Fischerhude (dpa)

„Drüben wird geschossen“ - Was geschah in Fischerhude?

Helmut Reuter und Julian Stratenschulte, dpa
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Von Helmut Reuter und Julian Stratenschulte, dpa
| 29.12.2021 05:14 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Ein Einsatzfahrzeug der Polizei in Fischerhude. Die Polizei hat dort zwei Leichen in einem Haus entdeckt. Foto: Andre van Elten/TNN/dpa
Ein Einsatzfahrzeug der Polizei in Fischerhude. Die Polizei hat dort zwei Leichen in einem Haus entdeckt. Foto: Andre van Elten/TNN/dpa
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Fischerhude ist ein idyllischer Ort mit alten Fachwerkhäusern und leise plätschernden Nebenflüsschen. Und seit Dienstag auch ein Ort, an dem eine Bluttat geschah, die sich niemand erklären kann.

Es ist gegen 16.45 Uhr am Dienstag, als Sabine Sammann das Telefongespräch mit einer Freundin beenden muss. Es hat an der Tür geklingelt.

Diesen Moment wird die 49-Jährige aus Fischerhude wohl nie vergessen: Vor ihr steht eine blutüberströmte Frau. „Helft mir! Drüben wird geschossen“, sagt die Schwerverletzte.

Die Nachbarin lässt sie sofort herein, leistet Erste Hilfe, ihr Mann Joachim alarmiert die Polizei. Die findet nur kurze Zeit später zwei Leichen in einem Fachwerkhaus, das keinen Steinwurf von den Sammanns entfernt liegt.

Die Polizei kommt mit einem Großaufgebot in den rund 3000 Einwohner zählenden Ort, der so ruhig und beschaulich an der Wümme, rund 30 Kilometer nordöstlich von Bremen, liegt. 60 Polizisten nehmen an dem Einsatz am Dienstagabend teil - darunter Spezialkräfte. Rettungswagen und Notärzte sind vor Ort, Blaulicht überall.

Polizei stürmte das Gebäude

Am Anfang ist unklar, ob sich der Täter möglicherweise noch in dem 1825 errichteten Fachwerkhaus aufhält. Dann stürmen die Polizisten das Gebäude. „Gesichert“, heißt es kurz danach am Abend. In dem Haus finden die Beamten die Leichen eines 56-jährigen Mannes und einer 73-jährigen Frau.

Die Ermittler müssen sich zunächst fragen, ob vielleicht der tote Mann der Täter sein könnte. Er ist es nicht, wie sich später herausstellt. Noch am Abend forciert die Polizei die Fahndung. Es werden Spürhunde eingesetzt, eine Drohne sucht aus der Luft nach einem „namentlich bekannten flüchtigen Mann“, wie die zuständige Polizei Verden/Osterholz in einer Pressemitteilung informiert. Auch über Twitter hält die Behörde die Öffentlichkeit auf dem Laufenden. Sie bittet darum, den Einsatzbereich und die gesperrte Straße weiträumig zu umfahren.

Schnell richtet die Polizei eine Mordkommission ein - ein Indiz dafür, dass es sich tatsächlich um ein Gewaltverbrechen handelt. Wie die Frau und der Mann ums Leben kamen, dazu schweigt die Polizei noch. Aber die Frau, die sich am Dienstagabend wohl nur mit viel Glück zu den Nachbarn retten konnte, ist trotz der schweren Verletzungen noch in der Lage, von mehreren Schüssen zu berichten. Die Polizei wird später nur mitteilen, dass wohl eine Schusswaffe zum Einsatz gekommen sein soll.

Ein 64-Jähriger stellt sich

Keine 24 Stunden nach der Tat stellt sich am Mittwochvormittag bei der Polizei ein 64-jähriger Mann. Er ist es, nach dem die Beamten so intensiv gefahndet haben.

Was erste Befragungen ergaben, ist noch unklar. Der mutmaßliche Täter sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden sagt, wurde Haftbefehl wegen Verdachts des Mordes erlassen. In welcher Verbindung der 64-Jährige zu den Opfern stand, müssen die Ermittlungen noch zeigen.

In Fischerhude reagiert man betroffen und fassungslos auf die Bluttat. „Das so etwas hier passiert, hätte man sich ja nie vorstellen können“, sagt ein Nachbar. Die 73-Jährige wohnte nach Aussagen der Nachbarn schon seit Mitte der 1980er Jahre in dem Fachwerkhaus. Ihr Mann war verstorben. Nachbarn beschreiben sie als immer freundlich und hilfsbereit. In Fischerhude kennen sich die meisten.

Der Tatort, ein großes ziegelgedecktes Haus, liegt unweit eines Nebenarms des Wümme-Flusses. Die zweiflügelige Haustür ist am Mittwoch mit einem gelben Polizeisiegel verschlossen. Um den Türrahmen rankt sich eine grüne Weihnachtsgirlande.

Nicht nur bei Wanderern und Wochenendausflüglern ist der Ort inmitten der Wümme-Niederung beliebt. Das frühere Bauerndorf hat auch einen Namen als Künstlerkolonie, deren Geschichte Ende des 19. Jahrhunderts begann, als sich der Maler Heinrich Breling mit seiner Familie dort niederließ. An dem Ort wirkten unter anderen Otto Modersohn, Clara Rilke-Westhoff und zahlreiche weitere Maler, Grafiker und Schriftsteller.

© dpa-infocom, dpa:211229-99-529856/12

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