Berlin (dpa)

Deutschland schaltet weitere Atomkraftwerke ab

Fatima Abbas, dpa
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Von Fatima Abbas, dpa
| 20.12.2021 15:01 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Nach 35 Jahren wird das AKW Brokdorf jetzt abgeschaltet. Foto: Christian Charisius/dpa
Nach 35 Jahren wird das AKW Brokdorf jetzt abgeschaltet. Foto: Christian Charisius/dpa
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Bis Ende 2022 soll Deutschland endgültig aus der Atomkraft aussteigen, schon in wenigen Tagen gehen drei weitere Atommeiler vom Netz. Doch was bleibt, wenn die Kernkraft geht?

Der endgültige Ausstieg rückt immer näher: Am 31. Dezember 2021, in nur wenigen Tagen, werden in Deutschland drei weitere Atom-Meiler abgeschaltet.

Übrig bleiben dann nur noch drei - bis Ende 2022 sollen auch dort für immer die Lichter ausgehen. „Der Atomausstieg ist unumkehrbar“, stellt die neue Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) unmissverständlich fest. „Planmäßig“ schreite er voran. „Und das ist auch gut so.“

Dass hierzulande bei weitem nicht alle dieser Meinung sind, haben die Diskussionen der vergangenen Wochen gezeigt. Mehrere Konzernchefs, darunter der frühere Vorstandsvorsitzende des Chemiekonzerns BASF, Jürgen Hambrecht, fordern die Politik dazu auf, die Laufzeiten der bestehenden Kraftwerke zu verlängern.

Kritik am Atomausstieg

Kritiker wie Hambrecht befürchten Lücken bei der Stromversorgung - zumal Deutschland nun auch noch vor 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen wolle. Den Ausstieg aus der Kernenergie Ende 2022 hatte die damalige Bundesregierung im Jahr 2011 nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima besiegelt.

Zu den Befürwortern einer Abkehr von dieser historischen Entscheidung gehört auch die AfD. Erst am vergangenen Donnerstag war sie im Bundestag mit einem Antrag gescheitert, mit dem sie eine Laufzeitverlängerung der noch bestehenden sechs Atomkraftwerke „bis mindestens zum Ende des nächsten Jahrzehnts“ erwirken wollte. Der AfD-Abgeordnete Steffen Kortré warf der Bundesregierung die „weltdümmste Energiepolitik“ vor. Es drohe „die Abschaltung ganzer Städte“.

Dieser Darstellung widerspricht unter anderem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Die DIW-Experten um die Ökonomin Claudia Kemfert gehen in einer jüngsten Analyse davon aus, dass es auch nach dem vollendeten Atomausstieg „ausreichende Kapazitäten“ geben werde, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Wenn das deutsche Stromsystem „rasch auf erneuerbare Energieträger in Verbindung mit Speichern und Flexibilitätsoptionen“ umsteige, sei die Versorgungssicherheit mittelfristig nicht gefährdet, schreiben sie.

Probates Mittel gegen den Klimawandel?

Neben der Sorge vor Strom-Ausfällen ist auch häufiger zu hören, dass es sich um eine Energiequelle handele, die im Vergleich zu Kohle und Gas kaum CO2-Emissionen ausstoße. Atomkraft als probates Mittel im Kampf gegen den Klimawandel?

Auch auf EU-Ebene wird über diese Frage gestritten. Die EU-Kommission berät derzeit darüber, ob Atomenergie künftig als „nachhaltige“ Investition eingestuft werden kann - also ob sie eine Art grünes Label bekommen soll. Laut internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) verursacht Kernenergie 40 Mal weniger Treibhausgasemissionen als ein effizientes Gaskraftwerk.

Atom-Kritiker warnen vor falschen Versprechungen. „Da wird versprochen, eine CO2-arme oder sogar CO2-freie Energieform zu haben, die uns davon befreit, uns auf den Weg zu machen, die Energiefrage wirklich nachhaltig zu lösen“, sagt etwa der Präsident des Bundesamts für die Sicherheit nuklearer Entsorgung (BASE), Wolfram König. „Atomenergie ist natürlich nicht CO2-frei“, bekräftigt er im Gespräch mit dpa. Das beginne schon mit der Gewinnung von Uran, die „erhebliche Umweltprobleme mit sich bringe“. Auch der Bau der Kernkraftwerke an sich sei nicht CO2-frei.

Die Debatten über mögliche Laufzeitverlängerungen nennt König „obsolet, weil es weder politische, technische noch rechtliche Grundlagen gibt, die abgeschalteten Reaktoren wieder in Betrieb zu nehmen“. Außerdem sei die Gefahr von nuklearen Unfällen nicht zu unterschätzen. Davor warnt auch die Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz, Inge Paulini: „Die Risiken der Kernkraft sind nicht beherrschbar. Das haben die Unglücksfälle von Tschernobyl und Fukushima gezeigt“, sagt sie. Diese Katastrophen hätten „zerrissene Familien“ hinterlassen und „erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen“ gehabt.

Auf der Suche nach einem Endlager

Auch der Blick nach vorne zeigt, dass die Schatten der Vergangenheit noch weit in die Zukunft hineinragen: Wenn Ende 2022 im letzten deutschen AKW die Lichter ausgehen, strahlt der über Jahrzehnte angehäufte Atommüll in großen Mengen weiter. Fachleute erwarten bis 2080 rund 10.500 Tonnen hoch radioaktiver Abfälle aus Brennelementen. Sie sollen irgendwann in einem Endlager ruhen, das offiziell bis 2031 gefunden sein soll.

Und selbst danach blieben noch etliche Fragen ungeklärt, etwa zum Weiterbetrieb von Zwischenlagern, zu Sicherheitsfragen und mehr. Klar ist: Der Atomausstieg hat zwar ein Enddatum - bleibt aber eine gesellschaftliche Daueraufgabe.

© dpa-infocom, dpa:211220-99-454842/3

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