Hilfe für die Truppen So kommt der Ukraine-Krieg bis nach Aurich
Anfangs half Ganna Shrainer aus Aurich den geflüchteten Ukrainern in Aurich. Inzwischen unterstützt sie die Armee von hier aus als Freiwillige bei der Verteidigung der Heimat.
Aurich/Sumy - Es macht „Pling“, als das Video von Ganna Shrainer per Whatsapp eintrifft. Die Auricherin hatte es zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine aus der Stadt Sumy im Nordosten der Ukraine erhalten. Es zeigt die brennende Stadt am ersten Tag des Angriffs am 24. Februar, gefilmt von einem Hügel in der Nähe. Das Feuer verschlingt Bäume, Häuser und Hoffnungen.
Was und warum
Darum geht es: Ganna Shrainer aus Aurich erzählt, wie sie Freiwillige der Ukrainischen Truppen von Sumy wurde.
Vor allem interessant für: alle, die mehr über den Krieg und den Einsatz der Ukrainer für ihr Land erfahren wollen – und darüber, wie „Ein Herz für Ostfriesland“ in Sumy hilft
Deshalb berichten wir: Die Flüchtlingshilfe Aurich hat erneut 20.000 Euro erhalten, um geflüchteten Ukrainern und vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine zu helfen.
Die Autorin erreichen Sie unter: n.boening@zgo.de
In Sumy hat Ganna Shrainer bis vor acht Jahren gelebt. „Ich bin dort zur Schule gegangen, habe in Sumy studiert und gearbeitet. Ein Teil meiner Familie lebt noch immer in der Stadt“, sagt Shrainer. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass die Auricherin Hilfe für Menschen ihres Heimatlandes organisiert. Selbst abends sitzt sie entweder an der Nähmaschine und näht aus alten Schals Sturmhauben für die Brigaden von Sumy oder ihre Stricknadeln klackern im Akkord, wenn sie für die Menschen dort warme Schals und dicke Mützen strickt.
Ein Netzwerk in Aurich und eines in Sumy
Wie hier in Aurich hat sie in Sumy ein Netzwerk von Unterstützern, die ihre Lieferungen dorthin verteilen, wo sie gebraucht werden. Auch die Spenden der Aktion „Ein Herz für Ostfriesland“ (EHFO) unterstützen ihr Engagement. Inzwischen sammelt die gebürtige Ukrainerin vor allem Schutzausrüstung und Kleidung für Sumy und seine Bürgertruppen. „Die offizielle Armee war nicht da, als gleich am ersten Kriegstag die russischen Truppen kamen“, sagt Shrainer.
Stattdessen übernahmen Menschen wie ihr Neffe die Verteidigung der Stadt. Shrainer zeigt Bilder, die er geschickt hat. Bürgersoldaten, die an der Front auf Pritschen unter freiem Himmel schlafen. Hätten sie nicht gekämpft, wäre niemand da gewesen, um die Stadt zu verteidigen. Noch immer ist die Situation der Menschen dort schwierig.
Privat organisierte Kuriere transportieren die Hilfsgüter
Aus Sumy erhält Shrainer regelmäßig lange Listen mit Dingen, die gebraucht werden. Nach einem Arbeitstag geht sie oft erst einmal einkaufen: lange Unterhosen, Socken, alles, was wärmt. Dinge, die schwer gebraucht zu bekommen sind. Sie hat zwar aus der Ukraine den Hinweis bekommen, bloß nichts neu zu kaufen. „Gebrauchte Kleidung bekommt man für das gleiche Geld in größeren Mengen – davon haben dann viel mehr Menschen etwas“, heißt es. Aber auch gebrauchte Kleidung ist nicht unendlich verfügbar. Besonders gebrauchte Schutzhelme und Westen sind schwer zu bekommen.
