Kiew (dpa)

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

| 23.04.2022 05:31 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Eine Wohnung in Charkiw steht in Flammen, nachdem sie von russischen Bombardements getroffen wurde. Foto: Felipe Dana/AP/dpa
Eine Wohnung in Charkiw steht in Flammen, nachdem sie von russischen Bombardements getroffen wurde. Foto: Felipe Dana/AP/dpa
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Trotz Krieg wird russisches Gas weiterhin über die Ukraine nach Europa transportiert - nun könnte ein Einbruch drohen. Kiew erwartet hochrangingen Besuch aus den USA. Die aktuellen Entwicklungen:

Der ukrainische Staatskonzern Naftogaz hat vor einem Einbruch des russischen Gastransits über die Ukraine gewarnt.

„Wir schätzen, dass ein Drittel der von Russland in die EU über die Ukraine exportierten Gasmenge verloren gehen kann, wenn die Besatzungskräfte nicht damit aufhören, die Funktion unserer Stationen zu stören“, schrieb Naftogaz-Chef Jurij Witrenko am Samstag bei Twitter. Naftogaz betreibt das ukrainische Gastransportsystem. Nach Angaben des Unternehmens wurden am Freitag mehr als 58 Millionen Kubikmeter Erdgas aus Russland nach Westen transportiert.

Trotz des russischen Angriffs vor zwei Monaten hat die Ukraine weder den Erdgas-, noch den Erdöltransit nach Westen eingestellt. Auch die kurzzeitige Besetzung großer Teile der Nordukraine einschließlich der Pumpstationen an der russischen Grenze durch russische Truppen zu Kriegsbeginn führten nicht zu einem Rückgang.

US-Delegation am Sonntag in Kiew erwartet

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat inmitten des russischen Angriffskrieges überraschend einen Besuch einer hochrangigen US-Delegation an diesem Sonntag in Kiew angekündigt.

„Ich denke nicht, dass es ein großes Geheimnis ist. Morgen werde ich ein Treffen mit dem US-Verteidigungsminister (Lloyd Austin) und mit Außenminister (Antony) Blinken haben“, sagte Selenskyj am Samstag in Kiew bei einer Pressekonferenz in einer U-Bahn-Station. Er hoffe, dass auch US-Präsident Joe Biden anreise - „sobald es die Sicherheitssituation zulasse“. Austin wird am Dienstag auch auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz erwartet.

Angriff auf Odessa

Russland bestätigte unterdessen den Beschuss der Hafenstadt Odessa im Süden der Ukraine mit Raketen. Dabei sei am Samstag ein Logistikterminal auf einem Militärflugplatz getroffen worden, in dem eine „große Lieferung“ Waffen aus den USA und Europa gelagert hätten, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, der Agentur Interfax zufolge. Die russischen Streitkräfte hätten zudem bei Angriffen unter anderem Depots mit Artilleriewaffen und Raketen, Munition und Treibstoff sowie bis zu 200 Kämpfer getötet. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.

Ukrainischen Angaben zufolge gab es bei dem Angriff Tote und Verletzte. „Sieben Raketen flogen heute nach Odessa, zwei haben wir abgeschossen, ein mehrstöckiges Wohnhaus wurde getroffen“, sagte Selenskyj. „Acht Menschen starben, 18 oder 20 Verletzte, ein drei Monate altes Kind wurde umgebracht. Als der Krieg begann, war das Kind einen Monat alt. Was geht hier überhaupt vor?“

Auch an anderen Orten des Landes seien durch russische Attacken Menschen getötet oder verletzt worden, hieß es. Im ostukrainischen Gebiet Luhansk wurden in der Siedlung Solote am Samstag 2 Menschen getötet und 2 verletzt, wie Gouverneur Serhij Hajdaj per Telegram mitteilte. Im benachbarten Gebiet Donezk wurden der Gebietsverwaltung zufolge am Freitag 3 Menschen getötet und 7 verletzt. Im Charkiwer Gebiet hat Gouverneur Oleh Synjehubow am Morgen über 2 Tote und 19 Verletzte innerhalb der vergangenen 24 Stunden informiert.

