Berlin (dpa)

Rufe nach Lockerungsperspektiven werden lauter

| 09.02.2022 05:49 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Vor einem Geschäft im Potsdamer Stadtteil Babelsberg steht ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Nur Zutritt mit 2G-Regel das gilt auch fürs Ordnungsamt“. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Vor einem Geschäft im Potsdamer Stadtteil Babelsberg steht ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Nur Zutritt mit 2G-Regel das gilt auch fürs Ordnungsamt“. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
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Die Zahl der Corona-Infizierten steigt weiter. Trotz aller Mahnungen von Gesundheitsminister Lauterbach nimmt die Debatte über Lockerungsperspektiven an Fahrt auf. Streitthema bleibt die Impfpflicht.

Die Rufe nach Lockerungsperspektiven in der Corona-Pandemie werden trotz weiter steigender Infektionszahlen lauter.

Der Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Christian Dürr, sagte der „Bild“, sobald die Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr bestehe, müssten Einschränkungen zurückgenommen werden. „Deshalb sprechen wir auch bereits jetzt über konkrete Öffnungsperspektiven.“ Die nächste Ministerpräsidentenkonferenz sollte dazu erste Beschlüsse fassen. Der Deutsche Hausärzteverband forderte die Bundesregierung auf, einen Öffnungsplan für den Ausstieg aus den Corona-Maßnahmen zu erarbeiten.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte allerdings erst am Dienstag vor einer schnellen Aufhebung von Maßnahmen gewarnt und die Diskussion über Lockerungen als unangebracht bezeichnet. „Wir haben die Lage noch nicht wirklich unter der Kontrolle“, sagte der SPD-Politiker. Mit einem Höhepunkt der Omikron-Welle sei Mitte dieses Monats zu rechnen.

Am Mittwochmorgen meldete das Robert Koch-Institut mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 1450,8 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner erneut einen Höchstwert. Binnen eines Tages wurden 234.250 zusätzliche Ansteckungen verzeichnet - wobei etliche Infektionen unentdeckt bleiben dürften.

Hausärzte fordern Konzept

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Die Politik muss bereits jetzt ein Konzept entwickeln, wie die Öffnungsschritte konkret aussehen sollen.“ Es sei unbedingt zu vermeiden, dass hektisch uneinheitliche und nicht durchdachte Lockerungsmaßnahmen beschlossen würden.

Der Grünen-Politiker Dieter Janecek forderte, bei Lockerungen zuerst Minderjährige zu berücksichtigen. „Kinder und Jugendliche brauchen endlich wieder vollständige Normalität, sie sollten von Öffnungen als erste profitieren“, sagte er der „Bild“. Für den Jugendsport und das Vereinsleben sollten „zeitnah alle Einschränkungen fallen“. FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus will Kindern einen „breiten Zugang zu Bildungs-, Sport- und Kultureinrichtungen“ ermöglichen. „Dies sollte unabhängig vom Impfstatus geschehen und bei Lockerungsmaßnahmen als erstes umgesetzt werden.“

Was passiert mit den Schulen?

Dagegen warnte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft davor, bei möglichen Lockerungen die Folgen für die Schulen aus den Augen zu verlieren. „Schulen sind keine Inseln, Infektionen werden in die Einrichtungen getragen und verbreiten sich auch hier“, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, dem RND. „In anderen gesellschaftlichen Bereichen Schutzmaßnahmen zu lockern bedeutet deshalb, sehenden Auges in Kauf zu nehmen, dass die Infektionszahlen an den Schulen weiter und weiter steigen - und immer mehr Einrichtungen schließen müssen.“

Derweil geht die Deutsche Krankenhausgesellschaft davon aus, dass die Kliniken die Omikron-Welle gut bewältigen. „Ich rechne aktuell für die kommenden Wochen nicht mehr mit einer Überlastung des deutschen Gesundheitswesens“, sagte Vorstandschef Gerald Gaß der „Bild“. Die aktuellen Corona-Maßnahmen sollten gelten bis zum Höhepunkt der Omikron-Welle, den die Bundesregierung in ein bis zwei Wochen erwartet. Danach könne die Politik „ohne Zweifel schrittweise Lockerungen für die kommenden Wochen ins Auge fassen“.

Lauterbach setzt bei Söder auf Vernunft

Im Streit über die Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht geht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiter davon aus, dass auch Bayern die Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal umsetzen wird. Zwar gebe es keine „Mechanik“, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dazu zu zwingen. „Ich hoffe, wir können hier mit der ganz normalen Vernunft auch arbeiten“, sagte Lauterbach am Dienstagabend im ZDF-„heute-journal“. Söder hatte eine Aussetzung des Vollzugs der partiellen Impfpflicht angekündigt.

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans sagte am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“, der Vollzug des Gesetzes sollte bundeseinheitlich ausgesetzt werden, denn es brauche „bundeseinheitliche Anwendungen“. „Nur dann ist dieses Gesetz ein gutes Gesetz, derzeit ist es ein schlechtes Gesetz.“

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour warf der Union vor, rein parteipolitisch und nicht sachorientiert zu agieren. Es sei irritierend, dass CDU und CSU bei diesem so wichtigen Thema der Impfpflicht „ihre Oppositionsrolle schärfen“ müsse, sagte im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Menschen erwarteten aber Lösungen. Das werde nur funktionieren, wenn die Parteien zusammenarbeiteten.

Linke fordert Regierungserklärung

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) forderte ebenfalls ein bundeseinheitliches Vorgehen bei der Umsetzung. Um jetzt den „Einrichtungen, den Beschäftigten und vor allem den Menschen mit Pflegebedarf Sicherheit zu geben, brauchen wir bundeseinheitliche, klare und gut begründete Regelungen“, sagte DBfK-Präsidentin Christel Bienstein dem RND.

Wegen offener Fragen zum weiteren Umgang mit der Corona-Pandemie fordert die Linke für kommende Woche eine Regierungserklärung. Dazu sollten nicht nur Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach, sondern auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Parlament Rede und Antwort stehen, verlangte der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte in einem Brandbrief ans Kanzleramt.

Bevölkerung ist geteilter Meinung

Die Bevölkerung ist einer Umfrage zufolge geteilter Meinung, ob die ab Mitte März greifenden Impfpflicht-Pläne ausgesetzt werden sollten. Rund 46 Prozent bewerteten eine bundesweite Aussetzung in der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts YouGov als sehr oder eher unangemessen. Etwas weniger, nämlich 41 Prozent, halten eine solche Aussetzung laut der am Mittwoch veröffentlichten Umfrage für sehr oder eher angemessen. Der Rest machte keine Angabe.

Das bereits im Dezember von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz legt fest, dass Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken bis 15. März Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen müssen - oder ein Attest, nicht geimpft werden zu können. Arbeitgeber müssen die Gesundheitsämter informieren, wenn das nicht geschieht. Diese können die Beschäftigung in der Einrichtung untersagen.

© dpa-infocom, dpa:220209-99-38192/8

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