Brandts Welt Kunst oder Leben

Jan Brandt
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Eine Kolumne von Jan Brandt
| 19.05.2023 16:07 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
Autor und Kolumnist Jan Brandt.
Autor und Kolumnist Jan Brandt.
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In seiner Kolumne fragt sich Jan Brand, ob sein Vater sich mit seiner Musik nicht zu viel zumutet. Zur Tour durch Deutschland kam es dann aber nicht.

Die ist gerade wieder weg“, sagte Vater am Telefon, er meinte die Journalistin vom GA, die morgens zum Tee vorbeikommen wollte, um mit Vater über seine Musik zu sprechen, und dann bis Mittag geblieben war. „Die wollte alles wissen, mit dem Musiklehrer aus Bremen, dem Männergesangverein, dem Zupforchester. Und mit MARE. Jetzt ist bald zwölf und wir haben noch gar nicht gegessen. Man gut, dass wir noch Buttermilch haben. Ich gebe dir deine Mutter noch eben.“ Ich hörte, wie er in die Küche ging, mit Mutter sprach und halb zu ihr, halb zu mir sagte: „Ja, ist ja dein Sohn. Musst du auch eben mit reden.“

Als der Artikel erschien, an Mutters 91. Geburtstag, stand das Telefon nicht still. Die einen riefen an, um Mutter zu gratulieren, die anderen, um Vater zu beglückwünschen. Beide notierten die Namen auf Zetteln und verglichen später, wer mehr Anrufe hatte, zur Überraschung aller waren es gleich viele gewesen. Eine Woche später, am Geburtstag meines Bruders, kam Vater in einen ernsten Konflikt, erst Bandprobe, dann Familienfeier. „Ich merkte, dass es denen nicht ganz passte, wie ich wegging, Manfred und Reemt.“ Und da fragte ich mich, ob das mit der Band auf Dauer gutgehen würde oder ob er sich, wie so viele Musiker, irgendwann entscheiden musste: für die Kunst oder das Leben.

„Die machen sich alle verrückt“

Kurz darauf hatten sie einen Auftritt im Altenheim in Emden. Emden war das Tor zur Welt. Und ich fürchtete schon, dass die nächsten Stationen Oldenburg, Bremen, Hamburg sein würden, dass sie sich zu viel zumuteten, eine Tour durch Deutschland, und war einigermaßen erleichtert, als Mutter Anfang Februar verkündete, Vater habe zwar fürs ganze Jahr schon einen vollen Terminkalender, aber an den üblichen Veranstaltungsorten: Haus Wohlthat, Lindenhof, Museumsbauernhof.

Der Autor

Der Schriftsteller Jan Brandt wurde 1974 in Leer geboren, ist in Ihrhove aufgewachsen. Er studierte in London, Berlin und Köln Literaratur und Geschichte und absolvierte an der Deutschen Journalistenschule München eine Ausbildung. Heute lebt Jan Brandt in Berlin. Sein Debütroman, das Ostfriesen-Epos „Gegen die Welt“, stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Anfang März erklärte Mutter, dass das Frühstückskonzert am Mittwoch abgesagt worden sei. „Die machen sich alle verrückt … Oh, er kommt jetzt gerade.“ Sie wollte den Hörer schon weiterreichen, aber Vater sagte aus dem Hintergrund: „Mutt even Jacke uttrecken.“ Das gab Mutter die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass sie heute Verlobungstag hatten. „Heute vor 60 Jahren.“ Sie lachte, und Vater lachte auch. „Ohne mich“, sagte Mutter, „hätte er das gar nicht geschafft.“ – „Was?“, hörte ich Vater fragen, und Mutter sagte: „Alles.“

Als Vater dann endlich dran war, informierte er mich darüber, wie gespenstisch es im Dorf sei. „Nümms is up Padd.“ – „Außer dir“, sagte ich und bat ihn, niemandem die Hand zu schütteln, Abstand zu halten, nirgendwo reinzugehen, auch nicht zum Einkaufen, aber davon wollte Vater nichts wissen. „Mach dir keine Sorgen. Uns geht es gut. Wir halten uns fruchtig.“ Ich bat meine Geschwister, sich um die Eltern zu kümmern, sie von allem fernzuhalten. Meine Schwester schrieb: „Du weißt doch, wie er ist. Den kannst du nicht anbinden.“ Und mein Bruder schrieb: „Du Student. Was willst du machen? Die haben Adolf überlebt, die Sexwelle, die Ölkrise und zwei Währungsreformen. Das werden die auch überstehen.“

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