Berlin (dpa)
Nach Gräueltaten in Butscha: Diskussion über Energie-Embargo
Nach der Entdeckung toter Zivilisten in einem Vorort von Kiew wird über ein Energie-Embargo gegen Russland diskutiert. Doch ein wirklicher Kurswechsel der Bundesregierung zeichnet sich nicht ab.
Nach den Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha wird auch in der Ampelkoalition über einen sofortigen Stopp von Energielieferungen aus Russland diskutiert.
Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Haltung, diesen Schritt aus Sorge vor den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu gehen. Entsprechend äußerten sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner und SPD-Chef Lars Klingbeil. Unterstützung erhielten sie aus Österreich, während die EU-Kommission ein Embargo nicht ausschloss. Nach dem Abzug russischer Truppen aus Butscha waren in dem Vorort von Kiew viele Tote entdeckt worden.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht forderte eine Antwort der EU-Staaten. Diese müssten sich schnellstmöglich über weitere Sanktionen gegen Russland austauschen, sagte die SPD-Politikerin am Sonntag in der ARD. „Was die Europäische Kommission betrifft, ist nichts vom Tisch“, sagte Vizepräsident Valdis Dombrovskis am Montag. Die Kommission arbeite am nächsten Sanktionspaket. Er hoffe, dass sich die Mitgliedstaaten auf ehrgeizige Schritte einigen könnten.
Nach Schätzung der Brüsseler Denkfabrik Bruegel geben die EU-Staaten täglich rund 380 Millionen Euro für russisches Gas und etwa 360 Millionen Euro für Öl aus dem Land aus. Kritiker sehen darin eine indirekte Mitfinanzierung des Ukraine-Krieges.
Habeck: Jeden Tag Schritte zu einem Embargo
Habeck sagte auf die Frage, ob ein sofortiges Embargo ausgeschlossen sei, egal was der russische Präsident Wladimir Putin tue: „Wir arbeiten ja an der Unabhängigkeit von russischem Öl und von Kohle und Gas.“ Deutschland habe die eigene Öl- und Gasförderung weitgehend eingestellt, sich gegen andere Lieferanten als Russland und gegen Energieterminals entschieden. „Das bauen wir jetzt alles zurück und drehen es um“, sagte der Grünen-Politiker. Es gebe jeden Tag Schritte zu einem Embargo. Auch FDP-Politiker Lindner sagte, es müsse scharfe Sanktionen geben, aber Gas sei kurzfristig nicht ersetzbar. „Wir würden uns mehr schaden als ihnen.“
Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter argumentierte dagegen im Deutschlandfunk: „Es gibt einfach eine unterschiedliche Einschätzung. Ich bin der Meinung, gestützt auf Unmengen Experten und nicht nur Wirtschaftswissenschaftler, dass es möglich ist.“ Ein Embargo wäre allerdings extrem schwierig. „Und es hat Konsequenzen, denn wir brauchen dann ein Rettungspaket für die Industrie. Wir brauchen wieder umfangreiches Kurzarbeitergeld.“
Klingbeil sagte am Sonntag in der ARD, er halte trotz der schrecklichen Bilder aus Butscha ein sofortiges Gas-Embargo für einen falschen Weg. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder teilte diese Position und wies darauf hin, dass sich Russland bereits andere Abnehmer suche, etwa Indien.
„Wir drehen gerade jeden Tag den Gashahn ein Stück weiter zu“, sagte Klingbeil. Bei einem Stopp von heute auf morgen müsse man aber über die Konsequenzen für Deutschland reden. Es gehe auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Auch Österreich lehnt Gas-Embargo ab
Unterstützung bekommt die Bundesregierung aus Österreich, das ebenfalls viel Energie aus Russland bezieht. Man stehe in der Frage zu 100 Prozent an der Seite Deutschlands, sagte Finanzminister Magnus Brunner. Sanktionen seien nur sinnvoll, wenn sie einen selbst nicht mehr träfen als den zu Treffenden.
Bankenpräsident Christian Sewing rechnet im Falle eines Einfuhrstopps für Energie aus Russland mit einem Einbruch der Wirtschaft. „Emotional kann man jede Forderung nach einem Embargo verstehen“, sagte der Deutsche-Bank-Chef. Die Wahrscheinlichkeit wäre aber groß, dass Deutschland und Europa in eine Rezession mit langfristigen Folgen fallen würden.
Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag) stützen die IG Metall und der Industrieverband BDI den Kurs des Wirtschaftsministeriums und lehnen ein sofortiges Embargo ab. „Dieser Stopp könnte in kurzer Zeit unsere politische und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit sowie den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt signifikant schwächen“, heißt es dem Bericht zufolge in einem gemeinsamen Papier.
Ziel: Russische Ölimporte bis zum Sommer halbieren
Nach Habecks Worten ist Deutschland gut dabei vorangekommen, die Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern. Im nächsten Schritt gehe es gerade in Bezug auf Öl darum, „die Willkür und die Abhängigkeit von russischer Beeinflussung der Infrastruktur zu lösen und zu überwinden“. So solle die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt fast vollständig vom russischen Staatskonzern Rosneft übernommen werden. Die Details würden geprüft.
Bis zum Sommer werden aus Sicht des Wirtschaftsministeriums die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein. Mit dem Ende des Sommers und zum Herbst hin könne Deutschland komplett auf russische Kohle verzichten. Beim Gas ist die Lage komplizierter. Der Anteil der russischen Gaslieferungen sank aber laut Ministerium von 55 auf 40 Prozent.
Bei der Versorgung mit nicht-russischem Gas arbeitet die Bundesregierung daran, 2022 und 2023 schwimmende Terminals für Flüssiggas (LNG) in Betrieb zu nehmen. Die Konzerne RWE und Uniper hätten sich im Auftrag der Bundesregierung eine Option auf drei schwimmende LNG-Terminals gesichert, hieß es. Zudem soll der Bau von Terminals etwa in Brunsbüttel vorangetrieben werden.
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