München (dpa)
Prozess gegen mutmaßliche IS-Terroristin auf der Zielgeraden
Sah eine Frau aus Niedersachsen im Irak tatenlos dabei zu, wie ein kleines jesidisches Mädchen angekettet in der Mittagssonne verdurstete? Der Terrorprozess gegen sie geht nun auf die Zielgerade.
Es ist ein Mammutverfahren geworden: Rund zweieinhalb Jahre nach Prozessbeginn geht das Verfahren gegen die IS-Rückkehrerin und Terrorverdächtige Jennifer W. auf die Zielgerade.
Das Oberlandesgericht wird entscheiden müssen, ob die junge Frau aus Lohne in Niedersachsen wegen Mordes durch Unterlassen, Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Kriegsverbrechen verurteilt wird. Für diesen Montag erwartet das Gericht - wenn keine Anträge der Verteidigung mehr dazwischen kommen - das Plädoyer der Bundesanwaltschaft.
Fast zwei Jahre hatte Jennifer W. geschwiegen, im März dieses Jahres äußere sie sich dann erstmals zu den grausigen Vorwürfen: Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung räumte sie ein. Und auch zu dem furchtbaren Verdacht, sie habe im irakischen Falludscha dabei zugesehen, wie ein kleines jesidisches Mädchen ungeschützt in praller Sonne bei 45 Grad verdurstete, nahm sie in einer persönlichen Erklärung Stellung, nachdem zuvor die Mutter des Kindes als wichtigste Zeugin ausgesagt hatte.
Das kleine Mädchen gehörte der vom Islamischen Staat (IS) systematisch verfolgten Religionsgemeinschaft der Jesiden an. Das Kind soll aus einer Gruppe jesidischer Kriegsgefangener gekauft und als Sklavin gehalten worden sein. Laut Anklage war die Fünfjährige krank und hatte ins Bett gemacht. In der Sonne angekettet zu werden, war die Strafe dafür. Jennifer W. gab vor Gericht an, sie habe dem Mädchen helfen wollen, sich aber wegen ihres Mannes, der wegen der Vorwürfe in Frankfurt vor Gericht gestellt wurde, nicht getraut.
Der Prozess gegen Jennifer W. hatte zu Beginn im April 2019 Schlagzeilen gemacht, auch weil eine äußerst prominente Anwältin anfangs eine zentrale Rolle spielte: die Menschenrechtsexpertin Amal Clooney, die die Nebenklägerin und Mutter des getöteten Mädchens vertritt, vor Gericht in München aber nie erschien. Vor dem Prozess ließ sie in einer gemeinsamen Erklärung der Nebenklage und der jesidischen Organisation Yazda verlauten: „Jesidische Opfer warten schon viel zu lange auf ihre Gelegenheit, vor Gericht auszusagen.“
Nach Yazda-Angaben war der Münchner Prozess seinerzeit die weltweit erste Anklage wegen Straftaten von IS-Mitgliedern gegen die religiöse Minderheit der Jesiden. Die Friedensnobelpreisträgerin und Jesidin Nadia Murad nannte den Prozess einen großen Moment und ein wichtiges Verfahren für alle jesidischen Überlebenden.
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