Berlin (dpa)
Regierung bereitet Ende von Hartz IV vor
Aus für Hartz IV: Die FDP verspricht einen „einfühlsamen“ Umgang mit Langzeitarbeitslosen. Der Arbeitsminister will für sie dauerhafte Jobs. Doch die Gewerkschaften warnen, Betroffenen drohe weiter die Armut.
Mit der geplanten Abschaffung von Hartz IV will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Betroffene in großem Stil aus der Langzeitarbeitslosigkeit holen.
Zugleich stimmte Heil auf eine ausführliche Vorbereitung für die geplante soziale Großreform ein. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte davor, auch mit dem neuen Bürgergeld könnten die meisten betroffenen Haushalte unter der Armutsgrenze bleiben. Die Reform bleibe halbherzig, „wenn die Koalition - was zu befürchten ist - die Regelsätze nicht erhöht“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der Deutschen Presse-Agentur. Anfang des Jahres war der Regelsatz für alleinstehende Erwachsene um 3 auf 449 Euro pro Monat gestiegen.
Heil versprach: „Wo immer es geht, werden wir Menschen mit dem neuen Bürgergeld aus der Bedürftigkeit in Arbeit führen.“ Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen hätten keine abgeschlossene Berufsausbildung, sagte der SPD-Politiker der dpa. „Künftig gilt Ausbildung vor Aushilfsjobs“, sagte er. Also solle „nicht mehr vorrangig“ in kurzfristige Arbeit vermittelt werden.
Mehr Langzeitarbeitslose durch Corona-Krise
Im Dezember gab es laut Bundesagentur für Arbeit (BA) 977.000 Langzeitarbeitslose, ein Jahr davor erst 929.000. Bis 2015 hatte es über Jahre mehr als eine Million Betroffene gegeben. Dann sank die Zahl bis 2019 auf 697.000. Mit der Corona-Krise stieg sie wieder an. Derzeit sind 42 Prozent der Arbeitslosen in Deutschland mehr als ein Jahr ohne Job. Heil sagte: „Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, einen Berufsabschluss nachzuholen und ihnen damit eine echte Chance auf längerfristige Beschäftigung zu eröffnen.“ Die BA solle dies finanziell unterstützen.
Die Ampel will mit dem Bürgergeld, das anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) eingeführt werden soll, das Agieren in den Jobcentern spürbar ändern. „In den letzten 16 Jahren ist es nicht gelungen, die Zahl der Langzeitarbeitslosen einmal dauerhaft unter 700.000 zu drücken“, hatte der FDP-Sozialexperte Pascal Kober am Donnerstag im Bundestag gesagt. Das habe mit dem Umgang mit den Menschen in den Jobcentern zu tun. „Sorgfältig und einfühlsam“ sollten dort künftig die Fähigkeiten der Arbeitslosen ermittelt werden, so der FDP-Experte.
Bonus von 150 Euro
Heil verwies auf den geplanten Bonus von monatlich 150 Euro für alle Betroffenen, die sich weiterbilden wollten. „Heute vermitteln die Jobcenter Menschen aus der Grundsicherung oft nur in kurzfristige Arbeit und sehen sie nach ein paar Monaten wieder, weil sie nicht dauerhaft in Arbeit gebracht werden können.“ Große Hoffnung setzt man in der Koalition auf die geplanten neuen Teilhabevereinbarungen zwischen Jobcentern und Arbeitslosen. Die bisherigen Eingliederungsvereinbarungen seien sehr formalisiert, sagte Heil. Künftig solle konkret festgehalten werden, welche Qualifizierung zum Beispiel nötig sei.
Bis das Gesetz steht, dürfte es aber noch dauern. „Das ist eine große Reform“, sagte Heil. „Deshalb werden wir dieses Gesetz sehr sorgfältig vorbereiten.“ Im Dezember hatte Heil der Funke Mediengruppe gesagt, die Gesetzgebung „beginnt im nächsten Jahr“.
„Sanktionspraxis in Hartz IV ist ein Problem“
Tatsächlich ist laut Koalitionsvertrag längst nicht alles klar - Beispiel Sanktionen bei Verstößen gegen Jobcenter-Vorgaben. SPD, Grüne und FDP wollen, dass in der Teilhabevereinbarung auch Pflichten zur Mitwirkung festgehalten werden. „Sie werden gesetzlich bis spätestens Ende 2022 neu geordnet“, heißt es im Koalitionsvertrag aber nur. Davor soll es eine Evaluation geben - eine Lagebewertung. Heil versichert, künftig solle sich niemand herumgeschubst fühlen, der tatsächlich auf Hilfe angewiesen sei.
Der Grünen-Sozialexperte Andreas Audretsch sagte der dpa: „Die derzeitige Sanktionspraxis in Hartz IV ist ein Problem.“ Die Evaluation werde „sehr schnell“ in Auftrag gegeben. „Die bisherigen Sanktionen trafen leider oftmals die Falschen.“ Audretsch nannte etwa Menschen mit psychischen Problemen.
Zum Zankapfel könnte auch die Höhe der Leistungen werden. Grünen-Experte Audretsch sagte, das Bürgergeld müsse Teilhabe garantieren. „Für uns Grüne ist klar, dass das auch einen höheren Regelsatz bedeutet. Die drei Euro Anhebung zu Anfang des Jahres sind zu wenig.“ Wenn nur unerwartet die Waschmaschine kaputt geht, gerieten die Menschen schon in Existenznot. Piel sagte, zur Ermittlung des Satzes nur die Ausgaben der Ärmsten heranzuziehen sei „eine unsägliche Kleinrechnerei“. Heil tue gut daran, „auch hier aufzuräumen“. Insgesamt sei es gut, „dass die Koalition endlich das Hartz-IV-Unwesen beenden will“.
Forderung nach 650 Euro Regelsatz
Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow warf Heil Ankündigungen ohne Substanz vor: „Warum kann der Minister nicht einfach sagen: Der Regelsatz wird auf 650 Euro angehoben, soviel braucht ein Mensch, um wirklich am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, das betonen Wissenschaft und Sozialverbände zu Recht sei langem?“
Heil, der zugleich stellvertretender SPD-Vorsitzender ist, erinnerte auch an den Vorlauf in seiner Partei. „Was die SPD mit dem neuen Sozialstaatskonzept 2019 beschlossen hat, wird in dieser großen Reform zum Bürgergeld Realität werden“, sagte er. Die SPD hatte damals unter der später zurückgetretenen Chefin Andrea Nahles ihren Abschied vom bisherigen Hartz-IV-System eingeläutet. Heil wies auch auf die nun ebenfalls geplante Kindergrundsicherung hin.
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