Berlin (dpa)

Warum Menschen anderen beim Online-Spielen zuschauen

Demy Becker, dpa
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Von Demy Becker, dpa
| 01.04.2022 09:31 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Daniel Reutter bespielt auf dem Youtube-Kanal „SimFans.de“ das Simulationsspiel „Die Sims“. Foto: Privat/Daniel Reutter/dpa
Daniel Reutter bespielt auf dem Youtube-Kanal „SimFans.de“ das Simulationsspiel „Die Sims“. Foto: Privat/Daniel Reutter/dpa
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Extreme Lebensentwürfe und schräge Charaktere: Das Computerspiel „Die Sims“ hat viele Fans. Manche verdienen sogar Geld, indem sie andere dabei zuschauen lassen. Boomt das Konzept auch wegen Krieg und Pandemie?

„Ich freue mich auf das Baby, ihr habt fleißig wieder kommentiert (...) Wirklich sehr schöne Namen“, sagt Daniel Reutter in ein Mikro, während er vor seinem Computer sitzt.

Auf dem Bildschirm sieht man eine animierte Familie im Computerspiel „Die Sims“. Ein Simulationsspiel, in dem Schicksale und Szenarien aus dem wahren Leben nachgestellt werden können. Doch Daniel spielt nicht nur für sich alleine, Tausende schauen ihm dabei zu.

Sein Youtube-Kanal „SimFans.de“ hat rund 157.000 Abonnenten. Diese Community bindet er in die Entscheidungen über die Spielverläufe ein. Das nennt sich „Let's Play“. Er fragt seine Zuschauer, was als nächstes im Spiel passieren soll. Sein derzeitiger Lieblingshaushalt, die Sims-Familie „Klee“, erwartet ein Baby. „Jaina“ für ein Mädchen und „Jacen“ für einen Jungen werden in den Kommentaren vorgeschlagen.

Interaktive Spiele

Das Konzept „Let's Play“ kann recht lukrativ sein, Reutter verdient unter anderem Geld mit geschalteter Werbung auf Youtube. Nach seinen Angaben haben die Videoaufrufe und die Zielgruppe Einfluss auf die Höhe des Verdiensts. Auch andere Youtuber haben dieses Modell für sich entdeckt - die deutsche Youtuberin „simfinity“ hat um die 257.000 Abonnenten. Jenseits des deutschen Marktes dominiert die Youtuberin „lilsimsie“ mit 1,54 Millionen Abos.

Interaktivität spielt nach Angaben von Michael Baur, Professor für Game Design an der Macromedia Hochschule in Leipzig, eine große Rolle bei den „Let's Plays“. „Als Spieler kann ich entspannt zusehen, ohne mich mit den Mikroentscheidungen und den Bedürfnissen der Sims abzumühen, kann aber bei größere Entscheidungen mitbestimmen, das mag für viele Zuseher seinen Anreiz haben“, so Baur.

Nahezu jeden Tag bringt Reutter ein neues Video raus, in dem er erklärt, wie man Häuser baut, er Spiele-Tipps gibt, neue Spiele-Erweiterungen vorstellt oder eben das Schicksal seiner Sims gemeinsam mit seiner Community bestimmt.

Ablenkung für User

In der derzeitigen Lage, bestimmt von Ukraine-Krieg und Corona, schafft das für viele User auch Ablenkung. „Das Spiel ist ja auch so ein Weg, aus dem Alltag zu entfliehen“, sagt Reutter. Das zeigt sich auch in den Sims-Geschichten, die er mit seiner Community kreiert. Sie haben einen Hang zum Extremen, schräge Persönlichkeiten leben hier nebeneinander. Und „der Drang nach Drama“ sei ein entscheidender Faktor in den „Let's Plays“. „Es ist so ein Auf und Ab, wie halt in jedem Film oder in jeder Serie“, beschreibt es Sims-Spieler Reutter.

Simulationsspiele werden aber nicht nur gern angeschaut, sondern auch viel selbst gespielt. Eine Studie des Branchenverbands Bitkom zeigt, dass Simulationsspiele im Corona-Jahr den größten Nutzungszuwachs erlebten. Fast vier von zehn Gamerinnen und Gamern in Deutschland hätten im Jahr 2021 zumindest gelegentlich Games aus diesem Genre gespielt – im Jahr 2020 seien es weniger als drei von zehn gewesen.

Nähe zum Publikum

Den Hang zum Dramatischen sieht auch Game-Design-Professor Baur: „Man kann hier sein eigenes Leben nachspielen oder aber das ausprobieren, was man im realen Leben nicht machen würde“, sagt er.

„Durch das Einbinden der Community in den Spielverlauf schafft der Spieler oder die Spielerin mehr Nähe zum Publikum. Es entsteht ein starkes Gemeinschaftsgefühl“, erklärt Sebastian Klöß, Bitkom-Bereichsleiter für Consumer Technology.

Und das Spiel „Die Sims“ eignet sich nach Experten-Einschätzung besonders gut zum Zuschauen. Die Inhalte seien lang, aber hätten andererseits auch viel Leerlauf und erforderten daher nicht durchweg die volle Aufmerksamkeit, so Dominik Mieth, Professor für Game Design an der Mediadesign Hochschule in München.

Dass er Youtuber ist und vor der Kamera mit dem Spielen Geld verdiene, sei ihm eher unangenehm. Er müsse sich häufig rechtfertigen, sagt Reutter. Kommentare wie „Du spielst den Tag und lebst davon“ müsse er sich gelegentlich anhören. Er selbst wisse aber, was für eine Arbeit dahinter stecke: Schnittarbeit, Recherche, Grafikbearbeitung und Community-Management machen das vermeintliche Spielen zu einem vollwertigen Beruf.

So ist sein Youtube-Kanal immer mehr gewachsen, vor allem zu Beginn der Pandemie. Hinter ihm steht mittlerweile sogar ein kleines Team. Er könne von dem Job als Youtuber und Mediendesigner gut leben, sagt Reutter. Auch wenn für ihn das Spielen ein Beruf geworden ist, vergeht ihm privat nicht die Lust daran. „Es gibt für mich kein Privat-Spielen oder Öffentlich-Spielen. Das ist für mich dasselbe.“

© dpa-infocom, dpa:220401-99-755225/2