Berlin (dpa)

Kiffer brauchen Geduld - Skepsis aus Reihen der Polizei

Anne-Beatrice Clasmann, dpa
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Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa
| 19.12.2021 09:43 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. Foto: Fabian Sommer/dpa
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. Foto: Fabian Sommer/dpa
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Vor dem Wochenende noch schnell in den Laden, Gras kaufen. Bis das in Deutschland Realität wird, dauert es wohl noch ein wenig. Viele praktische Fragen sind noch offen - auch aus Sicht der Polizei.

Vor seinem Einzug in den Bundestag im Jahr 2013 war Uli Grötsch bayerischer Polizist. Dort habe der heutige SPD-Innenpolitiker erlebt, wie jungen Menschen, die mit Cannabis erwischt wurden, der Weg in den Staatsdienst verbaut wurde, sagt er.

Für ihn habe sich das falsch angefühlt. „Wir arbeiten seit Jahren daran, Cannabis zu legalisieren, das war überfällig“, sagt Grötsch.

Durch den von der neuen Regierung von SPD, Grünen und FDP geplanten Cannabis-Verkauf in lizenzierten Verkaufstellen und die Entkriminalisierung der Konsumenten könnten bei der Schutzpolizei und der Kriminalpolizei Kapazitäten frei werden, ist Grötsch überzeugt. Ressourcen, die man nutzen könnte, um verstärkt gegen den Handel mit harten Drogen wie Heroin oder Chrystal Meth vorzugehen. Grötsch erwartetet auch, dass der bislang nur für medizinische Zwecke erlaubte Anbau von Hanfpflanzen „auch für deutsche Landwirte interessant sein wird“.

Die am häufigsten konsumierte illegale Droge

Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. „Wir tragen der Lebensrealität von Millionen von Deutschen Rechnung“, sagt Grötsch. Die Ampel-Koalition ist sich einig. Sie plant eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“. Dadurch würden „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“, heißt es im Koalitionsvertrag. Auf der Habenseite stehen bei diesem in der Gesellschaft umstrittenen Thema außerdem die zu erwartenden Steuereinnahmen in Milliardenhöhe.

Stephan Thomae, Innenpolitiker der FDP, betont, die Koalitionäre seien sich zwar, was das Ziel angehe, einig. Ein „Schnellschuss“ sei hier aber nicht zu erwarten. Angestrebt werde vielmehr eine „gründliche, durchdachte Gesetzgebung“, auch um mögliche unerwünschte Nebeneffekte und Spätfolgen auszuschließen.

Niederlande kein Vorbild

Ein Blick auf die Niederlande zeige, dass das dort über Jahrzehnte praktizierte Konzept, den Verkauf in sogenannten Coffeeshops zu erlauben, Anbau und Großhandel aber zu verbieten, kein Vorbild sein könne, sagt Thomae. Denn das spiele Drogenbanden in die Hände. Für den FDP-Politiker ist daher wichtig: „Wir müssen auch eine legale Lieferkette schaffen.“

Wird es demnächst also „Haschisch made in Germany“, womöglich in Bio-Qualität geben? Über die Details wird in der Koalition sicher noch zu reden sein. Die Grünen können jedoch zumindest geltend machen, schon vertieft über das Kleingedruckte nachgedacht und im Bundestag mehrere erfolglose Vorstöße dazu gemacht zu haben. Ihr Entwurf eines „Cannabiskontrollgesetzes“ von 2018 hat immerhin 72 Seiten.

„Es wird weiterhin Dealer geben“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bleibt skeptisch. Dass sich durch eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene der Schwarzmarkt austrocknen lasse, gehört nach Einschätzung ihres Bundesvorsitzenden Oliver Malchow ins Reich der Fantasie. Er ist überzeugt: „Es wird weiterhin Dealer geben, weil Jugendliche in den lizenzierten Shops nicht einkaufen dürfen und weil das Cannabis dort, wo Ladenmiete bezahlt wird und Steuern abgeführt werden, teurer sein wird.“

Da der Straßenverkauf illegal bleibe, glaube er auch nicht an eine Entlastung der Polizei durch das geplante Gesetz, sagt Malchow. Am meisten störe ihn aber, dass durch die Legalisierung vor allem an Jugendliche das falsche Signal gesendet werde, nämlich „dass Cannabis nicht so gefährlich sei“. Wer hier auf Erfolg durch Prävention setze, sei realitätsfern, denn Aufklärung über Drogen gebe es in den Schulen heute schon.

Wie gefährlich ist Cannabis?

„Cannabiskonsum erhöht das Risiko für körperliche und vor allem für psychische Störungen, kann zumindest vorübergehend die Hirnleistung beeinträchtigen und führt in jedem zehnten Fall zu einer Abhängigkeit“, heißt es in einer Broschüre des Bundesgesundheitsministeriums. Gerade für Kinder und Jugendliche könne Cannabis gefährlich werden.

Dass Argument der Ampel-Koalitionäre, bei einer kontrollierten Abgabe, könne die Qualität der Droge überprüft werden, will Peter Pytlik, Landesvorsitzender der GdP in Bayern, nicht gelten lassen. Er meint, wer den Effekt des legal angebotenen Stoffs möglicherweise zu wenig berauschend finde, lande am Ende vielleicht doch auf dem Schwarzmarkt, wo Haschisch mit einem höheren Wirkstoffgehalt zu haben sei. Er sieht auch ein Problem an den Schulen, „wo dann der 18-Jährige für den 15- oder 16-Jährigen Cannabis im Geschäft einkaufen geht“.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft warnt in einem Positionspapier: „Wäre Cannabis für alle problemlos verfügbar, würden aller Voraussicht nach auch mehr Menschen die Droge konsumieren - und mehr Menschen abhängig werden.“ Der Bund Deutscher Kriminalbeamter kann den Legalisierungsplänen dagegen etwas abgewinnen.

Unionsfraktion strikt gegen Cannabis

Die Unionsfraktion ist strikt gegen Cannabis an der Ladentheke. Ihr innenpolitischer Sprecher, Alexander Throm (CDU), meint: „Die Hoffnung, mit der Legalisierung von Cannabis die Polizei zu entlasten, dürfte sich als Trugschluss herausstellen.“ Schließlich habe die Cannabis-Freigabe in den Niederlanden „zu einem starken Anstieg Organisierter Kriminalität geführt“. Da eine Legalisierung der Droge vermutlich auch mehr Konsum nach sich ziehen würde, sei ein Rückgang des Schwarzmarkthandels kaum zu erwarten.

Zu den Fragen, die vor der geplanten Legalisierung noch geklärt werden müssen, gehört auch die der Verkehrstüchtigkeit. SPD-Politiker Grötsch sieht da keine Hürde. Er sagt, analog zur Promille-Grenze beim Alkohol müssten hier halt THC-Grenzwerte im Nanogramm-Bereich festgelegt werden. Die Linksfraktion hatte in der zurückliegenden Wahlperiode in einem Antrag ausgeführt, der „meist angewendete Grenzwert von 1,0 ng THC pro ml Blutserum“ sei so niedrig, dass dieser oft noch Tage nach dem Cannabiskonsum überschritten werde, wenn keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit mehr bemerkbar sei.

Dass die Ampel-Koalition mit ihren Legalisierungsplänen Neuland betritt und auch Risiken eingeht, ist den drei Parteien wohl bewusst. Schließlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen.“

© dpa-infocom, dpa:211219-99-439644/4

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