GA-Weihnachtsaktion
Der Unfall änderte das Leben der Familie für immer
Jens Stöter aus Uplengen war vielen Menschen bekannt als Leeraner Kreissprecher. Durch einen Unfall im Oktober 2018 wurde er zum Wachkomapatienten. Das änderte auch das Leben seiner Familie für immer.
Barßel - Jens Stöter war vielen Menschen in der Region bekannt, zumindest vom Namen her. Der Uplengener war Pressesprecher des Landkreises Leer. Er wurde in allen regionalen Medien zitiert, der Name Jens Stöter war Zeitungslesern ein Begriff.
Dann kam der Verkehrsunfall. Am 23. Oktober 2018, kurz vor sieben Uhr morgens. Uwe Stöter erzählt, was seinem anderthalb Jahre jüngeren Bruder Jens passiert ist. „Dann wissen die Leute, wo mein Bruder geblieben ist“, sagt der 56-jährige Tischlermeister. „Für viele war er auf einmal weg. Aber er ist noch da.“
Er sieht so aus, als wenn er schliefe
Jens Stöter befindet sich in der Facheinrichtung für Intensivpflege in Barßel, FIP. Dorthin kam er, nachdem die Ärzte in den Krankenhäusern nichts mehr für ihn tun konnten. Er befindet sich im Wachkoma. „Wenn man meinen Bruder im Bett liegen sieht, denkt man, er schläft“, sagt Uwe Stöter. Aber Jens Stöter liegt seit drei Jahren so da. Er wird über eine Magensonde ernährt, atmet selbstständig, und er schlägt die Augen auf. Doch sein Blick geht nicht mit, und er kann nichts und niemanden mehr fixieren.
Ob er glaubt, dass sein Bruder trotzdem noch etwas von der Außenwelt wahrnimmt? „Ja“, sagt Uwe Stöter sofort. Lebhaft bewegen sich seine Hände über die Tischplatte, während er erzählt. Wer ihm gegenübersitzt, erkennt gut die Familienähnlichkeit zwischen ihm und seinem Bruder. „Jens liegt da und kann sich nicht artikulieren – auch nicht über Augenbewegungen oder Händedruck. Aber wenn die Pflegerinnen ihm sagen, ,Halt‘ eben still‘, weil sie seine Trachealkanüle wechseln wollen oder ihm die Nägel schneiden – dann hält er still. Da muss ja doch irgendwo noch etwas da sein“, sagt Uwe Stöter. Jens reagiere auch auf Stimmen. Dann wende er den Kopf dorthin.
Familie hofft auf wache Momente
Wenn Uwe Stöter seinen Bruder in der FIP besucht, spricht er mit ihm, hält seine Hände und streichelt sie. Hilft bei der Pflege. Geht mit ihm im Rollstuhl an die frische Luft. Auch den Fernseher stellt er ihm an. „Man weiß ja nicht, was er noch wahrnehmen kann. Vielleicht hat er ja doch mal einen wachen Moment“ , hofft Uwe Stöter.
Dafür wird gesammelt
Der General-Anzeiger widmet seine Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Stiftung der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) „Ein Herz für Ostfriesland“ in diesem Jahr der Arbeit in der Facheinrichtung für Intensivpflege, FIP, in Barßel. Mit Hilfe von Spenden soll für die Wachkoma-Patienten eine Rollstuhl-Rikscha angeschafft werden. Die funktioniert ähnlich wie ein Lastenfahrrad: Vorn kann der Rollstuhl mit dem sitzenden Passagier hineingestellt werden. Ein solches Spezialfahrrad würde den Bewegungsradius der FIP-Patienten und ihrer Familien entscheidend vergrößern. Sie könnten miteinander Ausfahrten unternehmen – etwa auf dem Deichwanderweg der nahegelegenen Soeste.
Er hat die Ärzte gefragt. Ob man seinem Bruder nicht eine Sonde ins Gehirn einpflanzen könne, um ihm die Chance zu geben, vielleicht mit Hilfe eines Computers mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten. Die Ärzte hätten klar verneint. Für Uwe Stöter ist das schwer zu verstehen. Der Unfall im Oktober 2018 hat nicht nur das Leben von Jens Stöter für immer verändert. Auch das Leben seiner Familie ist seitdem ein anderes. Familien können an diesem Schicksal zerbrechen und Menschen kaputtgehen, sagt Uwe Stöter. Anfangs sei es für ihn schwer gewesen. Doch er habe sich an die neue Normalität gewöhnt. Er wisse, dass sein Bruder in der FIP gut aufgehoben sei und bestens versorgt werde. Doch für seine Eltern, seine 83-jährige Mutter und seinen 85-jährigen Vater, sei das Wachkoma, in das ihr Sohn gefallen ist, die Tragödie ihres Lebens.
