GA-Weihnachtsaktion Ostrhauderfehnerin nach Schicksalsschlag auf Tafel angewiesen

Clarissa Scherzer
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Von Clarissa Scherzer
| 23.12.2022 12:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Für die Kinder von Bianka Albrecht (vorne, rechts) gibt es an diesem Tag besondere Überraschungen von Tafel-Mitarbeiterin Anne Rother. Fotos: Scherzer
Für die Kinder von Bianka Albrecht (vorne, rechts) gibt es an diesem Tag besondere Überraschungen von Tafel-Mitarbeiterin Anne Rother. Fotos: Scherzer
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Zur Tafel-Ausgabestelle in Klostermoor kommen immer mehr Menschen. Eine von ihnen ist die Osterfehntjerin Bianka Albrecht. Sie ist alleinerziehend und hat sieben Kinder - und sie ist sehr dankbar.

Klostermoor - Es ist Freitag, der 16. Dezember. In acht Tagen ist Weihnachten. Bei der Tafel Rhauderfehn in Klostermoor ist bereits seit dem frühen Vormittag viel los. Die Mitarbeiterinnen bereiten sich auf die wöchentliche Lebensmittelausgabe vor. Bauzäune trennen den Eingangs- und Ausgangsbereich. Neben der Tür stehen Kartons mit Champignons, Salat, Radieschen und Kräutertöpfen bereit. Da kann sich jeder selbst bedienen. Eine Mitarbeiterin baut im Vorraum der Tafel den Spuckschutz aus Plexiglas auf. Dahinter legt sie die Kundenliste für den heutigen Tag zum Abhaken bereit. Eine kleine Geldkasse steht daneben. 2,50 Euro zahlen hier alle pauschal für einen Einkauf, der im besten Fall für zwei Wochen langt.

In den Verkaufsräumen werden noch schnell einige gespendete Waren in die Regale einsortiert. Im großen Raum gibt es frisches Obst, Gemüse, Pilze, Salat, Milch- und Fleischprodukte. Orangen und Äpfel sind in rauen Mengen vorhanden. Exoten wie Ingwer, Ananas, Kaki oder Granatapfel liegen in überschaubarer Anzahl im Regal.

Viele Kundenkommen regelmäßig

Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Andrea Heerhorst und Alexandra Rose inspizieren noch einmal die Regale. Heute sind sie alle voll. Auf Rollwagen lagern Kisten mit Nachschub. „Heute haben wir sehr viel da. Heute ist Tag der Spende“, erzählt Heerhorst, während sie Orangen auf Kartons verteilt. Ihre Brille beschlägt. In den Räumen der Tafel wird meistens Maske getragen. Gemeinsam mit ihrer Kollegin beginnt sie, die Plastikkörbe vom Tresen für die heutigen Kundinnen und Kunden zu packen. Sie kennen ihre Pappenheimer, sagen sie mit einem Lächeln im Gesicht. Viele kommen regelmäßig zu ihnen.

Im kleineren Raum nebenan lagern haltbare Lebensmittel wie Mehl, Zucker, Eier, Getränke, Süßigkeiten, Chips und Flips. Auch Anne Rother, die für diesen Bereich der Lebensmittelausgabe zuständig ist, bereitet sich vor. Im Flur liegen Brote bereit. Hier ist Selbstbedienung. Es ist 14.45 Uhr. Gleich kommen die ersten Kundinnen und Kunden. „Alles ist angespannt, weil wir hier viel zu tun haben. Zum Jahresende machen viele Inventur. Da können noch ordentlich Lebensmittel kommen“, weiß Egon Plaisier, Leiter der Tafel Rhauderfehn. „Ostern wird ruhiger.“

Rentner spendete Energiepreispauschale

Während er von einem Rentner berichtet, der kürzlich seine Energiepreispauschale der Tafel spendete, stellt eine Frau einen Karton warmer Kleidung am Eingangsbereich ab und drückt Plaisier 20 Euro in die Hand. Auch ein Buten-Ostfriese, der nun in Hessen wohnt und Berichte rund um die Tafel interessiert verfolgt, spendete kürzlich eine größere Summe. Die ersten Kunden sind da, werden auf der Namensliste abgehakt und bekommen einen neuen Termin. Fast wie beim Amt oder beim Arzt. Sie bringen Taschen und Rucksäcke mit. Viele kommen alleine. Manchmal sind aber auch Kinder, Verwandte oder Freunde mit dabei. In jeden Raum dürfen maximal zwei Personen rein. Die anderen warten geduldig draußen. Alles ist gut organisiert. Die Stimmung ist ruhig. Manchmal wird gescherzt und gelacht.

Keiner geht mit leeren Händen nach Hause.
Keiner geht mit leeren Händen nach Hause.

„You can tell me, what you want. Du kannst mir sagen, was du möchtest“, fordert Heerhorst ihre Kundin, die auf der anderen Seite der Theke steht und kaum Deutsch versteht, freundlich auf. Die Kundin zeigt in Richtung der gewünschten Lebensmittel. „In German heißt das Honigmelone“, informiert die Mitarbeiterin und gibt ihr die Frucht. „Ananas is for Family.“ Während Melone, Ananas, Kartoffeln und Kürbis über den Tresen wandern, finden Mini-Sprachkurse statt. Cabbage ist Spitzkohl. Ginger ist Ingwer. Die Essensausgabe klingt fast wie ein Wochenmarkt. Auch Schweinefleisch? Ja, wir sind Christen. Magst du Zucchini? Äpfel kannst du dort holen. Möchten Sie noch ein paar Blumen für Ihre Frau mitnehmen? Hier ist die Sahne, hab ich extra zurück gelegt. Auch Kartoffelbrei? Nein, den nicht. Lieber noch Toastbrot.

