Kranj (dpa)

Erweiterungspolitik: EU-Staaten erzielen Kompromiss

| 05.10.2021 05:14 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Beim Westbalkan-Gipfel soll schriftlich festgehalten werden, dass sich die EU weiter zum Erweiterungsprozess bekennt. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Beim Westbalkan-Gipfel soll schriftlich festgehalten werden, dass sich die EU weiter zum Erweiterungsprozess bekennt. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
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Die EU steht vor schwierigen Diskussionen über ihre eigenen Ambitionen auf der internationalen Bühne. Bei einem Gipfel in Slowenien soll Klartext geredet werden - auch gegenüber Beitrittsaspiranten.

Die EU-Staaten haben sich nach hartem Ringen auf einen Kompromiss im Umgang mit den EU-Beitrittshoffnungen der sechs Westbalkan-Länder geeinigt.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur soll beim EU-Westbalkan-Gipfel am Mittwoch in Slowenien erstmals schriftlich festgehalten werden, dass sich die Europäische Union weiter zu dem begonnenen Erweiterungsprozess bekennt. Zugleich soll allerdings betont werden, dass die Fähigkeit zur Integration neuer Mitglieder in die EU auch eine Weiterentwicklung der Union selbst voraussetzt.

Mit dem Zusatz will sich nach Angaben von Diplomaten vor allem die Regierung in Paris die Möglichkeit offenhalten, die Aufnahme neuer Mitglieder zu blockieren, wenn sich die EU in den kommenden Jahren aus französischer Sicht als nicht reformfähig erweisen sollte. Die Beitrittsaspiranten Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina sowie das Kosovo haben damit weiter keine absolute Klarheit über ihre Chancen auf einen EU-Beitritt.

Slowenien fordert Klarheit - Paris lehnt ab

Über den Kurs der EU bei dem bevorstehenden Westbalkan-Gipfel war bis Montag tagelang hinter verschlossenen Türen gerungen worden. So forderte Gipfelgastgeber Slowenien laut Diplomaten zuletzt nicht nur ein Bekenntnis zum Erweiterungsprozess, sondern auch, den Westbalkanstaaten eine Aufnahme bis 2030 in Aussicht zu stellen. Andere Staaten wie Frankreich und die Niederlande lehnten dies hingegen vehement ab. Sie argumentieren, dass die meisten Westbalkan-Staaten aller Voraussicht nach bis dahin nicht in der Lagen seien, die notwendigen Reformen so schnell umzusetzen.

Zudem hält vor allem Paris die Europäische Union wegen ungelöster Probleme in den eigenen Reihen für derzeit nicht erweiterungsfähig. So wird beispielsweise befürchtet, dass eine Erweiterung um sechs weitere Länder die schon jetzt oft sehr zeitraubenden Entscheidungsprozesse noch schwieriger machen könnte.

Länder wie Deutschland argumentieren hingegen, dass es erhebliche Risiken berge, die Hoffnungen der Beitrittsaspiranten zu enttäuschen. Sie verweisen darauf, dass die Balkanstaaten auch von Ländern wie Russland, China und der Türkei umworben werden. Enttäuschte Hoffnungen beim Ausbau der Beziehungen zur EU könnten deswegen dazu führen, dass von den EU-Staaten eingeforderte Reformen für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vernachlässigt werden.

Verhandlungen sollten schon 2020 beginnen

Als besonders heikel gilt, dass die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien bereits seit rund einem Jahr von Bulgarien aus innenpolitischen Gründen blockiert wird - und das obwohl eigentlich bereits im März 2020 ein klarer EU-Beschluss für den Start von Verhandlungen getroffen wurde.

Der Gipfel müsse „die eindeutige Botschaft aussenden, dass der Beitritt für die Westbalkanstaaten ein erreichbares Ziel ist“, kommentierte Bundesaußenminister Heiko Maas nach einem Treffen mit seinem nordmazedonischem Kollegen Bujar Osmani. Unter den politischen Parteien im Deutschen Bundestag gebe es einen starken Konsens über die Unterstützung für die EU-Beitrittsperspektive des Westbalkans. „Unser Engagement werden wir auch über die aktuelle Phase des politischen Übergangs hinaus fortsetzen“, betonte der SPD-Politiker.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sagte der „Welt“ vor dem Gipfel, wenn die Europäer beim Beitritt von Ländern wie Spanien, Portugal und Griechenland, aber auch bei der Osterweiterung vor 15 Jahren so streng auf die Einhaltung der Beitrittskriterien geachtet hätten wie jetzt im Fall der Westbalkan-Staaten, dann wären einige dieser Länder womöglich heute noch nicht Teil der EU. „Es ging und geht beim Beitritt zur EU doch um das politische Ziel, junge Demokratien zu stützen und unser europäisches Lebensmodell fest zu verankern.“

Um die Balkanstaaten bei der Stange zu halten und sie bei ihren Reformanstrengungen zu unterstützen, sollen sie nach der vorbereiteten Gipfelerklärung allein in diesem Jahr über einen Wirtschafts- und Investitionsplan rund 1,1 Milliarden Euro an EU-Mitteln erhalten. Die Kommission wolle dafür noch ein neues Paket in Höhe von 600 Millionen Euro vorschlagen, heißt es in dem Text. Insgesamt sollen in den kommenden sieben Jahren rund 30 Milliarden Euro für die Region mobilisiert werden - unter anderem auch über neue Garantien.

EU entsetzt über Alleingänge der USA

Bevor sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten am Mittwoch mit den Spitzen der Westbalkanstaaten treffen, wollen sie heute bei einem Abendessen in kleinem Kreis über mögliche Konsequenzen aus den jüngsten außenpolitischen Alleingängen der USA beraten. Angesichts der Entwicklungen in Afghanistan, der Sicherheitspartnerschaft Aukus und der Entwicklung der Beziehungen zu China hat EU-Ratschef Charles Michel eine strategische Diskussion über die Rolle der EU auf der internationalen Bühne angesetzt.

In der EU hatte es Entsetzen darüber gegeben, dass die USA in den vergangenen Monaten hinter dem Rücken der EU mit Großbritannien und Australien einen Sicherheitspakt für den Indopazifik ausgehandelt hatten. Zudem wird Washington mit Blick auf den Abzug aus Afghanistan mangelnde Rücksicht auf Interessen der EU-Partner vorgeworfen. Hinzu kommt eine teils große Skepsis gegenüber dem konfrontativen Kurs der USA gegen China und den Versuchen, die EU ins Boot zu holen.

Vor allem Frankreich fordert in sicherheitspolitischen Fragen mehr Unabhängigkeit von der Supermacht USA. Andere Länder haben hingegen die Befürchtung, dass eine Abnabelung die EU am Ende zusätzlich schwächen könnten. Auch die noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich zuletzt eher zurückhaltend zu den Forderungen aus Paris positioniert.

© dpa-infocom, dpa:211005-99-481669/5

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