik wird ein ehemaliger Guantánamo-Häftling Chef des Geheimdienstes.
Ministerium für „Einladung, Führung, Laster und Tugend“
Ein Frauenministerium findet sich bisher nicht auf der veröffentlichten Liste. Dafür wurde ein Ministerium für „Einladung, Führung, Laster und Tugend“ eingeführt, das die Afghanen vom Namen her an das Ministerium „für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters“ erinnern dürfte. Diese Behörde hatte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Menschen zum Gebet gezwungen oder Männer dafür bestraft, wenn sie keinen Bart trugen.
Kritik an der Zusammensetzung des Kabinetts folgte prompt. Die Islamisten hatten zuletzt immer wieder betont, eine „inklusive Regierung“ ernennen zu wollen. Kurz nach ihrer Machtübernahme hatten sie regelmäßig andere Politiker des Landes wie etwa den Ex-Präsidenten Hamid Karsai oder den bisherigen Leiter des Hohen Versöhnungsrates, Abdullah Abdullah, zu Gesprächen getroffen. Ihrer Ankündigung wurden sie nun aber nicht gerecht: Bei allen bisher bekannten Besetzungen handelt es sich um Taliban-Mitglieder.
Auch ethnisch geht es bisher einseitig zu. Der Afghanistan-Experte der Denkfabrik International Crisis Group, Ibraheem Bahiss, schrieb auf Twitter, soweit er dies beurteilen könne, seien bis auf zwei Tadschiken und einen Usbeken alle Postenträger Paschtunen. Mitglieder der Minderheit der Hasara etwa fehlen völlig.
Westliche Unterstützung von Inklusivität abhängig
Die Frage der Inklusivität ist relevant, da viele westliche Regierungen davon abhängig machen, ob sie die künftige Regierung anerkennen und das Land, das massiv von ausländischen Hilfsgeldern abhängig ist, unterstützen werden. „Mit so einem Taliban-Kabinett wird die Welt Afghanistan nicht mal mit einem Dollar helfen“, schrieb ein afghanischer Journalist auf Twitter.
Der ehemalige Gouverneur von Balch, Mohammed Atta Nur, kritisierte die Zusammensetzung unter anderem für einen Mangel an Professionalität und Frauen. Sie widerspreche zudem dem Geist der gültigen Verfassung des Landes.
Die Ankündigung zur Übergangsregierung erfolgte nur Stunden, nachdem die Taliban in der Hauptstadt Kabul in die Luft feuerten, um Hunderte Demonstranten auseinanderzutreiben. Die Menschen waren gegen eine mutmaßliche Einmischung Pakistans in Afghanistan auf die Straßen gegangen. Indirekt kritisierten sie aber auch die Islamisten. Die Taliban hatten zudem mehrere Journalisten für mehrere Stunden festgenommen.
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