Kiew/Moskau (dpa)

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

| 20.04.2022 05:25 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Die 63-jährige Vera Ptitsyna legt Blumen auf das frische Grab ihres Mannes Jurij Ptitsyn. Der 74-Jährige starb während der einmonatigen russischen Besetzung von Butscha infolge mangelnder medizinischer Versorgung. Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa
Die 63-jährige Vera Ptitsyna legt Blumen auf das frische Grab ihres Mannes Jurij Ptitsyn. Der 74-Jährige starb während der einmonatigen russischen Besetzung von Butscha infolge mangelnder medizinischer Versorgung. Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa
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Die russische Armee greift in der Ukraine weiter an. Zugleich will der Kreml ein neues Verhandlungsangebot gemacht haben. In Mariupol warten die Menschen auf Rettung. Die Entwicklungen im Überblick.

Russland setzt seine Angriffe in der Ukraine mit unverminderter Härte fort, hat dem Nachbarland nach eigenen Angaben aber auch eine neue Verhandlungslösung angeboten.

Der ukrainischen Seite sei ein schriftlicher Entwurf übergeben worden, „der absolut klare und ausgefeilte Formulierungen beinhaltet“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte dagegen, keinen Vorschlag erhalten zu haben. Russland und die Ukraine meldeten weitere Kämpfe. Im belagerten Mariupol im Südosten des Landes wurde ein Fluchtkorridor ausgehandelt. In Deutschland geht der Streit über Waffenlieferungen weiter.

Neue Verhandlungen?

Wann es neue Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine geben könnte, ist noch offen. Kremlsprecher Peskow erklärte, es gebe zwar keine Frist, bis wann Kiew auf das Angebot antworten müsse. Doch zugleich machte er deutlich, dass Moskau mit dem bisherigen Verhandlungstempo unzufrieden sei. „Wir haben schon mehrmals gesagt, dass die Dynamik der Arbeit der ukrainischen Seite zu wünschen übrig lässt“, sagte Peskow. Nun sei „der Ball auf der Seite“ der Ukrainer. Selenskyj sagte, er sei überzeugt, dass nichts übergeben worden sei.

Die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew hatten am 28. Februar begonnen, vier Tage nach dem von Russlands Präsident Wladimir Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine. Russland forderte bisher unter anderem die Neutralität der Ukraine und die Abtretung der Gebiete Donezk und Luhansk sowie die Anerkennung der Halbinsel Krim als russisch. Kiew lehnt es kategorisch ab, auf eigenes Staatsgebiet zu verzichten.

Massiver Truppenaufmarsch und schwere Gefechte

Präsident Selenskyj berichtete in einer Videobotschaft von einem großen Truppenaufgebot im Osten. „Jetzt ist praktisch der gesamte kampfbereite Teil der russischen Armee auf dem Territorium unseres Staates und in den Grenzgebieten Russlands konzentriert.“ Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs blieben russische Versuche erfolglos, die Städte Rubischne und Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk zu stürmen. Schwere Gefechte habe es zudem um Marjinka, Popasna, Torske, Selena Dolyna und Kreminna gegeben.

Russlands Streitkräfte beschossen nach eigenen Angaben 1053 Militärobjekte. Zudem bombardierten sie 73 militärische Ziele in der Ukraine. Von unabhängiger Seite konnten diese Angaben nicht bestätigt werden.

Flucht von Zivilisten aus Mariupol scheitert

In Mariupol ist eine Rettung von Zivilisten nach ukrainischen Regierungsangaben erneut gescheitert. „Leider hat der humanitäre Korridor aus Mariupol heute nicht wie geplant funktioniert“, teilte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk auf Telegram mit. Die Besatzer hätten es nicht geschafft, die Menschen rechtzeitig zu dem vereinbarten Punkt zu bringen, wo Busse und Krankenwagen auf sie gewartet hätten, sagte sie. An diesem Donnerstag solle es einen neuen Versuch geben. Die prorussischen Separatisten des Gebiets Donezk sprachen unterdessen davon, dass sich knapp 130 Zivilisten aus einem Wohngebiet am Rande des umkämpften Stahlwerks Azovstal in Sicherheit bringen konnten.

