Sanaa/Riad (dpa)
Wendepunkt im Jemen: Präsident Hadi gibt die Macht ab
Kritiker sahen im jemenitischen Präsidenten Hadi eine Marionette Saudi-Arabiens und eine Hürde auf dem Weg zum Frieden im Land. Nun tritt der 76-Jährige ab. Die Chance auf Friedensverhandlungen steigt.
Es ist die größte politische Zäsur nach sieben Jahren Bürgerkrieg: Im Jemen hat Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi seine Macht überraschend an einen neu gegründeten Präsidialrat abgetreten.
Das Gremium solle das Land übergangsweise führen und mit den verfeindeten Huthi-Rebellen über eine „endgültige und umfassende“ Lösung des laufenden Konflikts verhandeln. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Saba am Donnerstag. Der Präsidialrat gilt als ein möglicher Schritt hin zu einem Ende des verheerenden Kriegs.
Die Befugnisse Hadis, der seit 2012 amtierte, würden unwiderruflich übertragen, hieß es in dem Dekret. Der Rat solle den Jemen politisch, militärisch und mit Blick auf Sicherheitsfragen für eine Übergangszeit leiten, bis „vollständiger Frieden“ herrsche. Geführt werden soll der achtköpfige Rat von Ex-Innenminister Raschad al-Alimi. Die Ratsmitglieder stammen aus sehr unterschiedlichen Lagern, bilden aber einen neuen Block, geeint durch den gemeinsamen Feind der Huthi-Rebellen.
Seit 2015 mehr als 150.000 Todesopfer
Die schiitischen Huthis, die vom Iran unterstützt werden, hatten das arme Land auf der Arabischen Halbinsel 2014 überrant. Seit 2015 versuchte die Hadi-Regierung mit Hilfe Saudi-Arabiens und weiterer Verbündeter, die Rebellen zurückzudrängen. Der Krieg hat das Land zermürbt und in eine humanitäre Katastrophe gestürzt. Das Analyseprojekt ACLED zählte seit 2015 mehr als 150.000 Todesopfer des Krieges, darunter 14 000 Zivilisten.
Der 76 Jahre alte Hadi war in einer Wahl ohne Gegenkandidaten zum Interimsstaatschef bestimmt worden. Während des Huthi-Vormarschs floh er ins Exil nach Riad. Kritiker sahen ihn als Hürde auf dem Weg zum Frieden und als Marionette von Saudi-Arabiens Militärbündnis. „Er war schwach, korrupt und unfähig, ein starkes Bündnis gegen die Huthis zu bilden“, schrieb Forscher Thomas Juneau von der Universität Ottawa. Zugleich war der von den Vereinten Nationen anerkannte Präsident ein letztes Symbol staatlicher Legitimität.
Die Ankündigung am Donnerstag kam während laufender Jemen-Gespräche in Riad, an denen die Huthis aber nicht teilnahmen. Nach zunehmenden Angriffen der Huthis auch in Saudi-Arabien, etwa mit Raketen und Drohnen, sucht das sunnitische Königreich einen Weg aus dem Konflikt. Saudi-Arabien kündigte einem Bericht der Staatsagentur SPA zufolge am Donnerstag auch an, die jemenitische Wirtschaft mit drei Milliarden Dollar (2,7 Mrd Euro) zu unterstützen. Ein Teil dieser Summe soll von den Vereinigten Arabischen Emiraten kommen.
Der neue Präsidialrat ist eine Art gemeinschaftliches, aber auch schwerfälliges Staatsoberhaupt. Im Jemen gab es solch ein Gremium schon mehrmals. Der Abschied Hadis und der Machttransfer würden den Krieg nicht beenden, könnten aber den „bisher größten Wendepunkt“ bedeuten, schrieb Jemen-Expertin Elisabeth Kendall von der Universität Oxford bei Twitter. Auch in Libyen wurde ein Präsidialrat gebildet als Versuch, den dortigen Konflikt dauerhaft zu lösen.
Erste Feuerpause seit 2016
Der politische Umbau an der Regierungsspitze folgt auf eine Waffenruhe, die am Samstag zum Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan in Kraft trat. Es ist die erste landesweite Feuerpause seit 2016. Die Gewalt ging nach UN-Angaben seitdem deutlich zurück. Die Konfliktparteien warfen sich gegenseitig aber mehrfach vor, gegen die Waffenruhe verstoßen zu haben. Auch wichtige Treibstoff-Lieferungen und einige kommerzielle Flüge sind Teil der Vereinbarung.
Eine Annäherung mit den Huthis war nach der Ankündigung zunächst nicht in Sicht. Mohammed al-Buchaiti, Mitglied im Politbüro der Huthi-Bewegung, bezeichnete den Präsidialrat als „unrechtmäßig“. Er sei eine „Erweiterung der Besatzung“, sagte er dem Fernsehsender Al-Majadin mit Blick auf das von Riad geführte Militärbündnis im Jemen. Mehrere Beobachter äußerten sich dennoch optimistisch, dass die Chancen jetzt gut stünden für Friedensverhandlungen.
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