Es wird nie wieder, wie es früher war
Die Ärzte damals im Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg, die hätten sofort gesagt, dass es nicht wieder besser werde. „Verstanden habe ich das. Das Begreifen kommt erst später“, sagt Uwe Stöter. Als er seinen Bruder nach dem Unfall auf der Intensivstation wiedergesehen habe, sei ihm allerdings direkt klargeworden, dass es mit Jens nie wieder werden würde, wie es mal war. Der habe in einem Bett gelegen, dass permanent schaukelte. Das war notwendig, um die Lungenfunktion sicherzustellen.
Äußerlich habe man bei ihm nur ein blaues Auge wahrgenommen, erzählt Uwe Stöter. Tatsächlich hatte sein Bruder bei dem Unfall einen Jochbeinbruch erlitten, der Kiefer war ausgerenkt, das Schlüsselbein gebrochen, das Schambein ebenfalls und mehrere Rippen hatten sich in die Lunge gebohrt. Das Gravierendste aber war ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Der Patient wurde bestens versorgt. Der 51-Jährige war ein vielseitiger Sportler gewesen, gut durchtrainiert und fit. Seine Brüche heilten. Nur sein Bewusstsein erlangte Jens Stöter nie wieder.
Ein Augenblick der Unachtsamkeit
Uwe Stöter schildert, was passiert ist, an diesem 23. Oktober vor drei Jahren. Jens Stöter war von seinem Wohnort Uplengen aus auf dem Weg zur Arbeit in die Kreisstadt Leer. Es war der erste richtige Herbsttag, düster und regnerisch. Unterwegs wollte der Kreissprecher Unterlagen bei einem Steuerberater in Loga einwerfen. Stöter hatte es eilig. Er war spät dran. Um 7 Uhr sollte eine Katastrophenalarmübung beim Kreishaus unter seiner Leitung beginnen. Ihm blieben noch zehn Minuten. Der Beamte parkte sein Auto an der Hauptstraße, überquerte die Fahrbahn, schob bei der Steuerkanzlei die Post durch den Briefschlitz und wandte sich zurück auf die Straße. In diesem Moment kam das Auto.
„Der Mann konnte nichts dafür“, sagt Uwe Stöter über den Unfallgegner. Ein Augenblick nur sei es gewesen für Beide, „nach dem das ganze Leben auf einmal anders ist“. Der Autofahrer war kein Fahranfänger, kein Senior und kein Draufgänger. Ein Familienvater auf dem Weg zur Arbeit. „Der muss damit seitdem auch klarkommen“, sagt Uwe Stöter. Der Wagen war ein Smart. Ein Auto ohne Motorhaube. Das Unfallopfer schlug mit dem Kopf gegen den Dachholm und erlitt dabei die schweren Hirnverletzungen. In dem Stau, der sich durch den Berufsverkehr bildete, befanden sich auch zwei Ärzte. Sie leisteten Erste Hilfe und retteten so vermutlich das Leben des Kreissprechers.
Rechtliche Betreuung ist aufwendig
„Wir haben uns immer gut verstanden“, erzählt Uwe Stöter. Auch wenn sie grundverschieden waren. Jens, der Beamte und Sportler. Er selbst, Handwerker und kein Sportler. Doch obwohl sein Bruder so korrekt war, hatte er weder Patientenverfügung noch Vorsorgevollmacht. Noch im Krankenhaus in Oldenburg sei er gefragt worden, wer die Betreuung übernehme, erinnert sich Uwe Stöter. „Ich habe sofort gesagt, das mach‘ ich, ohne zu wissen, was damit auf mich zukommt.“ Er habe diese Aufgabe einfach seinem alten Vater ersparen wollen. Und einen Berufsbetreuer, der womöglich die Interessen der Familie nicht berücksichtige, das habe er auch nicht gewollt.
