Washington (dpa)
Biden muss Spitze der Notenbank neu besetzen
Der nächste Chef der US-Notenbank steht vor großen Herausforderungen. Er oder sie wird die Inflation zähmen müssen - ohne dabei die Konjunktur abzuwürgen. Sonst könnte dies Biden die Bilanz verhageln.
Inmitten der Sorge um die dramatische gestiegene Inflationsrate muss US-Präsident Joe Biden eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Entscheidungen seiner Amtszeit treffen: Er wird in Kürze auswählen, wer künftig die mächtige Notenbank Federal Reserve (Fed) leiten soll.
Die neue Führung wird die Entwicklung der US-Konjunktur - der weltgrößten Volkswirtschaft - bis nach dem Ende von Bidens Amtszeit prägen, denn die Fed kontrolliert die Geldmenge, einen Teil der Finanzmarktaufsicht und den Leitzins. Wegen der Rolle des US-Dollars als globaler Leitwährung für Reserven, Kredite und den Handel hat die Neubesetzung der Fed-Spitze auch weltweit Folgen.
Entscheidung bis Ende nächster Woche
Es geht um die Neubesetzung des Chefsessels ab Februar und um mehrere Positionen im siebenköpfigen Zentralbankrat. Biden will bis spätestens Ende nächster Woche entscheiden. Der Demokrat könnte es sich einfach machen: Er könnte Fed-Chef Jerome Powell, der von seinem republikanischen Vorgänger Donald Trump ernannt worden war, für eine zweite Amtszeit nominieren. Der 68-jährige Powell, ein Jurist und Ex-Investmentbanker, ist seit 2012 Mitglied des Zentralbankrats, seit Februar 2018 ist er auch Ratsvorsitzender. Obwohl Powell politisch den Republikanern zugerechnet wird, wäre es für Biden wohl eine relativ sichere Wahl. Kontinuität an der Spitze der Notenbank dürfte auch von den Märkten positiv aufgenommen werden.
Politisch ist die Entscheidung allerdings kniffliger. Viele eher linke Demokraten setzen Biden unter Druck, Powell keine zweite Amtszeit zu ermöglichen. Die einflussreiche Senatorin Elizabeth Warren etwa hat die von Powell vorangetriebenen Lockerungen der Bankenregulierung kritisiert und ihn daher als „gefährlichen Mann“ bezeichnet. Zudem hat Biden seinen Wählern versprochen, mehr Frauen, Angehörige von Minderheiten und Menschen aus Einwandererfamilien in Spitzenposten zu platzieren. Er will erreichen, dass die Institutionen auch die Vielfältigkeit des Landes reflektieren.
Bidens Alternative wäre die promovierte Ökonomin Lael Brainard, die bereits seit 2014 dem Zentralbankrat angehört. Sie wurde einst vom demokratischen Präsidenten Barack Obama nominiert und wäre die Favoritin der linken Kritiker Powells. Ihre Nominierung würde Märkte wohl kaum in Unruhe versetzen, zumal sie seit Jahren Notenbankerin ist und die meisten Entscheidungen mitgetragen hat. Mit kritischen abweichenden Meinungen fiel sie vor allem bei den Lockerungen der Bankenregulierung auf. Die 59-jährige könnte im Fall einer Nominierung die erst zweite Frau an der Fed-Spitze werden.
Biden könnte größeren Umbau ankündigen
Weil im Zentralbankrat mehrere Posten offen sind, könnte Biden einen größeren Umbau ankündigen, der ihm beides ermöglichen würde: Mit Powell als Chef für Kontinuität sorgen und gleichzeitig Brainard und andere Demokraten befördern. Biden könnte Brainard zum Beispiel als Vizechefin der Fed nominieren oder ihr das Ressort Bankenregulierung geben. Bidens Nominierungen müssen dann vom Senat bestätigt werden.
Bidens Finanzministerin Janet Yellen - die unter Obama die erste Fed-Chefin war - sagte zuletzt wiederholt, Powell habe an der Spitze der Notenbank einen „guten Job“ gemacht, insbesondere mit Blick auf das Krisenmanagement während der Corona-Krise. Viele Beobachter deuteten dies als Rückendeckung für Powell. Gleichzeitig betonte Yellen am Sonntag auch, der Präsident müsse jemanden auswählen, „der erfahren und glaubwürdig ist und da gibt es eine Reihe Kandidaten“.
Die neue Fed-Spitze steht vor großen Herausforderungen. Der wegen der Corona-Krise eingeleitete Kurs der extrem lockeren Geldpolitik muss behutsam zurückgefahren werden. Hinzu kommt das Problem der Inflation, die seit Monaten deutlich höher ist als die von der Fed mittelfristig angestrebte Rate von zwei Prozent. Im Oktober war die Inflationsrate aufs Jahr betrachtet sogar auf 6,2 Prozent gestiegen.
Fed: Höhere Inflation sei Folge der Pandemie
Die Fed vertritt weiter die Auffassung, dass die höhere Inflation vor allem ein vorübergehendes Phänomen infolge der Pandemie ist. Auch hohe Energiepreise, Probleme mit globalen Lieferketten und der Mangel an bestimmten Produkten wie Computerchips werden als Gründe für den Teuerungsanstieg genannt. Von den Preissteigerungen sind Autos und Benzin genauso betroffen wie viele Alltagsprodukte, darunter Fleisch und Eier. Auch Mietkosten steigen - es droht eine Preisspirale.
Die Fed ist den Zielen der Preisstabilität und der Vollbeschäftigung verpflichtet. Falls der Preisdruck nicht nachlassen sollte, müsste die Zentralbank früher oder später eingreifen, um die Inflationsrate wieder zu senken. Sie könnte dafür den Leitzins erhöhen - was aber auch den wirtschaftlichen Aufschwung ausbremsen könnte.
Die Inflation ist für Biden gefährlich, denn viele Menschen geben auch der Regierung die Schuld an den steigenden Preisen. In Umfragen ist eine Mehrheit mit Bidens Wirtschaftspolitik unzufrieden. Falls die unabhängige Fed zu hart gegen die Inflation durchgreifen sollte, würden Konjunktur und Wirtschaft leiden. Das könnte Biden und seinen Demokraten auch die Chancen bei den Kongresswahlen in einem Jahr verhageln. Langfristig könnte die Entscheidung über die Fed-Spitze auch Einfluss auf Biden selbst haben: Er braucht eine gute Wirtschaftsbilanz, um in drei Jahren wiedergewählt zu werden.
© dpa-infocom, dpa:211119-99-56812/2