Gutschein und Tüte Kekse

Bei einigen Kunden und Kundinnen wissen Heerhorst und Rose genau, was sie gerne essen. Aus Kisten holen sie die speziellen Lieblinge hervor. Zwei Packungen Käse, den sonst kaum jemand mag, weil er intensiv riecht. Einen Beutel Peperonis für die Extraschärfe. Und viermal große Quarkbecher. Alle Taschen sind schnell gefüllt. Beim Ausgang gibt es für jeden einen Edeka-Gutschein und eine Tüte Kekse, weil bald Weihnachten ist. Wenn zwei rausgehen, dürfen wieder zwei rein. Eine ganze Gruppe kommt in den Vorraum.

„Nur zwei! Nur zwei!“, versuchen die Mitarbeiter die Regel verständlich zu machen. Auf Deutsch und auf Englisch. Ohne Erfolg. „Kann hier jemand Spanisch?“, ruft einer in die Runde. Schließlich wird das Problem mit Gesten gelöst. „Hier sind etliche Schicksale. Ein Opa kam immer her. Ich habe ihm immer seine Taschen zum Wagen gebracht“, erinnert sich Alexandra Rose. „Jetzt kommt er nicht mehr. Da macht man sich schon Gedanken.“

Stammkundin hatte Schicksalsschläge

Eine Frau, die zahlreiche Schicksalsschläge erlitt, ist Stammkundin bei der Tafel Rhauderfehn. Bianka Albrecht. Sie lebt in Ostrhauderfehn und kommt seit Jahren alle zwei Wochen zum Einkaufen hierher. Sie hat sieben Kinder. Vier davon sind erwachsen und haben eigene Wohnungen. Die anderen drei leben bei ihr. Ihr Mann verstarb 2015. Sie hat die Diagnose Lungenkrebs, Magen-Darm-Krebs, Zöliakie und Diabetes. Ihre berufliche Selbstständigkeit im Bereich Grundstück- und Hausverwaltung musste sie vor Jahren aufgeben. Zusätzlich leidet sie nach insgesamt vier Corona-Impfungen unter Nebenwirkungen. Als sie noch selbstständig war, machte sie bei der Weihnachtsaktion des Gewerbevereins Rhauderfehn „Fehntjer schenken Fehntjern“ mit. Das geht nicht mehr. Sie ist selbst auf Unterstützung angewiesen. „Am Anfang war es ungewohnt und beschämend“, erinnert sich Albrecht zurück. „Mittlerweile gewöhnt man sich daran. Es ist routinemäßig. Man weiß, es hilft.“ Die Lebensmittel holt sie hauptsächlich für ihre Kinder. Obst und Gemüse. Manchmal Chips und Schokolade. An einigen Tagen gibt es bei der Tafel auch Überraschungseier. „Ich bin froh, dass es die Tafel gibt. Ich kann einiges sparen. Ich könnte mir bei den Preisen Obst und Gemüse gar nicht erlauben.“

Spenden

Mittlerweile sind 10.538 Euro im Spendentopf für die heimischen Tafeln. Den Grundstock legte der Erlös der GA-Kunstauktion mit Bildern von Hermann Freede. Dabei sind 3048 Euro zusammengekommen.

Gespendet haben: Astrid Fertig (30,-); Anke Gravel (30,-); Friedrich Brinkmann (30,-); N.N. (100,-); Anita Feldkamp (30,-); Karl-Heinz Wilhelms (25,-); Marga und Herwig Letas (50,-); Ute de Boer, Ostrhauderfehn (50,-); Hans-Dieter Volkmann (30,-); Thekla und Manfred Nannen (100,-); Anette Erbo-Pieper und Norbert Pieper (50,-); Helena Lueken (100,-); Annemarie Schulte (20,-); Margrit Freesemann (50,-); Hilke und Reinhard de Buhr (25,-) und Dirk Zimmermann (30,-).

Die Umstellung durch die Schicksalsschläge waren vor allem für ihre jüngeren Kinder schlimm, berichtet die siebenfache, alleinerziehende Mutter. „Mein Sohn mag das nicht so, dass wir bei der Tafel einkaufen. Er sagt, man könnte gehänselt werden. Er hat Angst.“ Es ist 16.30 Uhr. 30 Leute sind mit ihren Einkäufen bei der Tafel durch. 150 stehen noch auf der Liste. „Das ist jedes Mal lang, das kann 20 Uhr werden, dann räumen wir auf“, beschreibt eine Tafel-Mitarbeiterin den Ablauf. Seit 9.30 Uhr sind die Ehrenamtlichen im Einsatz. Mit Tee, Keksen, Stuten und Herzblut bewältigen sie den langen Tag. „Das ist eine ganz große Leistung, die sie hier machen. Dass jeder was bekommt und nicht mit leeren Händen wieder gehen muss“, schätzt Bianka Albrecht die ehrenamtliche Arbeit, die hinter der Tafel Rhauderfehn steckt. „Die Ehrenamtlichen verdienen das Dreifache an Applaus. Sie sind viel am Packen, Organisieren, Termine vergeben. Arbeiten unter Druck. Ich bewundere sie alle.“

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