Peking (dpa)
Am Ende der Spiele: Thomas Bach und die Bilanz von Peking
Es seien „sehr erfolgreiche“ Winterspiele gewesen, beteuert IOC-Chef Thomas Bach. An China prallt Kritik ohnehin ab. Für Menschenrechtler ist bei diesem Olympia „ein Alptraum“ wahr geworden.
Etwas steif klatscht Thomas Bach zum Gesang der tanzenden chinesischen Helferschar. Frohsinn und Zuneigung wie bei der inszenierten Einlage der Volunteers schlägt dem IOC-Präsidenten eher selten entgegen, wenn er in Peking das olympische Medienzentrum betritt.
Dass der Chef des Internationalen Olympischen Komitees zu Beginn seiner 28-minütigen Bilanzrede von „sehr erfolgreichen“ Winterspielen spricht, dürfte vor allem Gastgeber China erfreuen. „Die Spiele waren ein Traum für Chinas Präsident Xi Jinping, aber ein Alptraum für die Menschenrechte“, hatte Minky Worden von Human Rights Watch wenige Stunden zuvor noch gesagt.
Walijewa dominiert die Schlagzeilen
Die Verfolgung von Uiguren und Tibetern, das Säbelrasseln gegen Taiwan oder das weitere Schicksal von Tennisspielerin Peng Shuai - die bleischwer auf den Spielen lastenden Fragen muss Bach aber kurz vor dem Olympia-Ende gar nicht mehr beantworten. Fast alles dreht sich bei Bachs einziger Medien-Audienz seit Entzünden der Flamme um das bittere Schauspiel um die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa, deren Dopingvergehen und verpatzter Kür-Auftritt tagelang die Schlagzeilen dominierten. „Eine sehr traurige Geschichte“, sagt der IOC-Chef - und ist wenig später bei den Rekord-Einschaltquoten.
Mehr als 300 Millionen Chinesen betreiben schon Wintersport, hat Bach den Statistiken der Gastgeber entnommen. „Mir wurde jetzt gesagt, das nächste Ziel seien 500 Millionen“, übermittelt der 68-Jährige. Das Fazit von Menschenrechtlern setzt andere Schwerpunkte. Chinas kommunistische Führung habe die Spiele benutzt, „um ihre Menschenrechtsverstöße zu vertuschen, ihre Macht und ihre Rolle auf der Weltbühne zu legitimieren“, sagte Noah Hoffmann, dreifacher US-Skilanglauf-Meister und Olympia-Teilnehmer von 2018.
Chinas konsequentes Corona-Konzept geht auf
Chinas Team um Superstar Eileen Gu bejubelt ganz nach Plan den erfolgreichsten Winter-Auftritt der Olympia-Geschichte. Anders als noch im Sommer 2008 präsentiert sich der Gastgeber selbstbewusst als Großmacht, die internationale Anerkennung nicht mehr nötig zu haben scheint. Auch das knallharte Corona-Konzept geht auf. Für die abgeschlossene Olympia-Blase, die keiner der tausenden Beteiligten verlassen darf, vermelden die Organisatoren am Freitag erneut keine Neuinfektionen. „Einer der sichersten Orte auf diesem Planeten“ sei das olympische Peking für die Zeit der Spiele gewesen, lobt Bach.
Chinas Führung indes sieht sich damit auch in seiner strikten Null-Covid-Strategie bestätigt, die im gesamten Land mit Massentests, Quarantäne, Ausgangssperren und Transportbeschränkungen umgesetzt wird. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit und die mit der Sorge vor Corona begründete Überwachung der Olympia-Beteiligten dürfte nicht wenige Athleten auch von Kritik am Ausrichter abgehalten haben.
Bizarr wirkt der kurze Besuch der Tennisspielerin Peng Shuai zu Beginn der Spiele, als sie mit Bach zu Abend isst und als Zuschauerin beim Curling und Big Air auftaucht. Im November hatte sie im sozialen Netzwerk Weibo Vorwürfe wegen eines sexuellen Übergriffs durch einen chinesischen Spitzenpolitiker veröffentlicht. Die Sorgen um ihr Wohlbefinden kann auch der kontrollierte Auftritt bei Olympia nicht zerstreuen. Seither hat man nichts mehr von ihr gehört.
Bach: „Zur politischen Neutralität verpflichtet“
Wie China mit delikaten Nachfragen umgeht, ist spätestens klar, seit die Sprecherin der Organisatoren in der letzten Medienrunde mit dem IOC ausländische Journalisten scharf zurechtweist. Berichte über Umerziehungslager für die muslimische Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang seien nichts als „Lügen“, Taiwan ein „untrennbarer Bestandteil von China“, sagt Yan Jiarong.
Keine Politik beim Sport, wie es die olympische Charta verlangt? Man habe umgehend im Gespräch mit den Organisatoren „die Einigkeit darüber bekräftigt, dass wir unmissverständlich zur politischen Neutralität verpflichtet sind“, lässt Bach zum Eklat mit Yan Jiarong am nächsten Tag milde wissen.
Bald hat der IOC-Chef auch diese Notspiele geschafft, die zweiten nach Tokio 2021 während der Corona-Jahre. „Die Pandemie hat das Leben der olympischen Bewegung bedroht und zwei Spiele in höchste Gefahr gebracht“, stellt Bach fest. Im Pariser Sommer 2024 und beim nächsten Winter-Gastgeber Mailand und Cortina 2026 soll alles endlich wieder viel unbeschwerter werden.
In China hinterlässt der große Olympia-Zirkus milliardenteure Wettkampfstätten, von denen einige womöglich nie wieder für internationale Sportereignisse genutzt werden. Ob das Riesenreich jetzt wirklich auf Dauer „eine Wintersportnation“ ist, wie Bach versichert, wird sich noch zeigen müssen.
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