Ihre Pakete transportieren Kuriere, die gezielt Lieferungen in ganz Deutschland abholen. Die Nummern kursieren im privat organisierten Hilfsnetzwerk, das sich aus der Ukraine um die ganze Welt spannt. „Diese Kuriere fahren in den ersten Ort hinter der ukrainischen Grenze und geben die Pakete dort bei der Post auf“, erklärt Shrainer. „Schon nach zwei Tagen sind sie am Ziel.“ Post aus Deutschland brauche dagegen bis zu einen Monat.
EHFO hilft gezielt in der Ukraine
Einige Dinge, die auf diesem Weg in die Ukraine kommen, wurden mit Spendengeld von EHFO finanziert, dem gemeinnützigen Hilfswerk von Ostfriesen-Zeitung, Ostfriesischen Nachrichten und General-Anzeiger. Über die Flüchtlingshilfe Aurich unterstützt Helmut Wendt Menschen wie Ganna Shrainer finanziell, wenn sie mit Engagement allein nicht mehr weiterkommen. „Ich bin unendlich dankbar, dass ich auf diese Weise die Möglichkeit habe, solche Aktionen schnell und unbürokratisch zu fördern“, sagt Wendt. Im Gegenzug erhält er Quittungen, die er an EHFO weiterreicht.
Insgesamt hat die Flüchtlingshilfe Aurich mit ihrem großen Netzwerk und Helfern wie Ganna Shrainer aus dem Spendentopf bereits 121.000 Euro für Hilfsgüter, Kleidung, Möbel oder deren Transport für von Flucht und Krieg betroffene Ukrainer erhalten. Das ist etwa ein Viertel der eingenommenen Spendensumme von 482.050,42 Euro (Stand 21. Dezember). Ganna Shrainer hat ihre Geschichte aufgeschrieben, um zu verdeutlichen, warum die Ukraine diese Hilfe braucht und was dort los ist. Da Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, erhielt die Redaktion die Erlaubnis, den Text sprachlich zu glätten und für die Zeitung zu kürzen.
Wie ich in Aurich Freiwillige im Ukraine-Krieg wurde
Von Ganna Shrainer
Am 24. Februar weckte mich mein Mann um 5.45 Uhr und sagte: „Wach auf, der Krieg hat begonnen!“ In den ersten Minuten verstand ich nicht einmal die Bedeutung seiner Worte. Dann wurde mir klar, dass er über mein Mutterland, die Ukraine, sprach. Es war das passiert, was wir schon lange befürchtet hatten, von dem wir aber immer hofften, es würde niemals eintreten. Seit 2014, als Russland einen Teil der ukrainischen Gebiete besetzte, haben die russischen Medien in vielen Sprachen Lügen über die Ukraine verbreitet. Sie behaupteten, die Ukraine sei ein faschistischer Staat und Ukrainer würden jeden töten, der russisch spricht. Die Anschuldigungen waren absurd. Geschichten wurden in Umlauf gebracht, die aus den Ukrainern Monster machten. Es hieß sogar, ukrainische Labore würden ein Virus herstellen, das Russen töten soll.
Dadurch wurde uns klar, dass dahinter mehr stecken muss und sich Putin auf einen Krieg mit der Ukraine vorbereite. Das Schlimme ist, dass die Propaganda wirkte. Viele Russen begannen, die Ukrainer zu hassen. In Russland lebende nahe Verwandte glaubten uns nicht mehr, wenn wir vom Krieg erzählten. Die Propaganda infiziert die Menschen wie ein Virus. Sie hörten auf, selbstständig zu denken, und verschlossen Augen und Ohren vor der Realität. An diesem 24. Februar sah ich im Internet voller Entsetzen, wie die Häuser meiner Stadt Sumy brannten und russische Panzer durch die Straßen fuhren. Mit zitternden Händen wählte ich die Telefonnummern meiner Verwandten und Freunde. Sie standen bereits unter russischem Beschuss und niemand war erreichbar.