Selenskyj droht erneut mit Gesprächs-Abbruch

Bei seiner Pressekonferenz in einer zentralen U-Bahn-Station brachte Selenskyj erneut einen möglichen Abbruch jeglicher Gespräche mit Russland für ein Ende des Krieges ins Spiel. „Wenn unsere Leute in Mariupol vernichtet werden, wenn ein Pseudoreferendum über die Unabhängigkeit in Cherson stattfindet, dann tritt die Ukraine aus allen Verhandlungsprozessen heraus.“ Er sei weiter bereit, direkt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verhandeln.

Bei der live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz saß Selenskyj auf einem Stuhl auf einer kleinen Bühne. Die Station war von Scheinwerfern erleuchtet und mit Nationalflaggen ausgestattet.

Mit Austin und Blinken werde er über die „Liste der notwendigen Waffen und über die Geschwindigkeit ihrer Lieferung“ reden, kündigte der ukrainische Präsident an. In der vergangenen Woche hätten sich die Nachrichten zu Waffenlieferungen verbessert.

Selenskyj hofft weiter auf Waffen aus Deutschland

Selenskyj sagte, er erhoffe sich von den USA auch Unterstützung für Waffenlieferungen aus Deutschland. „Damit sie (Deutschland) damit beginnen, das zu liefern, was sie haben und das, was sie gerade nicht nutzen.“ Er erinnere bei jedem Gespräch mit deutschen Vertretern daran. Der Krieg sei in der Ukraine und „ihr habt das, was ihr gerade nicht braucht, und wir brauchen sehr viel“, betonte er.

Ein Sprecher des US-Außenministeriums wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem laut Selenskyj geplanten Besuch äußern. Eine Anfrage beim US-Verteidigungsministerium dazu blieb am Samstag zunächst unbeantwortet. Besuche eines US-Außen- oder Verteidigungsministers in einem Krisen- oder Kriegsgebiet werden von der US-Regierung wegen der hohen Sicherheitsanforderungen zuvor meist geheim gehalten.

Besucher seien aktuell sehr willkommen, aber nicht, um irgendwelche „Selfies“ zu machen, sagte Selenskyj. „Man kann heute nicht zu uns mit leeren Händen kommen. Wir erwarten nicht nur einfach Geschenke oder irgendwelche Törtchen. Wir erwarten konkrete Dinge und konkrete Waffen.“

Angriffe auf Mariupol dauern an

Selenskyj zufolge wird das Stahlwerk Azovstal mit den letzten Verteidigern der Hafenstadt Mariupol massiv mit Artillerie und aus der Luft angegriffen. „Zu einer militärischen Deblockade Mariupols ist die Ukraine derzeit nicht in der Lage. Und die ukrainischen Soldaten, die sich dort befinden, begreifen das“, sagte er. Das sei die Realität.

Interkontinentalrakete ab Herbst

Die russischen Streitkräfte kündigten unterdessen an, ihre neue Interkontinentalrakete Sarmat ab Herbst in Dienst zu stellen. Es gehe jetzt darum, die Raketentests zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen, die Reichweiten zu regulieren und die Sarmat (Nato-Codename: SS-X-30 Satan 2) dann dem Militär zu übergeben, sagte der Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin, in einem TV-Interview.

Russland erhebt Vorwürfe gegen USA

Die russische Führung beschuldigte die USA am Samstag einer geplanten Provokation, um Russland den Einsatz von Massenvernichtungswaffen in der Ukraine unterzuschieben. „Die Inszenierung eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen dient dazu, Russland der Nutzung verbotener Waffen zu bezichtigen, um anschließend das sogenannte „syrische Szenario“ zu verwirklichen, bei dem der betreffende Staat wirtschaftlich und politisch isoliert und zudem aus internationalen Organisationen, wie dem UN-Sicherheitsrat ausgeschlossen wird“, sagte der Chef der ABC-Schutztruppen, Igor Kirillow.

Rund zwei Monate nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine will UN-Generalsekretär António Guterres kommende Woche Russland und die Ukraine besuchen. Nach einem Empfang durch Putin am Dienstag in Moskau wird Guterres in die Ukraine weiterreisen und am Donnerstag unter anderem Präsident Selenskyj treffen, wie die Vereinten Nationen in New York mitteilten.

© dpa-infocom, dpa:220423-99-11336/17

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