Peking (dpa)
Abendessen mit IOC-Chef: Doch weiter Sorge um Peng Shuai
Der Fall Peng Shuai liegt als Schatten auf den Winterspielen. Gesprächstermine mit der Tennisspielerin in der Olympia-Blase sollen Ruhe in die Sache bringen. Doch die Sorgen um die Chinesin bleiben.
Auch ein überwachtes Interview und ein Treffen mit IOC-Chef Thomas Bach hinter verschlossenen Türen haben die Zweifel am Wohlergehen von Peng Shuai nicht zerstreut. Im Gegenteil.
Die französische Sportzeitung „L'Équipe“ veröffentlichte zwar ein langes Interview mit der chinesischen Tennisspielerin. Doch die seltsamen Umstände und merkwürdigen Vorgaben werfen ebenso viele Fragen auf, wie das Gespräch in einem Hotel in der Olympia-Blase von Peking zu beantworten versuchte.
Das Internationale Olympische Komitee beließ es in seinen Stellungnahmen bei dürren Floskeln. Man wolle keine Bewertung vornehmen, ob Peng ihre Vorwürfe wegen eines sexuellen Übergriffs durch einen chinesischen Spitzenpolitiker aus freien Stücken zurückgenommen hat. Noch immer ist nicht klar, wie frei die 36-Jährige wirklich sprechen und sich bewegen kann.
„Stille Diplomatie“ des IOC in der Kritik
Mit Bach und der ehemaligen Athletensprecherin Kirsty Coventry traf sich die frühere Weltranglisten-Erste im Doppel am 5. Februar zum Abendessen. „Wir haben viel besprechen und uns angenehm austauschen können“, sagte sie. Und dass sie bei den Olympischen Winterspielen bereits beim Curling zugeschaut habe und noch gerne zum Eiskunstlauf gehen würde. Das IOC berichtete von einem Austausch gemeinsamer Olympia-Erfahrungen - und dass über weitere Inhalte des Gesprächs Vertraulichkeit vereinbart worden sei.
Die viel kritisierte „stille Diplomatie“ des IOC dürfte durchaus im Sinne des Olympia-Gastgebers sein, der wenig Interesse an weiteren Debatten um Peng Shuai hat. „Dies ist keine diplomatische Frage“, sagte ein Sprecher von Chinas Außenministerium in Peking, als er auf die jüngsten Entwicklungen angesprochen wurde.
Pengs Fall bewegt seit einigen Monaten die Welt, nachdem sie im November im sozialen Netzwerk Weibo die Vorwürfe veröffentlicht hatte. Der Post wurde bald danach gelöscht. Auch hatte die staatliche Zensur jede Debatte im chinesischen Internet darüber geblockt. Seither äußerten Sportler, Politiker und Menschenrechtler ihre Sorge. Peng hatte später bestritten, die Vorwürfe erhoben zu haben.
Inszeniert wirkendes Interview mit „L'Équipe“
Ihre Aussagen wirkten jedoch gestellt und inszeniert - so wie das jüngste Interview auch. Die renommierte französische Zeitung „L'Équipe“ wies selbst darauf hin, welche Bedingungen durch das Nationale Olympische Komitee Chinas (COC) erfüllt werden mussten: Peng würde sich auf chinesisch äußern, die Fragen mussten vorab eingereicht werden, das Interview sollte ohne weiteren Kommentar veröffentlicht werden.
Zudem saß bei dem Gespräch, das für eine halbe Stunde angesetzt war, aber etwa eine Stunde dauerte, ein Vertreter des COC im Raum, der Fragen und Antworten übersetzte. Diese ließ die „L'Équipe“ eigenen Angaben zufolge durch einen Übersetzer in Paris kontrollieren. Und was schließlich auf französisch und englisch veröffentlicht wurde, unterschied sich nur in Nuancen von den Aussagen aus einem inszeniert wirkenden Video-Interview der chinesischen Zeitung „Lianhe Zaobao“ aus Singapur vom Ende des vergangenen Jahres.
Peng Shuai bestreitet sexuellen Übergriff
„Ich habe niemals gesagt, dass irgendwer mich irgendwie sexuell belästigt hat“, sagte Peng der „L'Équipe“ und sprach von einem „enormen Missverständnis“. Damals sagte sie: „Ich habe niemals gesagt oder geschrieben, dass mich jemand sexuell angegriffen hat.“
Sie sei niemals verschwunden gewesen, „jeder konnte mich sehen“, sagte Peng jetzt. Auf die Frage, warum der Beitrag verschwunden sei, antwortete sie: „Ich habe ihn gelöscht.“ Auf die Frage, warum sie ihn gelöscht habe, sagte sie: „Warum? Weil ich es wollte.“ Während sich die Damen-Organisation WTA und ihr Chef Steve Simon zuletzt klar positionierten und Turniere in China und Hongkong aussetzten, wand sich das IOC schon vor den Olympischen Winterspielen in Peking.
IOC tut alles, „dass sie glücklich und zufrieden ist“
„Wir als Sportorganisation tun alles dafür, um sicherzustellen, dass sie glücklich und zufrieden ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, und es ist nicht Ihre Aufgabe zu bewerten, wie ihre Position einzuschätzen ist“, sagte IOC-Sprecher Mark Adams auf die entsprechende Frage eines Journalisten. Bei der Frage, ob aus Sicht des IOC Peng Shuai eine Untersuchung der Vorfälle ohne Sorge vor negativen Auswirkungen fordern könne, verwies Sprecher Adams auf eine Aussage von Bach.
Dieser habe „zurecht gesagt, dass es nicht uns obliegt zu sagen, ob es eine Untersuchung gibt oder nicht.“ Das IOC habe Peng Shuai an seinen Sitz nach Lausanne eingeladen und halte weiter Kontakt zu ihr. „Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir alles tun, um mit dieser Situation umzugehen wie es gebührlich ist und wie es sein sollte.“ Wie Funktionärsphrasen klangen auch einige Worte Pengs, als sie sagte, „der Sport sollte nicht politisiert werden“, dass „Gefühle, Sport und Politik drei grundverschiedene Dinge“ seien und dass ihre privaten Probleme nicht mit Sport und Politik vermengt werden sollten.
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