Berlin (dpa)
Grünes BIP - Bundesregierung senkt Konjunkturprognose
Der neue Wirtschaftsminister führt beim Jahreswirtschaftsbericht direkt eine Neuerung ein. Sie passt zur „Jahrhundertaufgabe“. Bei der bisher zentralen Kenngröße gibt es für dieses Jahr eine Korrektur - nach unten.
Die deutsche Wirtschaft erholt sich nur langsam von den Folgen der Corona-Pandemie. Die Bundesregierung senkt ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr und spricht von einer schwierigen Aufholphase.
Eine schnelle Entspannung bei der Inflation, die getrieben wird durch höhere Energiepreise, ist nicht in Sicht. Nach der neuen Prognose wächst das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3,6 Prozent - die Vorgängerregierung war im Herbst von 4,1 Prozent ausgegangen. „Die wirtschaftliche Entwicklung ist gedämpft, aber gedämpft optimistisch“, sagte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts in Berlin.
Pandemie und Lieferengpässe
Im ersten Quartal werde die Wirtschaftsleistung voraussichtlich noch durch die Pandemie und die entsprechenden Beschränkungen vor allem in den Dienstleistungsbereichen beeinträchtigt, heißt es in dem Bericht. Belastend wirkten weiterhin auch Lieferengpässe.
„Mit zunehmender Impfquote sollte es gelingen, das Pandemiegeschehen bald nachhaltig einzudämmen und die Krisenhilfen zurückzufahren“, so Habeck. „Dann wird sich auch die wirtschaftliche Erholung zusehends beschleunigen.“ 2021 legte die deutsche Wirtschaft mit 2,7 Prozent Wachstum zwar wieder zu, dieses fiel aber geringer aus als lange erhofft. Im ersten Corona-Jahr 2020 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,6 Prozent eingebrochen.
Wachstum und CO2-Einsparungen
Das BIP war in Jahreswirtschaftsberichten bisher die zentrale Kenngröße. Habeck Ziel aber ist es, die soziale Marktwirtschaft zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft umzubauen. Deswegen tauchen im neuen Bericht verschiedene „Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsindikatoren“ auf - um die Lebensqualität „jenseits des BIP“ aufzuzeigen.
Dazu zählen der Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch, die Emission von Luftschadstoffen und der Anstieg der Siedlungsfläche. „Es geht darum, Wachstum und CO2-Einsparung zu kombinieren“, sagte Habeck. Deutschland stehe vor einer „Jahrhundertaufgabe“: „In weniger als 25 Jahren wollen wir klimaneutral leben.“ Die Nachhaltigkeitsindikatoren seien kein „Beiwerk und Schmückwerk“. Sondern sie sollten zeigen, welche politischen Handlungsfelder es gebe. Deswegen tauchen auch Kenngrößen auf wie der Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern, der Breitbandausbau oder Ausgaben für Forschung und Entwicklung.
BDI: Unternehmerische Aktivitäten nicht gefährden
Industriepräsident Siegfried Russwurm kommentierte, ein nachhaltiges und sozial ausgewogenes Wachstum sei erstrebenswert: „Die Messung von Wohlstand kann durchaus über die simple Erfassung der realen Wirtschaftsleistung hinausgehen.“ Die ambitionierte Umwelt- und Klimapolitik der neuen Bundesregierung dürfe aber unternehmerische Aktivitäten nicht gefährden.
„Unsere Wirtschaftsordnung muss die Interessen künftiger Generationen und den Schutz globaler Umweltgüter systematischer und deutlich verlässlicher berücksichtigen“, so Habeck. Insbesondere gelte es, die Negativeffekte des Wirtschaftens stärker in den Blick zu nehmen: „Wir dürfen kein Wirtschaften mehr fördern, das zu fossilem Energieverbrauch, Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit beiträgt.“
Auch wegen der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie Gas will Habeck den Ökostrom aus Wind und Sonne in Deutschland massiv ausbauen. Das ist ein langer Weg. Aktuell stellen sich vermutlich viele Bürgerinnen und Bürger vor allem die Frage, wie sich die Energiepreise und die Inflation entwickeln. Auf eine rasche Entspannung können die Menschen nicht hoffen. Die Bundesregierung rechnet damit, dass der Anstieg des Verbraucherpreisniveaus in diesem Jahr mit jahresdurchschnittlich 3,3 Prozent „abermals deutlich“ ausfällt. Im Schnitt des vergangenen Jahres stiegen die Verbraucherpreise um 3,1 Prozent - der höchste Stand seit fast 30 Jahren.
Frühere Abschaffung der EEG-Umlage?
Um Verbraucher zu entlasten, prüft die Bundesregierung eine frühere Abschaffung der EEG-Umlage. „Wenn es möglich ist, die Abschaffung der EEG-Umlage vorzuziehen, dann sollte das probiert werden“, sagte Habeck. Die milliardenschwere Umlage über die Stromrechnung soll nach den bisherigen Plänen der Ampel zum 1. Januar 2023 abgeschafft werden. Die Umlage zur Förderung des Ökostroms nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) soll dann aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Finanzierungsfragen sind aber noch ungeklärt.
Die Regierung steht bei den Energiepreisen unter Druck - wie auch an einer anderen Stelle: Der überraschende KfW-Förderstopp für energieeffiziente Gebäude hat bei Betroffenen und Verbänden viel Wut ausgelöst. Habeck verteidigte den Schritt und sprach mit Blick auf drohende Mehrausgaben in Milliardenhöhe von „ungedeckten Haushaltsversprechen“. Deswegen habe die Förderung gestoppt werden müssen. Habeck nannte dies ein „brutales Eingreifen“. Für viele, die Vertrauen auf eine Förderung geplant und gebaut hätten, sei das eine bittere Nachricht gewesen. Er verstehe die Enttäuschung, sagte Habeck. Es habe aber keine andere Wahl gegeben.
Es solle nun schnell Planungssicherheit geschaffen werden, so der Minister weiter. Was aber bis wann genau geplant ist und welche Programme es künftig gibt, ist offen. Offen ist auch, wie es mit den 24.000 Anträgen bei der staatlichen Förderbank KfW weitergeht, die gestellt, aber noch nicht bewilligt sind. Der CDU-Energiepolitiker Andreas Jung warf Habeck im Bundestag vor: „Mit Ihrem Vorgehen haben Sie Vertrauen beschädigt.“
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