Berlin (dpa)
Deutschland und die „Ménage-à-trois“
Mit dem Ende der alten Gewissheiten und klassischen Polit-Ehen kommen in der Politik Dreierbündnisse in Mode - jetzt wohl auch im Bund. Psychologen kennen die Fallstricke solcher Konstellationen.
Dreiecksverhältnisse - bildungsbürgerlich gern auch „Ménage-à-trois“ genannt - kennt man aus französischen Filmen wie etwa dem 60 Jahre alten, tödlich endenden Nouvelle-Vague-Klassiker „Jules und Jim“. Nun also steht Deutschland wohl die erste Dreierkoalition im Bund bevor. Psychologen sehen da eine ganz eigene Dynamik - und raten der neuen Bundesregierung zu klaren Regeln.
„Auch Menschen, die offensichtlich erstmal vielleicht sehr unterschiedlich sind, können durchaus in einer Beziehung erleben: Okay, ich kann mich auf diese andere Person verlassen“, sagt der Hamburger Paartherapeut Eric Hegmann. Psychologen wie er weisen gern darauf hin, dass das Besondere zu dritt immer sei, dass sich tendenziell einer ausgeschlossen fühlen könne, weil zwei der drei sich besser verstünden.
Es gebe oft Zweierkonstellationen (Dyaden) innerhalb von Dreierkonstellationen (Triaden). Das könne den Dritten kränken, weil ein vorübergehendes Gefühl des Alleingelassenseins zu verkraften sei.
Vertrauen in die Partner
Das Phänomen scheint vor vier Jahren bei den damaligen Verhandlungen eines sogenannten Jamaika-Bündnisses aufgetreten zu sein, die die FDP aus Frust über die schwarz-grün geprägten Gespräche verließ: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte FDP-Chef Christian Lindner damals einprägsam.
Paartherapeut Hegmann betont: „Vertrauen ist ein ganz wichtiger Faktor für jede Beziehung. Inwieweit es den Partnern dann gelingt, über frühere Verletzungen hinwegzusehen, dafür gibt es einen Schlüssel, der nennt sich 5:1 - und das bedeutet, es braucht auf eine negative Erfahrung fünf positive Erfahrungen, um diese negative Erfahrung auszugleichen.“ Man müsse sich also in einer Partnerschaft wirklich Mühe geben, wenn man sich vorher sehr gestritten habe.
Bei Dreierbündnissen zieht der Therapeut, auch wenn es in der Politik natürlich nicht um Liebesverhältnisse geht, einen Vergleich zu privaten Dreiecksverhältnissen und Beziehungen mit noch mehr Beteiligten. Polyamore Beziehungen, also Partnerschaften mit mehr als einer Person, seien ein Minderheitenphänomen. „Es braucht sehr viel Transparenz, sehr viel Offenheit und auch sehr viel Wahrheit.“ Aber es gebe Beispiele, dass dies gut funktionieren könne.
Beziehung auf Augenhöhe
Das sei aber viel anspruchsvoller als eine Zweierbeziehung. „In einem Dreierverhältnis müssen sich die Partner tatsächlich gleichwertig fühlen, damit es funktionieren kann. Es muss eine Beziehung auf Augenhöhe sein - und das ist häufig schwer herzustellen. Einer von den Dreien ist häufig der, der die anderen sozusagen um sich schart.“
Da müssten die Partner gegensteuern - „damit es eben nicht ständig Zweierbündnisse gibt gegen einen Dritten“. Das sei eine Herausforderung - vor allem für die Verhandlungen am Anfang. Der Therapeut rät: „Es muss immer die Möglichkeit geben nachzuverhandeln. Sie können nie vorher wissen, was rauskommt aus dem, was Sie da verhandelt haben - und Sie müssen die Möglichkeit haben zu sagen: Okay, das hat nicht so gut funktioniert, wie wir gedacht haben. Wir müssen nachverhandeln.“
Der Verhandlungsexperte Matthias Schranner aus Zürich, der unter anderem Referent an der Universität St. Gallen ist, glaubt, dass Koalitionen Ehen ähneln. Wichtig sei ein „Klima, mit dem man was bewegen kann“. Sein Blick von außen auf die deutsche Politik lässt ihn weniger skeptisch sein in Bezug auf FDP und Grüne und deren in Deutschland stets betonte Differenzen: „Die Leute am Verhandlungstisch, Christian Lindner und Annalena Baerbock, die sind ja eine Generation, und ich glaube schon, dass das verbindet.“
Fehlen die Volksparteien?
Viel beschworen wird in diesen Tagen - nach 16 Jahren mit Kanzlerin Angela Merkel und mit keiner Partei mehr über 30 Prozent -, dass es ähnlich wie in anderen Ländern wie etwa den Niederlanden keine Volksparteien mehr gebe. Zweierkoalitionen wie sie lange üblich waren in der alten Bundesrepublik - sozial-liberal, Schwarz-Gelb, Rot-Grün - sind seltener geworden. Die Hälfte der Bundesländer kennt derzeit schon Dreierkoalitionen in allen möglichen Konstellationen.
Dennoch: Insgesamt erfüllten Dreierbündnisse die Bevölkerung mit weniger Vertrauen als die Doppel, erklärt eine der bekanntesten deutschen Meinungsforscherinnen, Renate Köcher vom Allensbach-Institut, unmittelbar nach der Wahl. Erhebungen hätten gezeigt, dass knapp zwei Drittel der Wähler davon überzeugt seien, dass eine solche Koalition „eher Probleme hätte, effizient zusammenzuarbeiten“. Köcher weiter: „Die Bürger trauern ein bisschen den Zweierkoalitionen nach, weil sie zunächst einmal überzeugt sind, dass da die Spannungen am geringsten sind.“
Wenn es nun aber doch die erste Dreierkoalition im Bund und womöglich eine sogenannte Ampel aus SPD, FDP und Grünen in der Regierung geben sollte, ist das im Grunde auch nicht ganz neu. Denn die Koalitionen aus Union und Sozialdemokraten unter Merkel bestanden genau genommen auch schon aus drei Parteien: CDU, SPD - und CSU.
© dpa-infocom, dpa:210928-99-389983/2