New York (dpa)
Immunsystem von Kindern ist stärker als oft vermutet
Dass Kinder oft krank sind, liegt nicht an einem vermeintlich schwachen Immunsystem, im Gegenteil: Es ist in Topform und arbeitet auf Hochtouren. Das macht sich nicht nur im Fall von Covid bezahlt.
Kleinkinder sind ständig verschnupft und bringen gefühlt jeden Infekt in der Umgebung mit nach Hause.
Dennoch ist ihr Immunsystem keineswegs schwächer als das von Erwachsenen, berichten Forscher im Fachmagazin „Science Immunology“ nach entsprechenden Versuchen mit jungen Mäusen und menschlichen Zellen. Insbesondere die T-Zellen des Immunsystems reagierten blitzschnell und effektiv, wenn sie Kontakt mit einem zuvor unbekannten Virus hatten. Möglicherweise erkläre das - neben anderen Faktoren - auch den oft milderen Verlauf von Corona-Infektionen bei Kindern.
Das kindliche Immunsystem habe den Ruf, schwach und unterentwickelt zu sein, sagt Studienleiterin Donna Farber vom Columbia University Medical Irving Center in New York. Das sei aber nicht wahr, auch wenn Babys und Kleinkinder häufig unter viralen Atemwegsinfekten litten, verursacht etwa durch das RSV-Virus (Respiratorisches Synzytial-Virus). Das liege allein daran, dass Babys diesen Viren zum ersten Mal begegneten. „Erwachsene werden nicht so oft krank, weil wir Erinnerungen an diese Viren gespeichert haben, die uns schützen“, sagt Farber. „Für Babys ist hingegen alles, was ihnen begegnet, neu.“
Um die Fähigkeiten des kindlichen Immunsystems genauer zu untersuchen, sammelten die Forscher bei jungen und erwachsenen Mäusen T-Zellen des Immunsystems. Darunter waren auch solche Zellen, die zuvor noch keinen Kontakt zu einem Erreger hatten, sogenannte naive T-Zellen. T-Zellen sind spezialisierte Abwehrzellen. Es gibt unterschiedliche Typen von ihnen, zum Beispiel können einige Virus-infizierte Zellen erkennen und abtöten, andere speichern die Erinnerung an einzelne Erreger, um bei einer erneuten Infektion schneller Abwehrmaßnahmen einleiten zu können. Diese T-Zellen verabreichten die Forscher dann Mäusen, die sie anschließend mit einem Influenza-Virus infizierten, also dem Erreger der Grippe.
Die naiven T-Zellen von jungen Mäusen reagierten schon auf viel kleinere Mengen des Virus als die der Erwachsenen. Sie vermehrten sich schneller und wanderten in größerer Zahl zur Lunge, wo sich Influenza-Viren vor allem vermehren. Für die Forscher sei es überraschend gewesen, dass die Zellen je nach Alter anders reagierten. „Dies bedeutet, dass das Immunsystem des Kleinkinds robust und effizient ist und Krankheitserreger bereits im frühen Alter beseitigen kann“, sagt Farber. „In mancher Hinsicht ist es vielleicht sogar besser als das Immunsystem eines Erwachsenen, denn es ist darauf ausgelegt, auf eine Vielzahl neuer Krankheitserreger zu reagieren.“
„Die frühe Kindheit ist die Zeit, in der besonders viele T-Zellen im Thymus gebildet werden“, erläutert Marcus Peters, Leiter der Arbeitsgruppe Immunologie der Lunge an der Ruhr Universität Bochum. „Mit zunehmendem Alter werden immer weniger T-Zellen gebildet, damit nimmt auch die Fähigkeit ab, auf Neues zu reagieren.“ Auch Erwachsene hätten noch ein Reservoir naiver T-Zellen, aber eben ein kleineres. Dafür verfügten ältere Menschen über ein im Laufe des Lebens angewachsenes Standard-Reservoir an Gedächtnis-T-Zellen, die für die Immunantwort auf bestimmte Erreger zugeschnitten sind. Bei neuerlichem Kontakt mit bereits bekannten Krankheitserregern könne ihr Immunsystem schnell reagieren.
Die kindliche Fähigkeit, auf neue Gefahren schnell eine Antwort zu finden, mache sich möglicherweise im Fall von Sars-CoV-2 bezahlt. Das Virus sei für alle Menschen neu, man erlebe daher momentan einen unmittelbaren Vergleich zwischen dem kindlichen und dem erwachsenen Immunsystem. „Und die Kinder schneiden besser ab.“ Ältere Erwachsene, die mit einem neuen Virus konfrontiert würden, reagierten langsamer. Das gebe dem Virus mehr Zeit, sich zu vermehren, man werde krank.
Dass Kinder trotz ihres sehr aktiven und schlagkräftigen Immunsystems in vielen Fällen häufiger an meist harmlosen Infekten erkrankten als Erwachsene, liege einfach daran, dass auch das kindliche Immunsystem etwas Zeit brauche, um eine Immunantwort aufzubauen, erläutert Immunologe Peters. „Das geht dann halt mit Krankheitssymptomen einher.“ Fieber oder geschwollene Nasenschleimhäute deuteten aber auch nicht auf ein Versagen des Immunsystems hin, sondern im Gegenteil darauf, dass es gut arbeite.
Ihre Arbeit gebe auch Hinweise darauf, warum Impfungen im Kindesalter besonders wirksam seien, schreiben die Forscher um Farber weiter. Man solle sich auch nicht darum sorgen, mehrere Impfungen in dieser Zeit zu bekommen. „Jedes Kind, das in der Welt lebt, insbesondere bevor wir anfingen, Masken zu tragen, ist täglich einer großen Anzahl neuer Antigene ausgesetzt.“ Ihr Immunsystem sei den Umgang damit gewohnt.
„Die Antigene in den Impfstoffen, die eine Immunantwort auslösen, aktivieren immer nur die genau zu ihnen passenden T-Zellen. T-Zellen, die auf das Coronavirus reagieren, reagieren zum Beispiel nicht auf Pneumokokken.“ Eine Überforderung des Immunsystems durch Impfungen gebe es daher nicht, sagt auch Immunologe Peters. Überhaupt sei das Immunsystem ständig aktiv und setze sich permanent mit Antigenen auseinander, die aus der Umwelt in den Körper gelangten, harmlosen wie krankmachenden.
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