Lesbos (dpa)

Papst Franziskus zurück auf Lesbos

Manuel Schwarz und Takis Tsafos, dpa
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Von Manuel Schwarz und Takis Tsafos, dpa
| 05.12.2021 11:34 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Papst Franziskus (l) legt einem Jungen im Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos die Hand auf den Kopf. Foto: Vatican Media/ANSA via ZUMA Press/dpa
Papst Franziskus (l) legt einem Jungen im Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos die Hand auf den Kopf. Foto: Vatican Media/ANSA via ZUMA Press/dpa
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Papst Franziskus ist zurück auf Lesbos - einem Brennpunkt der Probleme der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik. Franziskus will den Flüchtlingen Mut spenden. Für andere findet er deutliche Worte.

Der Papst will sie alle berühren. Die Kinder, die Frauen, die Männer - egal, ob sie aus Afrika kommen, aus Afghanistan oder aus Syrien.

Franziskus will all denen Mut machen, die nach dem Verlassen ihrer Heimat nun hier auf der griechischen Insel auf bessere Zeiten hoffen. Also beginnt er seinen Besuch im Migrantencamp Kara Tepe nicht damit, dass er in seinem Fiat 500 an den Flüchtlingen hinter den Absperrgittern vorbeifährt. Der 84-Jährige steigt aus und geht den Schotterweg entlang, an hunderten Menschen vorbei.

Der Pontifex schüttelt Hände, plaudert, lacht, legt Kindern die Hand auf den Kopf. Die Kardinäle und Politiker, die mit anderen Migranten in einem Zelt auf ihn warten, brauchen jetzt Geduld. Den Leuten draußen sagt Franziskus: „Ich bin hier, um euch zu sagen, dass ich euch nahe bin. Ich bin hier, um eure Gesichter zu sehen und euch in die Augen zu schauen. Augen voll Angst und Erwartung, Augen, die Gewalt und Armut gesehen haben, Augen gerötet von zu vielen Tränen.“

Fünf Jahre ist es her, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche schon einmal auf Lesbos war. Damals war er schon bei den Flüchtlingen, noch im berüchtigten Lager Moria. Jenes überfüllte und chaotische Camp, das zum Sinnbild wurde für die Unfähigkeit des Westens, mit der Migrantenkrise umzugehen. Moria brannte 2020 nieder. An diesem Sonntag nun kommt Franziskus in ein Lager, in dem keine zerfetzten Baracken mehr stehen, sondern weiße Container. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat sie als Behausung aufgestellt.

Gut ist die Lage der Migranten deswegen nicht, natürlich nicht. „Wir sind seit drei Jahren hier“, erzählt Hamad. Nach einer fünf Monate dauernden Flucht aus Afghanistan lebten er, seine Frau und die drei Kinder zunächst in Moria. Jetzt sind sie in dem Camp unten am Meer. Sie hoffen, dass sie vom Papst Unterstützung bekommen. „Wir brauchen Hilfe“, sagt Hamad.

Einige Reihen weiter sitzt Orphee. Der 28-Jährige floh aus dem Kongo. Er ist noch nicht so lange da: Mit seiner schwangeren Frau Rosette kam er am 1. Juni. Am 21. September wurde Tochter Maduda geboren. Orphee sagt: „Wir wünschen uns ein Leben ohne diese Anspannung und Unsicherheit.“ Während der Papst spricht, kuschelt das Baby unter einer Decke an Rosettes Brust. Die Migration sei „ein Weltproblem, eine humanitäre Krise, die alle angeht“, mahnt Franziskus. „Eure Gesichter, eure Augen bitten uns, uns nicht abzuwenden.“

Den Migranten will der Papst Mut und Hoffnung spenden. Für Politik und Gesellschaft findet er scharfe Worte. Schon bei der ersten Station seiner Reise auf Zypern hatte Franziskus die Auswüchse der Migrationskrise kritisiert, von „Sklaverei“ gesprochen, von Lagern, die es nicht nur zur Nazi-Zeit gegeben habe, sondern die es auch heute noch gibt. „Wir leben in einer Epoche der Mauern und des Stacheldrahts.“

Auch Kara Tepe ist mit Stacheldraht gesichert. Dahinter stehen die Container, dazwischen notdürftige Behausungen aus Brettern und Stoff. Rund 2200 Migranten wohnen laut den Behörden hier auf einem ehemaligen Schießübungsplatz des griechischen Militärs. In Moria waren es 20 000 und mehr. Damals wurden Besucher gewarnt, nach Anbruch der Dunkelheit herrschten „Machete und Hasch“. Das neue Camp wird von der Polizei kontrolliert. Es ist eine Übergangslösung. Der Baubeginn eines dauerhaften Lagers verzögert und verzögert sich.

Franziskus findet grundsätzlich, dass sich in der Frage der Migration seit seinem ersten Besuch „wenig verändert“ habe. Griechenland bemühte sich, werde aber im Stich gelassen. „Lasst uns die lähmende Angst überwinden, die todbringende Gleichgültigkeit, das zynische Desinteresse, das in Samthandschuhen die am Rand Stehenden zum Tode verurteilt“, sagt der Argentinier. Nicht nur auf Lesbos. Die Vereinten Nationen zählen weltweit derzeit 82 Millionen Migranten.

Nach dem Gebet gehen zwei Mädchen zum Papst. Sie kriegen Präsente. Ein kleines Kind läuft zu ihm hin, dann noch eines. Der Mann im weißen Gewand lässt sie zu sich und lächelt. Das sind typische Franziskus-Momente einer typischen Franziskus-Reise. Er fühlt sich für die Kleinen, Schwachen und Vergessenen verantwortlich. Nicht die großen Arenen mit Zigtausenden Leuten ziehen ihn an, sondern kleine Orte, Kirchen, Flüchtlingscamps.

„Papst Franziskus hat ja von Anfang an gesagt, er wolle an die Ränder gehen und vielleicht auch an die Ränder dessen, wo wir nicht so hingucken“, sagt Pater Nikodemus Schnabel, ein Benediktinermönch aus Jerusalem. Zu diesem Bistum gehört auch Zypern, wo Franziskus vor Lesbos zu Besuch war. Dass der Vatikan Dutzenden Geflüchteten von dort nun die Möglichkeit gibt, nach Italien zu kommen, beeindruckt den Ordensbruder. Franziskus sei nicht nur abstrakt das Oberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken, sondern ein wahrer „Hirte“.

Seit Jahren setzt sich Franziskus für Migranten ein, ein roter Faden in seinem Pontifikat. Am Ende seines Besuchs auf Lesbos steigt Franziskus noch einmal aus dem Auto aus, um mit Migranten zu plaudern. Jungs fahren mit ihren Fahrrädern herum. „Wenn wir neu anfangen wollen, sollten wir vor allem in die Gesichter der Kinder schauen“, sagt der Papst. „Lasst uns den Mut finden, uns vor ihnen, die unschuldig sind und die Zukunft bedeuten, zu schämen.“

© dpa-infocom, dpa:211205-99-263551/3

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