Best of 2022 Ein Atomschutzbunker mitten unter der Stadt

Michael Hillebrand
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Von Michael Hillebrand
| 21.04.2022 09:02 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Manuel Rösecke, Verwaltungsfachwirts-Auszubildender bei der Stadt Norden, greift zum Hörer. Alte Telefone wie dieses verbinden die Bunkerräume miteinander. Foto: Ortgies
Manuel Rösecke, Verwaltungsfachwirts-Auszubildender bei der Stadt Norden, greift zum Hörer. Alte Telefone wie dieses verbinden die Bunkerräume miteinander. Foto: Ortgies
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Direkt unter dem Norder Stadtzentrum liegt ein Atomschutzbunker. Er wurde in den 70ern für Tausende Menschen gebaut, ist der vermutlich einzige in ganz Ostfriesland und hat eine weitere Funktion.

Der Krieg in der Ukraine sorgte und sorgt für Verunsicherung in der Bevölkerung. So kam schon kurz nach dem Einfall von Putins Truppen in der Ukraine auch hierzulande die Frage nach Schutzräumen auf, von denen es nur noch sehr wenige gibt. Umso spannender war es für mich, den wohl einzigen noch erhaltenen öffentlichen Atomschutzbunker in Ostfriesland zu besichtigen. Auch jetzt noch, gut ein halbes Jahr danach, löst die Vorstellung daran, dort dauerhaft leben zu müssen, ein mulmiges Gefühl in mir aus. Eine spannende Zeitreise in die Hochphase des Kalten Kriegs war der Termin aber dennoch.

Norden - Die Gittertür geht auf und ein Gang führt unter die Erde. Es ist kalt und klamm und die Leuchtstoffröhren an der Wand flackern auf dem Weg nach unten. Es folgt ein massives und etwa 30 bis 40 Zentimeter dickes Tor, das vermutlich alles aufhält, wenn es einmal zu ist. So gruselig dieser Ort auch ist: Im Ernstfall könnte er mitten im Norder Stadtzentrum viele Menschenleben retten. Es handelt sich um den vielleicht einzigen Atomschutzbunker Ostfrieslands. Zwar entspricht die Anlage nicht mehr allen heutigen Anforderungen. Dafür ist sie eine „Zeitkapsel“ aus dem Kalten Krieg, die vor dem Hintergrund des aktuellen Ukraine-Konflikts einen neuen bitteren Beigeschmack bekommt.

Die Einfahrt zum Bunker, der gleichzeitig eine Tiefgarage ist, liegt am Jan-ten-Doornkaat-Koolmann-Platz. Es gibt zudem in der Nähe eine Ausfahrt sowie zwei Eingänge für Fußgänger. Foto: Ortgies
Die Einfahrt zum Bunker, der gleichzeitig eine Tiefgarage ist, liegt am Jan-ten-Doornkaat-Koolmann-Platz. Es gibt zudem in der Nähe eine Ausfahrt sowie zwei Eingänge für Fußgänger. Foto: Ortgies

Wie Nordens Erster Stadtrat Marcus Aukskel auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilt, wurde der Bauantrag für den Bunker vor genau 50 Jahren gestellt. Danach wurde er von der Nordwestdeutschen Siedlungsgesellschaft mbH als „Mehrzweckhalle“ am Jan-ten-Doornkaat-Koolmann-Platz gebaut, also direkt hinter dem Rathaus. Seit seiner Gebrauchsabnahme im Jahr 1974 dient er dabei nicht nur als Schutzanlage, sondern auch als Tiefgarage für Anwohner, für die 84 Stellplätze zur Verfügung stehen, sagt Ralf Peters vom Fachdienst Bürgerdienste und Sicherheit, als er unsere Zeitung durch die Anlage führt.

Platz für 3355 Menschen

Sie besteht aus zwei voneinander getrennten Schutzbereichen, die offiziell bis zu 1489 beziehungsweise 1866 Menschen Platz bieten sollen. Insgesamt sind davon laut Aukskel 101 Krankenplätze. Viel zu wenige, um im Ernstfall alle der rund 25.000 Einwohner von Norden oder gar von ganz Ostfriesland aufzunehmen. Warum gibt es nicht mehr? Das kann auch Peters nicht sagen. Er kenne keine Kollegen mehr, die Anfang der 70er mit dem Projekt zu tun hatten und das noch wissen könnten, heißt es. Im Falle eines atomaren Angriffs würden es aber wohl ohnehin nur die Menschen in unmittelbarer Nähe rechtzeitig in den Bunker schaffen, vermutet er. Die männliche Bevölkerung wäre im Kriegsfall zudem wohl andernorts an der Front.

Zwei Schiffsmotoren erzeugen im Notfall Strom im Bunker. Foto: Ortgies
Zwei Schiffsmotoren erzeugen im Notfall Strom im Bunker. Foto: Ortgies

Große Teile der Bunker-Ausstattung stammen noch aus der Bauzeit oder haben zumindest einige Jahre auf dem Buckel. So finden sich in einem Versorgungsraum unter anderem alte Mullbinden, Reinigungsmittel, Werkzeug und Messgeräte, Wärmflaschen, Kerzen und Funkgeräte. Zwei große Schiffsmotoren dienen als Notstromaggregat für die ganze Anlage und im Dunkeln leuchtende Farbe an den Wänden hilft dabei, Lichtschalter zu finden. Es gibt Luftfilter und eine Anlage zur Wasseraufbereitung.