Die rechtliche Betreuung eines Angehörigen ist eine schwierige und umfangreiche Angelegenheit. Und sie bindet die Brüder für immer aneinander. „Wenn mein Bruder mich überlebt, muss eines meiner drei Kinder diese Aufgabe übernehmen“, stellt Uwe Stöter fest. Und es könne sein, dass Jens Stöter, dank seiner Konstitution und der guten Betreuung, noch 30 Jahre im Wachkoma liegt.
Sein Bruder hat jetzt Patientenverfügung
Als der Unfall geschah, hatte auch Uwe Stöter keine Patientenverfügung. Das ist inzwischen anders. Die hat der Tischlermeister gemacht, weil er nicht möchte, dass seine Kinder damit belastet wären, über sein Schicksal zu entscheiden, wenn er selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Wenn ihm etwas Ähnliches passiert wie seinem Bruder möchte Uwe Stöter, dass die Geräte abgestellt werden, wenn die Ärzte keine Chance auf Heilung sehen. „Ich sehe das nüchtern“, sagt der 56-Jährige. „Und ich möchte das meinen Kindern nicht antun. Dann lieber zum Friedhof und einen Abschluss finden.“ Uwe Stöter schätzt, dass sein Bruder „so, wie ich ihn kenne“, es ebenfalls nicht gewollt hätte, so da zu liegen und gepflegt zu werden, wie es seit drei Jahren der Fall ist. Aber das lässt sich nicht mehr ändern.
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So ein Schicksal reißt auch Gräben auf innerhalb der Familie. Stöters Eltern haben zwar verstanden, dass es ein Wunder wäre, wenn ihr Sohn eines Tages die Augen aufschlüge und wieder mit ihnen reden würde. Doch die Hoffnung bleibt. Die Sorge um ihr Kind bestimmt ihren Alltag des alten Ehepaares. Sie besuchen ihren Sohn, wenn es geht, täglich. Danach haben sie ihr Leben ausgerichtet. Vormittags Haushalt, Garten und Einkauf, nachmittags Jens.
Schicksal kann eine Familie zerreißen
Jens Stöter hatte ein prima Verhältnis zu den drei Kindern seines Bruders Uwe. Doch die jungen Leute gehen nicht so gerne zu ihrem Onkel in der FIP. Sie ertragen es schwer, ihn so daliegen zu sehen. Uwe Stöter kann das gut verstehen. Seine Eltern weniger. Der 56-Jährige versucht, zwischen den Generationen zu vermitteln. „So etwas zerreißt die Familie, ganz klar“, sagt er. Auch für Freunde und Bekannte sei es schwierig, damit umzugehen. Der Kreissprecher war ein geselliger, aktiver Mensch, hatte immer gern Leute um sich. Einige gute Freunde und Kollegen besuchen ihn in der FIP, haben auch Kontakt zu seinen Eltern. Aber es sind nicht mehr viele. „Irgendwo ist das verständlich – Jens ist ja nicht mehr präsent“, sagt Uwe Stöter. Schmerzlich bleibt es dennoch.
Das intensive Gespräch für die Zeitung falle ihm deshalb auch nicht schwer. Im Gegenteil. Es tue gut, mal über alles zu reden. Was Wachkoma bedeutet. Für Jens und für die, die ihn liebhaben. Das wolle sich sonst keiner gerne anhören.
Uwe Stöter hat erzählt, was es zu sagen gibt. Er steht auf. Sollte er auf dem Heimweg einen Unfall haben, ist alles geregelt. Dafür hat der Familienvater gesorgt, nachdem er erlebt hat, wie es seinem Bruder ergangen ist.
Um die ambitionierte Arbeit der Verantwortlichen in der FIP und deren Förderverein zu unterstützen, widmet ihnen der General-Anzeiger in Rhauderfehn in diesem Jahr seine Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Stiftung der Zeitungsgruppe Ostfriesland, ZGO, „Ein Herz für Ostfriesland“. In den kommenden Wochen stellt die Redaktion viele Aspekte der Arbeit in der FIP vor – und sie hofft, dass viele Spenden zusammenkommen. Wer über PayPal spenden möchte, kann dazu am besten auf die Homepage www.einherzfuerostfriesland.de gehen. Dort gibt es direkte Buttons zu den PayPal-Spenden-Konten.https://www.paypal.com/donate?hosted_button_id=38XPGLGFYG8MC