Potsdam (dpa)

15 Jahre Haft für Morde in Potsdamer Behindertenwohnheim

Anna Kristina Bückmann, dpa
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Von Anna Kristina Bückmann, dpa
| 22.12.2021 10:21 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Die Angeklagte (3.v.r.) im Oktober im Gerichtssaal im Landgericht Potsdam. Jetzt wurde das Urteil verkündet. Foto: Carsten Koall/dpa-Pool/dpa
Die Angeklagte (3.v.r.) im Oktober im Gerichtssaal im Landgericht Potsdam. Jetzt wurde das Urteil verkündet. Foto: Carsten Koall/dpa-Pool/dpa
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In einem Wohnheim tötet eine Pflegekraft vier behinderte Menschen. Das Entsetzen ist bundesweit groß. Der Richter spricht zum Ende des Prozesses von enormer innerer Wut und erdrückender Arbeitslast bei der Angeklagten - und fällt ein Urteil.

Die 52-Jährige habe abgewartet, bis die Kollegin auf der Station einen anderen Patienten versorgt habe, „um unbemerkt Ihren gewaltsamen Plan umzusetzen“.

So schildert der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter das Geschehen in dem Potsdamer Behindertenwohnheim am Abend des 28. April dieses Jahres. Die Pflegekraft habe dann vier heimtückische Morde an wehrlosen Bewohnern verübt. Wegen der Morde sowie mehrfacher versuchter Morde und Misshandlung von Schutzbefohlenen hat das Landgericht Potsdam die 52-Jährige am Mittwoch zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Daneben ordnete das Gericht die Unterbringung der Frau in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die Frau leidet laut einem psychiatrischen Gutachten unter einer schweren Persönlichkeitsstörung und hatte die Taten demnach im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Deutsche die vier Bewohner im Alter zwischen 31 und 56 Jahren auf ihren Zimmern mit einem Messer angegriffen und tödlich verletzt hatte. Alle Opfer seien in ihren Betten verblutet. Nach Angaben eines Pathologen waren drei der Todesopfer vollständig und eines halbseitig gelähmt. Eine 43-jährige Bewohnerin überlebte den Angriff nach einer Notoperation. Ein „glücklicher Umstand“, so der Richter, dass die Angeklagte ihr nicht die Halsschlagader durchtrennte.

An dem Tatabend habe „pflegerische Routine“ auf der Station geherrscht, so der Richter. Die Angeklagte, die viele Jahre in der Einrichtung des diakonischen Trägers Oberlinhaus gearbeitet hatte, wählte den Spätdienst, wie so häufig, da dieser weniger hektisch sei. „Das kam ihr entgegen“, sagte Horstkötter. Gegen 16.00 Uhr habe sie das Abendbrot für die Bewohner zubereitet, gegen 18.30 Uhr eine Raucherpause auf der Dachterrasse gemacht. Nichts sei auffällig gewesen. Doch, so der Richter zu der Angeklagten: „An diesem Tag scheint die Arbeitslast Sie zu erdrücken“. Die „enorme innere Wut“, die die 52-Jährige seit Langem in sich getragen habe, sei aus ihr herausgebrochen.

Erst habe sie versucht, einen Bewohner zu erwürgen und eine Bewohnerin zu erdrosseln, schilderte Horstkötter den Ablauf der Tat. Als dies nicht klappte, habe sie ihr mitgebrachtes Messer geholt. Ein scharfes Keramikmesser, das sie eigentlich zur Selbstverteidigung mit sich geführt habe, da es auf dem Parkplatz nahe der Einrichtung immer so dunkel sei. Gegen 20.15 Uhr ist dann alles vorbei. Die Angeklagte sei nach Hause gefahren und habe ihrem Mann von der Tat erzählt. Der rief die Polizei.

Die Angeklagte hätte wegen ihres psychischen Zustandes dringend ärztliche Hilfe bedurft, sagte Horstkötter - auch am 28. April. Wäre die 52-Jährige an diesem Tag - wie es richtig gewesen wäre - zum Arzt gegangen, könnten die Opfer noch leben und wären nicht „auf so grausame Weise ums Leben gekommen“. Horstkötter sprach davon, dass die Tat eine „brutale und wirklich extreme Gewalt gegen fünf Menschen“, gewesen sei. Die Opfer seien die schwächsten und hilflosesten Menschen gewesen.

Eine „emotional instabile Persönlichkeitsstörung“ hatte die Gerichtspsychiaterin Cornelia Mikolaiczyk bei der Angeklagten festgestellt. Ihrem Gutachten folgte das Gericht. Aus Sicht der Strafkammer könne sich die Angeklagte in besonderen Belastungsmomenten nicht angemessen entlasten. Unter Druck komme es zu Impulsen, die in Gewalt ausarteten. Auch in Zukunft sei mit solchen Gewalttaten zu rechnen.

Im Prozess hatte die Gutachterin von Gewaltfantasien berichtet, die die Angeklagte immer wieder gehabt habe - gegenüber ihrem behinderten Sohn, gegenüber ihrer Mutter, vor der sie Angst hatte - und gegenüber den Bewohnern und Bewohnerinnen der Einrichtung. Medikamente hatten sie davon abgehalten - bis zum Abend des 28. April.

Es sei schwer erklärlich, wie die Angeklagte, ein Mensch, der viele Jahre mit Hingabe gepflegt habe, in der Lage sei zu dieser Tat, so Horstkötter. Die Angeklagte wurde von Kollegen als mütterlich, liebevoll und pflichtbewusst beschrieben, die den Bewohnern auch „ein Lächen aufs Gesicht“ zauberte.

Ein Impuls für die Tat, so der Richter, sei auch von der hohen Arbeitsbelastung gesetzt worden, die auch Kollegen im Prozess schilderten. Horstkötter sprach von „Angst vor den Zweier-Diensten“ auf der Station mit zehn schwerst behinderten Bewohnern. Durch die Aufarbeitung der Tat sei das Oberlinhaus nun zu einer besseren personellen Ausstattung gekommen.

Mit dem Urteil folgte die Kammer weitgehend dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft, die auf eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren sowie ein lebenslanges Berufsverbot plädiert hatte. Aus Sicht des Gerichtes sei die Unterbringung in der Klinik jedoch ausreichend, die auch Anklage und Verteidigung übereinstimmend beantragt hatten. Verteidiger Henry Timm überlegt nach eigenen Worten, gegen das Urteil Revision einzulegen. Seine Mandantin sei „erschüttert“ über das Urteil, sagte er.

© dpa-infocom, dpa:211222-99-475117/8

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