Noch immer leiden die Menschen dort sehr. Auch meine eigene Familie: Das Haus einer meiner Schwestern wurde bombardiert und sie verlor alles, was sie sich im Leben aufgebaut hatte. Ihre Familie wurde obdachlos. Meine zweite Schwester lebte drei Wochen lang mit Mann und Kind in Mariupol unter Bombenbeschuss, bis ihnen unter Einsatz ihres Lebens die Flucht gelang. Die dritte Schwester lebt seit den ersten Kriegstagen in der Region Donezk unter russischer Besatzung. Mein Bruder musste sich mit Lungenkrebs in einem nasskalten Keller verstecken, wo er nicht atmen konnte. In der ersten Kriegswoche weinte ich viel, konnte nicht essen, schlafen und verfolgte ständig die Nachrichten. Mir wurde klar, dass ich helfen musste, als die ersten vor dem Krieg geflohenen Ukrainer in Aurich eintrafen. Die Menschen waren verwirrt, konnten kein Deutsch. Meine Familie und ich halfen zunächst beim Papierkram, bei der Suche nach Wohnungen, Kleidung, Möbeln und anderen notwendigen Dingen. Damals lernte ich Helmut Wendt (Flüchtlingshilfe Aurich) kennen.
Die ersten Monate waren sehr hart. Ich bekam von früh bis spät Anrufe von Flüchtlingen und wusste nicht einmal, wie all diese Menschen an meine Nummer gekommen waren. Bis zum Sommer wurde dank der Fürsorge des Landkreises Aurich, vieler hilfsbereiter Menschen und der Spenden von „Ein Herz für Ostfriesland“ der Bedarf an Hilfe in Aurich geringer und mir wurde klar, dass ich jetzt meiner Heimat helfen musste. Ich wusste seit dem ersten Kriegstag, wie groß der Bedarf der Truppen dort war. Denn dort kämpfen meine Freunde, Nachbarn, Bekannten und auch mein eigener Neffe. Vor dem Krieg waren sie Bauarbeiter, Landwirt, Verkäufer und Lehrer. Mit Kriegsbeginn standen gewöhnliche Männer und Frauen auf, um ihre Familien zu schützen. Fast mit bloßen Händen stoppten sie Kolonnen russischer Ausrüstung und den Angriff auf die Hauptstadt Kiew.
Diese Menschen verbrannten Panzer mit Molotow-Cocktails und lockten feindliche Fahrzeuge in die Wälder, Sümpfe oder unsere klebrige schwarze Erde, wo sie stecken blieben und nicht mehr herauskamen. Sie kämpften fast eine Woche lang wie Partisanen, bis die ersten Bayraktar-Drohnen aus der Türkei eintrafen und die russischen Kolonnen vom Himmel aus bombardieren konnten. Aus einfachen Menschen der Territorialverteidigung in der Region Sumy wurden Helden, die Tausende von Einheiten militärischer Ausrüstung der russischen Armee aufhalten konnten. Diese Menschen verteidigen die Ukraine weiterhin, sie wurden Soldaten der Territorialverteidigungsbrigade des 150. konsolidierten Bataillons der Armee der Ukraine. Ich bin eine ihrer Freiwilligen. Mein Mann André und meine Tochter Krystyna Salimova, viele Landsleute und deutsche Freiwillige unterstützen mich. Einer von ihnen ist Helmut Wendt, der immer zur Stelle ist, wenn ich Hilfe brauche. Ich weiß, diese Hilfe dient nicht nur meinem Heimatland, sondern auch dem Frieden und der Freiheit von uns allen.Schon am ersten Kriegstag stand Sumy unter Beschuss
Hilfe für Flüchtlinge in Aurich
Gewöhnliche Menschen wurden zu Helden
Sie kämpften eine Woche lang wie Partisanen
Mithilfe von 10.000-Euro-Spende Generatoren angeschafft
Ukrainerin aus Steenfelde hilft in ihrer Heimat
„Wir brauchen mehr Menschen, die anpacken“
Weitere 20.000 Euro für die Flüchtlingshilfe Aurich