Karlsruhe (dpa)
Prozess um lebensgefährlichen Stoß vor Zug neu aufgerollt
Die Tat klingt ungeheuerlich: Aus Wut und Frust über sein Leben stößt ein Mann am Bahnhof einen anderen ins Gleisbett - während ein Güterzug heranrauscht. Nur knapp entgeht das Opfer dem Tod.
Dass das Opfer diese Tat überlebte, ist kaum zu glauben: Aus dem Nichts stößt ein Mann den Schwerbehinderten an einem badischen Bahnhof in die Gleise.
Als ein Güterzug mit rund 90 Kilometern pro Stunde heranfährt, bettelt der 54-Jährige, dass er auf den Bahnsteig klettern darf. Doch dieser tritt und schlägt zu.
Wegen seiner schmalen Statur schafft es das Opfer, sich in eine Lücke zwischen Betonwand und Zug zu quetschen. Dennoch erleidet der Mann schwere Verletzungen, Knochen brechen - bis heute spürt er die Folgen.
Für die Tat hat das Landgericht Karlsruhe ein Brüderpaar verurteilt. Doch weil der Bundesgerichtshof (BGH) Versäumnisse bei der Beurteilung psychischer Krankheiten sah, muss eine andere Kammer des Gerichts den Fall noch einmal verhandeln. Wieder und wieder wird dabei das Tatgeschehen vorgetragen, an dem der BGH keine Zweifel hat. Die 24 und 27 Jahre alten Syrer äußern sich wie schon im ersten Verfahren nicht, wie ihre Anwälte beim Prozessauftakt sagen.
Im ersten Verfahren hatte das Gericht es als erwiesen angesehen, dass der ältere Bruder im Sommer 2020 den damals 54-Jährigen unvermittelt ins Gleisbett gestoßen hatte. Dieser hatte auf dem Bahnsteig in Waghäusel zwischen Karlsruhe und Heidelberg auf einen Zug gewartet. Der Täter, wie sein Bruder als Flüchtling nach Deutschland gekommen, sei frustriert über seine Lebenssituation gewesen. Schulabschlüsse wurden nicht anerkannt. Hier und da verdiente er ein wenig Geld.
Die Kammer verurteilte den Mann im April 2021 wegen Mordversuchs zu zehn Jahren Haft, seinen jüngeren Bruder wegen unterlassener Hilfeleistung zu neun Monaten auf Bewährung. Doch war insbesondere der Haupttäter zur Tatzeit wirklich schuldfähig?
Der BGH sah die Schuldfähigkeit nicht richtig beurteilt: „So wurde eine paranoide Schizophrenie nicht ausreichend untersucht, weil das Landgericht die Auffälligkeiten in seiner Lebensführung im Tatzeitraum nur unzureichend gewürdigt hat“, teilte er mit. „Zudem lassen die Ausführungen des Landgerichts eine - sich aufdrängende - Auseinandersetzung mit einer drogeninduzierten Psychose vermissen.“ Zu klären sei, ob der Mann in ein psychiatrisches Krankenhaus muss.
So fragte der Vorsitzende Richter am Mittwoch auch immer wieder gezielt nach Symptomen und Drogenkonsum. Nach Angaben einer Gutachterin soll der ältere Bruder regelmäßig Cannabis sowie hin und wieder Kokain und Crystal Meth genommen haben. Optische und akustische Halluzinationen sind ebenso ein Thema.
Für das neue Verfahren hat das Landgericht zunächst drei weitere Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte es Anfang Mai sprechen.
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