Verteidiger in Mariupol bitten um Evakuierung

Der Kommandeur der verbliebenen Marineinfanteristen in der Hafenstadt Mariupol bat um Evakuierung seiner Kämpfer in einen Drittstaat. Er deutete damit auch an, aufgeben zu wollen. „Der Feind ist uns 10 zu 1 überlegen“, sagte Kommandeur Serhij Wolyna in einer auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft. Die ukrainische Seite verteidige nur ein Objekt, das Stahlwerk Azovstal. Präsident Selenskyj zeigte sich zu einem Austausch bereit. „Wir sind bereit, unsere Leute gegen russische Soldaten, die sie zurückgelassen haben - sowohl Leichen, als auch Verwundete - auszutauschen“, sagte der 44-Jährige.

Die südostukrainische Hafenstadt Mariupol wurde am 1. März kurz nach dem Beginn des Kriegs komplett von russischen Truppen eingeschlossen. Die Stadt und auch der Hafen gelten zu großen Teilen als zerstört. Zuletzt hielten sich russischen Angaben zufolge rund 2500 ukrainische Kämpfer und 400 ausländische Söldner in dem Stahlwerk verschanzt. Ukrainischen Mitteilungen zufolge sollen auch rund 1000 Zivilisten dort Schutz gesucht haben. Russland hat die ukrainischen Truppen dort bereits mehrmals dazu aufgerufen, sich zu ergeben. Bisher hatten die Ukrainer dies abgelehnt.

Fünf Millionen Menschen geflüchtet

Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar hat die Marke von fünf Millionen überschritten. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf nannte am Mittwoch 5.034.439 Menschen, die die Grenzen in die Nachbarländer überquert haben sollen. Der Großteil - 2,8 Millionen - flüchtete zuerst nach Polen.

Internationale Geberkonferenz im Mai

Eine internationale Geberkonferenz am 5. Mai soll Geld für die Ukraine sammeln. Die Konferenz werde der Start des kürzlich beschlossenen Solidaritätsfonds für das Land sein, sagte EU-Ratschef Charles Michel bei einem Besuch in Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte bei dem Treffen: „Sanktionen, Waffen, die EU-Mitgliedschaft und Geld - das ist das, was wir heute brauchen.“ Auch seien unverzüglich neue Sanktionen gegen Russland notwendig. Selenskyj rief zudem zu einem völligen Energieembargo auf - einschließlich eines Importstopps für Erdöl und Erdgas.

Russland testet neue Rakete

Unterdessen hat Russland eine neue Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat getestet. Die mit Atomsprengköpfen bestückbare Rakete stärke massiv das nukleare Potenzial, teilte das Verteidigungsministerium mit. Keine Rakete auf der Welt könne Ziele in einer solchen Entfernung erreichen wie diese. Die Sarmat hat eine Reichweite von 18.000 Kilometern. Die Rakete wurde vom Kosmodrom Plessezk im Norden Russlands abgeschossen und schlug auf der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka ein. Das US-Verteidigungsministerium erklärte, der Test werde nicht als Bedrohung für die USA und die Verbündeten gesehen.

UN-Generalsekretär will vermitteln

UN-Generalsekretär António Guterres verstärkt seine diplomatischen Versuche, um eine Waffenruhe im Ukraine-Krieg zu erreichen. Guterres habe Briefe an die UN-Vertretungen Russlands und der Ukraine geschickt: „In diesen Briefen bat der Generalsekretär Präsident (Wladimir) Putin, ihn in Moskau zu empfangen, und Präsident Wolodymyr Selenskyj, ihn in Kiew zu empfangen“, sagte Sprecher Stephane Dujarric in New York. Es müssten „dringende Schritte“ zur Herstellung von Frieden in der Ukraine herbeigeführt werden. Fraglich ist, ob Putin überhaupt mit dem UN-Chef sprechen will.

Streit um Waffenlieferungen

In Deutschland geht die Diskussion um Waffenlieferungen weiter. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht trotz neuer Zusagen für Waffenlieferungen an die Ukraine weiter unter Druck - auch in der Ampel-Koalition. Dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter und der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehen Scholz Äußerungen vom Dienstagabend nicht weit genug. Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zeigte sich unzufrieden.

Luftwaffe fliegt Verletzte nach Deutschland

Die Luftwaffe hat weitere kriegsverletzte Ukrainer zur Behandlung nach Deutschland gebracht. Der Evakuierungsflug aus der polnischen Stadt Rzeszow landete in Hannover. Mit dem Spezialflugzeug A310 MedEvac wurden - wie schon Anfang vergangener Woche - Kinder und Erwachsene ausgeflogen, um in Deutschland schwerste Verletzungen besser medizinisch versorgen zu können. Der A310 MedEvac ist die fliegende Intensivstation der Luftwaffe.

© dpa-infocom, dpa:220420-99-971033/27

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