Houston (dpa)
„Final Countdown“ - Esa-Astronaut Maurer fliegt zur ISS
Er hat jahrelang hart trainiert und für den Notfall auch gelernt, wie man Zähne zieht. Jetzt geht es für Matthias Maurer los ins Weltall. Es begleiten ihn Vorfreude, Respekt - und ein Stein aus der Heimat.
Von der Ostküste in den Orbit: Erstmals seit drei Jahren fliegt Ende Oktober (30.10.) wieder ein Deutscher ins All - und Matthias Maurer kann den Start vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida kaum erwarten.
„Da draußen ist so viel, was wir noch nicht erforscht haben und noch nicht verstehen. Und dieses unglaubliche Abenteuer, den Weltraum und alles, was darin vorkommt, zu entdecken, ist einfach faszinierend“, sagt Maurer voller Vorfreude auf seine Entdeckermission auf der Internationalen Raumstation ISS.
Rund ein halbes Jahr lang wird der Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur Esa auf dem Außenposten der Menschheit leben. Er will dabei auch ein guter Botschafter für die Menschen auf der 400 Kilometer entfernten Erde sein. „Wer Interesse am Thema Raumfahrt hat, darf sich auf neue Fotos, Videos und mehr aus dem All freuen“, erzählt der gebürtige Saarländer der Deutschen Presse-Agentur.
Maurers Raumschiff: „Crew Dragon“ von SpaceX
Nach seinem Start zusammen mit drei US-Kollegen - zwei Männer und eine Frau - wird Maurer der zwölfte Deutsche im All sein und der vierte Deutsche auf der ISS. Als erster Deutscher wird er mit einer „Crew Dragon“-Kapsel zum fliegenden Labor gelangen. Das ist auch ein Zeichen für den Paradigmenwechsel im Weltraum: Maurers Vorgänger sind etwa mit russischen „Sojus“-Kapseln oder dem US-amerikanischen Space Shuttle zum Koloss im Kosmos gereist. Maurers Raumschiff hingegen stammt von der Privatfirma SpaceX von Tesla-Chef Elon Musk.
Mit 51 Jahren ist Maurer der älteste deutsche Raumfahrer bei einem Erstflug. Der Mann mit einem Doktortitel in Materialwissenschaft ließ nach seiner Esa-Bewerbung mehr als 8000 Kandidaten hinter sich.
Jahrelang trainierte er für die Reise in die Schwerelosigkeit, unter anderem in Moskau. Sein Russisch sei zwar nicht so gut wie sein Englisch, sagt „Deutschlands nächster Mann im All“. Aber falls er wie geplant während seiner Mission ins All aussteige, trage er einen russischen Raumanzug. „Dann muss ich Russisch sprechen. Ich könnte zwar zu Englisch wechseln, will es aber auf Russisch schaffen.“
Für alles gerüstet
Überhaupt sei die sehr umfassende Ausbildung vom Wissenschaftler zum Techniker bis hin zum Mechaniker eine hervorragende Vorbereitung, sagt Maurer. „Im Fall der Fälle müssen wir unseren Kolleginnen und Kollegen helfen können. Deswegen lernen wir auch, eine offene Wunde zu reinigen, zu nähen, zu Klammern oder zu kleben. Im Extremfall können wir auch eine Zahnfüllung reparieren oder einen Zahn ziehen.“
Mit rund 28.000 Stundenkilometern rast die ISS in etwa 90 Minuten einmal um den Erdball. Raumfahrer schwärmen vom Blick auf unseren Planeten. Nachts funkeln Städte als Leuchtfeuer der Zivilisation, tagsüber glitzern Ozeane. Gut ein Dutzend Nationen - neben den USA und Russland vor allem Europäer sowie Japan und Kanada - beteiligen sich an der ISS. Der Forschungskomplex ist seit 2000 dauerhaft von Raumfahrern bewohnt und gilt als technische Großtat - trotz Mängeln. Als bisher letzter Deutscher flog Alexander Gerst 2018 zur ISS.
Während seiner Mission namens „Cosmic Kiss“ wird Maurer mehr als 100 Experimente durchführen, davon 36 mit deutscher Beteiligung. Eins davon ist ein Fitnessanzug mit eingebauten Elektroden, der mit leichten elektrischen Impulsen den Muskelaufbau unterstützt. „Zum Teil haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehrere Jahre investiert, um Experimente für die ISS vorzubereiten“, betont Maurer. „Ich werde alles geben, um sie gut und erfolgreich durchzuführen.“
Und wie nutzt er seine knappe Freizeit an Bord? Vor wenigen Tagen veröffentlichte er eine Liste mit 113 Liedern, die er im All hören möchte, etwa „Sternenhimmel“ von Hubert Kah oder „The Final Countdown“ von Europe. „Ich denke, sie ist ziemlich gut geworden.“
Ein Stück Heimat im Gepäck
Im Gepäck hat Maurer auch einen Rötelstein aus der Heimat, dem Oberthaler Ortsteil Gronig. Solche Steine habe man einst zum Zeichnen verwendet - und die Oberthaler seien damit bis ans Mittelmeer gereist, um Handel zu treiben. Der Stein stehe für Wissenstransfer mit anderen Ländern, sagt der Esa-Astronaut. „Und genau das machen wir auch heute: Wir fliegen zur ISS als Teil eines internationalen Teams, und der Rötelstein soll ein Zeichen dafür sein, was man erreichen kann, wenn man gemeinsam etwas Großes angeht.“
Privatkleidung nimmt Maurer nicht mit. „Es gibt Standardkleidung. Zum Beispiel haben Astronautinnen so viel Unterwäsche, dass sie diese alle zwei Tage wechseln können, Astronauten wechseln alle drei Tage.“
Er habe pro Woche ein T-Shirt, das er dann in der Folgewoche zum Sport trage. „Für meine sechsmonatige Mission habe ich sechs Hosen dabei - eine pro Monat. Da muss man schon aufpassen, dass man sich nicht schmutzig macht“, sagt er schmunzelnd. Auf der ISS gebe es keine Waschmaschine. Schmutzwäsche und Ähnliches packt die Besatzung in einen ausgedienten Transporter, der abgedockt wird und verglüht.
Frühmorgens soll Maurer am Samstag (30.10.) mit den Nasa-Astronauten Thomas Marshburn, Raja Chari und Kayla Barron zu den Arbeitsplätzen im All fliegen. Das Andocken wird für Sonntag erwartet. Auf der ISS arbeitet Maurer dann auch mit russischen Kosmonauten zusammen.
„Ich spreche viele Sprachen, bin als Wissenschaftler kreativ und fotografiere gerne. Ich denke, das sind Punkte, die dazu beitragen, ein Team erfolgreich zu machen“, meint der 51-Jährige. Und falls es doch einmal zum Weltraumkoller kommen sollte? „Dann sprechen wir darüber. Wir sind dafür ausgebildet, dass wir Probleme rechtzeitig ansprechen - bevor sich eine richtige Krise entwickeln kann.“
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