Neubrandenburg (dpa)

Prozess um Tod von Leonie: Mutter sagt aus

Winfried Wagner, dpa
|
Von Winfried Wagner, dpa
| 02.12.2021 05:35 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Kerzen und Plüschtiere stehen vor dem Eingang des Hauses, wo am 12.01.2019 die sechsjährige Leonie ums Leben kam. Foto: Stefan Sauer/dpa
Kerzen und Plüschtiere stehen vor dem Eingang des Hauses, wo am 12.01.2019 die sechsjährige Leonie ums Leben kam. Foto: Stefan Sauer/dpa
Artikel teilen:

Im Januar 2019 stirbt die sechsjährige Leonie - nach massiver Gewalt durch den Stiefvater. Er bekommt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wegen Mordes. Hat die Mutter eine Mitschuld an ihrem Tod?

Leonie hätte überleben können, sagt die Staatsanwältin. Dafür, dass das sechsjährige Mädchen im Januar 2019 an den Folgen schwerster Gewalt stirbt, sitzt ihr Stiefvater im Gefängnis. Doch welche Verantwortung trägt die Mutter?

Darum ging es am Donnerstag vor dem Amtsgericht Neubrandenburg. Das Mädchen hätte nicht sterben müssen, so die Staatsanwältin, wenn die Mutter „ihrer elterlichen Fürsorgepflicht nachgekommen wäre.“ 

Die 27-jährige Mutter erscheint am Donnerstag mit Sonnenbrille und Corona-Maske vor Gericht und gibt an, aussagen zu wollen. „Wir sind gespannt, auf welches Strafmaß das hinausläuft“, sagt Anwalt Falk-Ingo Flöter. Er vertritt als Nebenkläger Leonies Vater in der Verhandlung. Dieser und seine Ex-Partnerin hatten zusammen zwei Kinder und trennten sich 2018 - nun sitzen sie sich im Gerichtssaal gegenüber.

Der 27-jährigen Frau wird fahrlässige Tötung durch Unterlassen für den tödlichen Vorfall am 12. Januar 2019 in der Wohnung in Torgelow (Vorpommern-Greifswald) vorgeworfen. Sie hätte nach ihrem Gang zum Einkaufen die schweren Verletzungen von Leonie erkennen müssen und hat nicht rechtzeitig Hilfe geholt, wie Staatsanwältin Lara Schaumann sagt. (Az. 332 Ls 1658/21)

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Für die Vernehmung der Angeklagten schließt das Amtsgericht allerdings kurz nach Beginn die Öffentlichkeit für den ersten Verhandlungstag aus. Dies hatte Verteidigerin Sabine Butzke beantragt. Es gehe darum, schutzwürdige Interessen der Frau selbst zu wahren, sagt Butzke. So kämen auch Details aus dem Sexualleben der Frau zur Sprache. Zudem gehe es um die Interessen des inzwischen zwei Jahre alten Sohnes, den die Frau zusammen mit dem Stiefvater hatte und der bei ihr lebt.

Der inzwischen 30 Jahre alte Stiefvater hatte das Mädchen damals massiv geschlagen, wohl nicht zum ersten Mal, wie in seinem Prozess klar wurde. Als die Mutter damals zurückkam, lag Leonie mit Kühlakkus im Bett, um ihre Verletzungen an Kopf und Körper zu kühlen. Der Mutter wurde erzählt, das Mädchen sei die Treppe im Hausflur heruntergefallen.

Leonie war Stunden später von Rettern tot in der Wohnung der fünfköpfigen Familie gefunden worden, die erst wenige Monate vorher aus Wolgast nach Torgelow gezogen war. Die Frau hatte sich damals um den kleineren Bruder von Leonie und ihr Baby gekümmert, das sie mit dem Stiefvater zusammen hatte.

Tödliche Hirnblutungen

Der Stiefvater hatte das Mädchen damals so massiv geschlagen, dass es tödliche Hirnblutungen erlitt, an denen es Stunden später starb. Der Richter im damaligen Prozess sprach von einem „Verdeckungsmord und einer Bestrafungsaktion“ des Mannes.

Die Mutter hätte die Verhaltensänderungen bei Leonie am 12. Januar 2019 viel früher erkennen müssen, wirft die Staatsanwaltschaft ihr vor. Letztlich hatte der Stiefvater über Stunden verhindert, dass wirklich Hilfe geholt wurde. So hatte er der Mutter deren Handy weggenommen und auch einen Anruf bei der Rettungsstelle nur vorgespielt.

Der Mann war 2020 wegen Mordes durch Unterlassen und Misshandlung Schutzbefohlener - rechtskräftig - zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Mutter hatte in dem Prozess von den Gewalttaten ihres Lebensgefährten berichtet – damals auch hinter verschlossenen Türen. „Die Frau hat natürlich eine Doppelrolle“, sagt Flöter. Sie sei zum Teil Opfer und zum Teil auch Täterin. Er hoffe, dass das Strafmaß zwischen zwei und vier Jahren Freiheitsstrafe liegen wird. Dies sei beim Amtsgericht möglich.

Das Amtsgericht hat wegen der Corona-Lage den Saalzugang begrenzt und plant mit vier Verhandlungstagen bis Anfang 2022. Unklar ist noch, ob der verurteilte Stiefvater als Zeuge aussagt. Der 14. Dezember ist der nächste Verhandlungstag. Eine Gerichtsmedizinerin und eine Psychologin begleiten als Gutachterinnen den Prozess. Auf fahrlässige Tötung durch Unterlassen steht mehrjährige Haft. Anwälte halten eine Verurteilung der Frau wegen unterlassener Hilfeleistung aber auch für möglich.

© dpa-infocom, dpa:211202-99-223419/6

Ähnliche Artikel