Dortmund (dpa)

Aytekin-Zeichen: Debatte um „widerwärtige“ Respektlosigkeit

Ulrike John und Heinz Büse, dpa
|
Von Ulrike John und Heinz Büse, dpa
| 26.09.2021 10:55 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Dortmunds Mahmoud Dahoud geht nach der Gelb-Roten Karte vom Platz. Foto: Bernd Thissen/dpa
Dortmunds Mahmoud Dahoud geht nach der Gelb-Roten Karte vom Platz. Foto: Bernd Thissen/dpa
Artikel teilen:

Fußballprofis haben auch Vorbildcharakter. Dennoch zieht sich ein Unwesen durch alle Profiligen. Schiedsrichter Deniz Aytekin setzt beim Derby Gladbach - Dortmund ein „Zeichen“. Mit Folgen?

Das ewige Reklamieren, das verächtliche Abwinken, die Unschuldsmienen nach klaren Fouls - diese Unsitte schien im Profifußball einfach dazuzugehören. Bis zum Samstag.

Da bestrafte Schiedsrichter Deniz Aytekin den Dortmunder Mahmoud Dahoud mit einer Gelb-Roten Karte, weil er einfach genug hatte. Er wollte „ein Zeichen setzen“ und trat eine interessante Debatte los. Fakt ist, dass alle Regelhüter dieser Welt es bisher nicht geschafft haben, auf die Spieler Einfluss zu nehmen. Der frühere WM-Referee und Schiedsrichter-Funktionär Hellmut Krug schlägt die Einführung der Zeitstrafe für solche Fälle vor.

Die Aufregung im Lager des BVB über die Sanktion gegen Dahoud beim 0:1 im Bundesliga-Duell bei Borussia Mönchengladbach war groß. Aytekin habe durch seine Gestik und Mimik zusätzlich Hektik in die Partie gebracht und sei „wie ein Kapellmeister“ aufgetreten, kritisierte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im „Doppelpass“ bei Sport1. Dahouds Protest sei „nicht außergewöhnlich schlimm“ gewesen. „Es ist nicht total respektlos“, sagte Watzke.

Aytekin fordert Respekt

Das sah Aytekin komplett anders. Der 43-Jährige aus Oberasbach stellte den bereits verwarnten Mittelfeldspieler vom Platz, nachdem er auf seinen Pfiff nach einem Foulspiel mit einer abfälligen Geste reagiert hatte. „Wir hatten in der ersten Szene wenige Minuten vorher Guerreiro, der abwinkt. Ich habe ihm unmissverständlich erklärt, dass ich dieses Verhalten auf dem Platz nicht möchte. Wir haben ein Mindestmaß an Respekt verdient“, erklärte der erfahrene Unparteiische dem TV-Sender Sky.

„Mo ist der Hauptverantwortliche dafür, das weiß er auch“, sagte Watzke. Dennoch befand der BVB-Boss, ein anderer Referee wie Manuel Gräfe hätte die Szene anders gelöst. „Der hätte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und hätte ihm gesagt, jetzt ist Schluss mit der Reklamiererei“, sagte der 62-Jährige.

Dahoud selbst bat via Instagram sein Team und die BVB-Fans um Entschuldigung. „Mir ist ein respektvoller Umgang auf und neben dem Platz wichtig“, versicherte der 25-Jährige.

Kinhöfer verteidigt Aytekin

Der ehemalige Spitzenschiedsrichter Thorsten Kinhöfer verteidigte Aytekin für seine Aktion. Der frühere DFB- und FIFA-Referee griff in seiner Kolumne in der „Bild am Sonntag“ auch Fußballer für ähnliches Verhalten an. „Ich sage es ganz offen: Ich kann diese Art nicht ab. Dieses Reklamieren, diese Theatralik, diese Schauspielerei - widerwärtig finde ich das“, schrieb Kinhöfer. Aytekin habe Dahoud „zu Recht“ zum Duschen geschickt.

Der frühere Erstliga-Spielleiter Krug, lange in führender Position beim DFB, später auch für die Deutsche Fußball Liga (DFL) und den Schweizer Fußball-Verband tätig, schlägt für solche Fälle die Einführung von Zeitstrafen vor. „Mit einer Zeitstrafe wäre allen gedient, damit könnte man das rigoros eingrenzen“, sagte der 65-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.

Abwinken eine „Unsitte“

„Damit gibt man den Schiedsrichtern ein Tool an die Hand, mit dem sie einen Spieler und sein Team umgehend und spürbar sanktionieren können, ohne mit einer potenziellen Gelb-Roten Karte allzu großen Einfluss aufs Spiel ausüben“, so Krug weiter. „Das hat sich ja in vielen Sportarten bewährt.“ Die Zeitstrafe habe es vor einigen Jahren auch schon im Amateurfußball gegeben, wo sie von allen Referees und den meisten Beteiligten positiv beurteilt worden sei.

Auch der 65-Jährige hält das ständige Reklamieren und Abwinken für eine „Unsitte, die wir seit vielen Jahren erleben“. Viele Zuschauer haben sich längst an solche Szenen gewöhnt. Zum Beispiel auch daran, dass viele Torhüter gerne erstmal den Arm heben bei Gegentreffern - als vorauseilender Protest für eine Abseits- oder Foulsituation. Oder das bei Aus-Bällen Spieler beider Teams fast schon automatisch den Arm wie eine beidseitige Bahnschranke heben und den Einwurf für sich beanspruchen. „Natürlich hat das Vorbildcharakter“, sagte Krug mit Blick auf den Amateur- und Nachwuchsfußball.

© dpa-infocom, dpa:210926-99-363370/3

Ähnliche Artikel