Kiew (dpa)
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Russland stellt den zermürbten Verteidigern der Stadt Mariupol ein Ultimatum - das prompt abgelehnt wird. Die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau bleiben ohne Ergebnis. Entwicklungen im Überblick.
Ein Ultimatum der russischen Truppen an die seit Wochen belagerte Stadt Mariupol ist von der ukrainischen Führung abgelehnt worden. „Es wird keine Kapitulation, kein Niederlegen der Waffen geben“, sagte Vize-Regierungschefin Irina Wereschtschuk der „Ukrajinska Prawda“.
Sie fordert vom russischen Militär die Öffnung eines humanitären Korridors in die Hafenstadt mit Hunderttausenden notleidenden Zivilisten. Russland hatte am Sonntag die ukrainischen Truppen in Mariupol aufgefordert, die Waffen niederzulegen und die Stadt am Montagvormittag zu verlassen. Das russische Militär schickte ein acht Seiten langes Schreiben und forderte eine schriftliche Antwort. „Anstatt Ihre Zeit auf acht Seiten Brief zu verschwenden, öffnen Sie einfach einen Korridor“, zitierte Wereschtschuk aus ihrer Entgegnung.
Der prorussische Donezker Separatistenführer Denis Puschilin sagte dem russischen Staatsfernsehen, er gehe nicht davon aus, dass die Kontrolle über die Stadt in „zwei, drei Tagen oder sogar einer Woche“ erlangt werden könne. Die Stadt sei groß.
Der griechische Konsul zu Mariupol, Manolis Androulakis, der als einer der letzten westlichen Diplomaten die Stadt verließ, gab eine düstere Prognose ab: „Mariupol wird sich einreihen bei jenen Städten, die durch Krieg vollständig zerstört wurden - ob Guernica, Coventry, Aleppo, Grosny oder Leningrad“, sagte er in Athen. „Es gab kein Leben mehr - binnen 24 Stunden wurde die gesamte Infrastruktur zerstört. Es wurde einfach alles bombardiert.“
Tote bei Beschuss im Westen von Kiew
Beim Beschuss von mehreren Gebäuden im Westen der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft in der Nacht acht Menschen getötet worden. Zuvor war von vier Toten die Rede gewesen. Russische Truppen hätten Raketen eingesetzt, teilt die Behörde weiter mit. Das ließ sich nicht unabhängig überprüfen.
Bilder und Videos von der Angriffsstelle am nordwestlichen Stadtrand zeigten große Verwüstung. In dem Einkaufszentrum waren etwa herumliegende Schaufensterpuppen zu sehen und Einsatzkräfte, die den Brand löschen und Trümmerteile beseitigen. Bürgermeister Vitali Klitschko zufolge wurden zudem sechs Wohnhäuser, zwei Schulen und ein Kindergarten beschädigt.
Der Zivilschutz teilte mit, dass der Brand am Mittag gelöscht wurde. Ein Mensch sei zudem verletzt worden.
Verhandlungen fortgesetzt
Vertreter Russlands und der Ukraine haben am Montag erneut verhandelt. Das Gespräch der offiziellen Delegationen habe am Vormittag gut anderthalb Stunden gedauert, sagte der Fraktionsvorsitzende der ukrainischen Präsidentenpartei Sluha Narodu (Diener des Volkes), David Arachamija, der „Ukrajinska Prawda“ zufolge. Danach seien die Beratungen auf Ebene der Arbeitsgruppen weitergegangen. „Heute arbeiten wir den ganzen Tag über“, sagte Arachamija. Zu Inhalten äußerte sich der Politiker zunächst nicht.
Kurz nach Beginn der Invasion begannen Delegationen beider Länder mit Verhandlungen. Moskau fordert etwa einen Verzicht der Ukraine auf einen Nato-Beitritt und eine Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten sowie der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisches Gebiet. Kiew will eine Waffenruhe, den Abzug russischer Truppen sowie Sicherheitsgarantien.
Trotz neuer Gespräche gibt es weiter keine sichtbaren Fortschritte. Moskau sieht nach wie vor keine Voraussetzungen für ein Treffen von Präsident Wladimir Putin mit dem ukrainischen Staatschef. „Sie haben einfach nichts zum Festklopfen, keine Vereinbarungen, die sie festhalten könnten“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge noch vor den Gesprächen.
KZ-Überlebender getötet
Ein Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald ist nach Angaben der Gedenkstättenstiftung bei einem Bombenangriff in Charkiw getötet worden.
Der 96-jährige Boris Romantschenko sei bereits am Freitag durch einen Angriff auf sein mehrstöckiges Wohnhaus in der ostukrainischen Stadt ums Leben gekommen, sagte der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, am Montag. Wagner berief sich dabei auf Informationen eines langjährigen Vertrauten der Stiftung in Charkiw. „Wir trauern um einen engen Freund“, hieß es in einer Mitteilung der Gedenkstätte. Romantschenko habe die KZs Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen überlebt.
In der Ukraine leben nach Angaben der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten noch rund 42.000 Überlebende von NS-Lagern und -Verfolgungsmaßnahmen.
Entwarnung nach Ammoniak-Austritt in Chemiewerk
Nach dem Austritt von hochgiftigem Ammoniak aus einem Chemiewerk in der ukrainischen Stadt Sumy besteht nach Darstellung der Behörden keine Gefahr für die Bevölkerung. Das teilt der staatliche Zivilschutz bei Telegram mit und spricht von einem „leichten Ammoniak-Austritt“.
Durch Beschuss sei ein Tank beschädigt worden. Die betroffene Stelle sei abgedichtet worden. Den Angaben zufolge wurde ein Mitarbeiter des Unternehmens verletzt.
Der regionale Militärchef Dmytro Schywytzky hatte in der Nacht zum Montag an alle Bewohner im Umkreis von fünf Kilometern um das Chemiewerk „Sumychimprom“ appelliert, möglichst Keller oder Wohnungen im Erdgeschoss aufzusuchen, um nicht mit dem Ammoniak in Kontakt zu kommen. Das stark stechend riechende Gas ist leichter als Luft - es steigt also nach oben.
Ukraine: 115 Kinder im Krieg getötet
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind nach Angaben aus Kiew mindestens 115 Kinder getötet worden. Zudem seien bisher mehr als 140 Kinder verletzt worden, teilte die Generalstaatsanwaltschaft am Morgen mit. Die meisten Opfer habe es in der Hauptstadt Kiew gegeben. Der Generalstaatsanwaltschaft zufolge wurden seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar etwa 530 Schulgebäude und Lehreinrichtungen angegriffen und beschädigt. 72 davon seien komplett zerstört worden. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Russland blockiert europäischen Sender Euronews
Russlands Medienaufsicht hat die Seiten des europäischen Fernsehsenders Euronews blockiert. Betroffen von der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft ist auch das russischsprachige Angebot des Senders, wie aus Angaben der Behörde Roskomnadsor vom Montag hervorgeht. Als Grund nannte die Nachrichtenagentur Tass „Falschinformationen“ von Euronews über die „Spezial-Operation“ in der Ukraine, wie der Krieg gegen das Nachbarland in Russland offiziell genannt wird.
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