Letzte Wartung war 2007

Wer im Ernstfall in den Bunker will, muss durch eine von zwei Schleusen, die über zwei Fußgänger-Zugänge am Jan-ten-Doornkaat-Koolmann-Platz erreicht werden können. Peters zeigt ein kleines Fenster im „Aufsichtsraum“, durch das ein Verantwortlicher die Neuankömmlinge sehen und ihnen die Tür öffnen kann – oder auch nicht. Über eine Gegensprachanlage und ein uraltes Telefon hält er Kontakt zu anderen Seite sowie zu den Menschen in den anderen Bunkerräumen. Hinter seinem Schreibtisch hängt einer der wohl neuesten Einrichtungsgegenstände dieses Arbeitsplatzes: ein Kalender aus dem Jahr 1993. In den anderen Räumen finden sich unter anderem Toiletten, Küchen, Waschmöglichkeiten sowie Tausende übereinander gestapelte Feldbetten.

In den Lagerräumen finden sich unter anderem noch Reinigungsmittel und Mullbinden. Foto: Ortgies
In den Lagerräumen finden sich unter anderem noch Reinigungsmittel und Mullbinden. Foto: Ortgies

Der Zahn der Zeit hat an alledem bislang weniger genagt, als man es sich vielleicht vorstellt. So sagt Peters, dass noch bis ins Jahr 2007 regelmäßig Wartungen durchgeführt und auch Lufttrockner eingesetzt wurden, damit es nicht gammelt. Dann einigten sich jedoch Bund und Länder darauf, die Bunkeranlagen rückabzuwickeln und nicht mehr weiter zu investieren. Das teilt auf Nachfrage Anthea Paul von der Pressestelle des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit.

Schutzräume werden untersucht

Zwar könnte man im Falle des Norder Bunkers die aus hygienischen Gründen abgeklemmte Wasserzufuhr theoretisch wieder anklemmen, um die Bevölkerung im Katastrophenfall kurzfristig unterzubringen, erklärt der Erste Stadtrat. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben aus Bielefeld habe jedoch schriftlich angeordnet, dass auch diese Schutzanlage entwidmet werden soll. Das zumindest war der letzte Stand. So verweist das Bundesamt nun auf die aktuell anstehende Bestandsaufnahme der noch verbliebenden Schutzräume von Bund und Ländern. Dabei wolle man untersuchen, inwiefern sie die Bevölkerung noch schützen können.

Der Norder Bunker ist in zwei voneinander trennbare Bereiche unterteilt. Beide verfügen unter anderem auch über Waschmöglichkeiten. Foto: Ortgies
Der Norder Bunker ist in zwei voneinander trennbare Bereiche unterteilt. Beide verfügen unter anderem auch über Waschmöglichkeiten. Foto: Ortgies

Die Bundesamtssprecherin verweist jedoch gleichzeitig darauf, dass die Bundesrepublik „heute flächendeckend über eine durchaus solide Bausubstanz [verfügt], die unter bestimmten Voraussetzungen bereits einen signifikanten Schutz vor dem Einsatz von Kriegswaffen bieten kann.“ Als Beispiele nennt Paul U-Bahn-Stationen, Tiefgaragen und massive Kellerräume, die vor Druckwellen, Trümmern und bedingt auch vor radioaktiver Strahlung schützen könnten. „Im Notfall können auch Treppenhäuser oder innenliegende Räume, die zwar oberirdisch sind, aber keine Öffnungen nach außen haben (zum Beispiel eine Fenster oder Glasfronten) noch einen deutlichen Schutz vor Waffeneinwirkungen bieten.“

Emden und die Weltkriegsbunker

Insgesamt gibt es in Niedersachsen noch 58 offizielle Schutzräume für die Öffentlichkeit, unter anderem auch in den Landkreisen Emsland und Cloppenburg. Bundesweit sind es 599. Und dann sind da noch neben privaten Bunkern – zu denen es keine Angaben gibt – die militärischen. Nähere Infos dazu unterliegen aber der Geheimhaltung, bittet eine Sprecherin der Bundeswehr auf Nachfrage um Verständnis.

Während man Norden eher weniger mit Bunkern verbindet, ist Emden mit Schutzräumen übersät, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammen. Laut Stadtsprecher Eduard Dinkela gab es im Jahr 2010 so auch noch vier offizielle aktive Schutzräume, die inzwischen aber alle rückabgewickelt worden seien. „Das Thema Schutzräume spielte in den vergangenen Jahren bei einer Krisenbeurteilung keine Rolle. Sicherheitskonzepte sind seitdem nicht erstellt worden.“ Sämtliche Bunker in Emden, auch die bis 2010 genutzten, seien darüber hinaus nicht für atomare Gefahren ausgelegt. „Auch für konventionelle Gefahren sind diese Bunker nicht mehr geeignet bzw. eingerichtet.“ In den Landkreisen Leer und Wittmund gibt es heute ebenfalls keine offiziellen Bunker (mehr), heißt es aus den Pressestellen der dortigen Kreishäuser.

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