Vikersund (dpa)
Gewinnt Geiger Gold? Medaillenjagd auf dem Monsterbakken
Großereignisse ohne deutsche Medaillen gab es im Skispringen zuletzt kaum noch. Bei der Flug-WM gilt für Titelverteidiger Geiger und Kumpel Eisenbichler die Devise: alles auf Gold!
Die vergangene Flug-Weltmeisterschaft wird Karl Geiger nie mehr vergessen.
In den wohl turbulentesten 72 Stunden seines Lebens gewann der Allgäuer erst Gold im Einzel und dann Silber im Team, bevor er das slowenische Planica fluchtartig verließ und mit dem Auto durch die Alpen gen Heimat brauste. Schon am nächsten Morgen brachte seine Frau Franziska die gemeinsame Tochter Luisa zur Welt, der Skispringer war tatsächlich rechtzeitig nach Hause gekommen. „Das war dann wohl diese perfekte Woche, von der immer erzählt wird!“, resümierte Geiger.
So aufwühlend und stressig dürfte die nächste Flug-WM an diesem Wochenende für Geiger zwar nicht werden. Die Kombination aus Titelverteidigung, Skifliegen und Rekordjagd auf der größten Anlage der Welt löst bei dem 29-Jährigen aber trotzdem ein wohliges Gefühl der Vorfreude aus. „Als Titelverteidiger war ich auch noch nirgendwo unterwegs“, sagte Geiger über die am Donnerstag beginnende viertägige WM im norwegischen Vikersund, die er von der Bedeutung explizit nicht niedriger als die Vierschanzentournee oder Olympia in Peking werten möchte.
Ordentliche Saisonbilanz
Geiger und Kumpel Markus Eisenbichler haben in diesem vollgepackten Winter eine stattliche Bilanz: Vierter und Fünfter bei der heimischen Tournee, zwei Bronzemedaillen bei den Winterspielen in China, zuletzt folgte Geigers zweiter Rang bei der hochdotierten Raw-Air-Tour in Norwegen. Auch im Gesamtweltcup ist Geiger derzeit Zweiter, weil der herausragende Japaner Ryoyu Kobayashi oft noch einen Tick besser springt.
Nur ein Gold-Coup, wie er Tüftler Geiger in Planica im Dezember 2020 gelang, will diese Saison bislang nicht klappen. Für Vikersund gelten die Spezialisten Geiger und Eisenbichler aber als heiße Kandidaten für den Titel. Im Team gab es seit Erstaustragung 2004 noch nie Gold, weil stets Norwegen oder Österreich siegte.
Das Skifliegen übt selbst auf die Luftkünstler eine brutale Faszination aus: Über 100 km/h Anlaufgeschwindigkeit, acht Sekunden in der Luft und Weiten um die 250 Meter sind möglich. Schon leichte Wetterkapriolen können extrem gefährlich sein, wie ein schwerer Sturz von Daniel-André Tande im vergangenen März bewies. Tande schwebte in Lebensgefahr und musste notoperiert werden, die Bilder schockierten die komplette Skisprung-Szene. Inzwischen ist Tande längst zurück, am vergangenen Sonntag gewann er erstmals wieder ein Einzel.
„Fast so gut wie Sex“
Der für derbe Sprüche und weite Flüge bekannte deutsche Rekordhalter Eisenbichler (Bestweite 248 Meter) sagte der „Bild-Zeitung“ zu der besonderen Disziplin, die nie trainiert wird, einmal: „Skifliegen ist fast so gut wie Sex. Einfach ein Gefühl, das nicht zu beschreiben ist. Man hat extrem viele Gedanken im Kopf, kann die aber überhaupt nicht sortieren, ist einfach extrem glücklich.“
Nach einem langen Flug-Wochenende brauche er erstmal einen oder zwei Tage Ruhe, weil der Adrenalinkick und die Herausforderung so groß seien. „Das schlaucht extrem“, sagte Eisenbichler. Die Skispringer erwarten nun zum Abschluss des Winters drei Flug-Wochenenden am Stück: erst die WM in Vikersund, dann die finalen Weltcups auf den Flugschanzen von Oberstdorf und Planica. Eine überstürzte Heimreise steht für Papa Geiger diesmal nicht bevor.
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