Kolumne „Brandts Welt“ Das Verhör
In seiner neuen Kolumne schreibt der GA-Autor Jan Brandt über die Begegnung mit seinem Nachbarn, in deren Wohnung eingebrochen worden ist.
„Hallo, Manuel, ich habe gehört, bei dir ist eingebrochen worden.“ Manuel, mein Nachbar, schloss gerade sein Fahrrad an, während ich meins, keinen Meter von ihm entfernt, aufschloss. „Ja“, sagte er, „am Vormittag, ich war nur von neun bis halb elf weg.“ Er richtete sich auf, hob eine Kiste voller Wasserflaschen vom Gepäckträger und stellte sie neben die Haustür. „Und was ist da passiert?“, fragte ich, mich auf meinen Sattel schwingend. „Die haben die Tür aufgebrochen. Ich habe die ja überrascht. Ich wusste nicht, dass die das waren. Ich hörte nur unten, als ich reinkam, wie jemand einen Warnschrei ausgestoßen hat, und auf der Treppe kamen mir zwei Frauen im Eilschritt entgegen.“ Ich zog die Augenbrauen hoch, weil ich kurz zuvor bei uns im Treppenhaus fast das Gleiche erlebt hatte, und erzählte ihm von meiner Beobachtung.
„Unter mir, die war da“, sagte Manuel ungerührt, „und die schräg über mir auch, aber die haben nichts gehört, obwohl die mit der Brechstange da rein sind.“ – „Was hattest du denn für ein Schloss?“ Ich wollte mich vergewissern, dass ich alle Vorkehrungen getroffen hatte, um zu verhindern, dass so etwas bei mir geschehen konnte. „Das war recht neu, aber die Türfüllung war marode.“ Über meine Türfüllung hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht, ich wusste nicht, ob sie einer Brechstange standhalten würde oder nicht, deshalb leitete ich gleich zum nächsten Punkt meines Verhörs über: „Und? Ist etwas geklaut worden?“
Manuel nickte. „Aber nur ein paar Kleinigkeiten. Modeschmuck, nichts Besonderes.“ – „Aber das ist natürlich super unangenehm“, sagte ich, und Manuel sagte: „Extrem unangenehm. Vor allem, ich hatte an dem Tag meinen Laptop nicht wie sonst weggeschlossen, sondern auf dem Schreibtisch liegen. Der selbst ist nichts wert, aber da ist meine ganze Arbeit drauf.“ Damit sprach Manuel meine größte Angst an. Auf meinem Laptop war alles, was ich in den vergangenen zwanzig Jahren geschrieben hatte. Ich fertigte zwar regelmäßig Sicherungskopien an, aber die Vorstellung, dass alle meine Aufzeichnungen in fremde Hände geraten könnten, bereitete mir schlaflose Nächte.
Wohnen die Einbrecherinnen im selben Haus?
„Die sind offenbar gleich ins Schlafzimmer“, fuhr Manuel in seinem Bericht fort, ohne dass ich ihn dazu aufgefordert hätte, „und sie können nur kurz drin gewesen sein. Nur vor einem meiner Kleiderschränke lagen die Sachen auf dem Boden. Zwei Frauen. Ich bin sofort hinterher, aber die waren schon weg.“ – „Ja, klar“, sagte ich, aber Manuel sagte: „Gar nicht so klar, der Bürgersteig ist lang.“ Er wies zu beiden Seiten die Straße hinunter. „Wahrscheinlich saßen die im Auto irgendwo“, mutmaßte ich. „Das ist eine Möglichkeit“, sagte Manuel. „Die andere ist, aber ich weiß gar nicht, ob ich das sagen soll …“ – „Was?“, fragte ich, ohne in dem Moment zu merken, dass er inzwischen damit begonnen hatte, mich zu verhören. „Ich dachte, dass es vielleicht jemand aus dem Haus war.“
„Aber wir kennen doch alle“, sagte ich. „Tun wir das?“, fragte Manuel. „Manche vermieten ihre Wohnungen ja auch unter. Hast du nicht auch neulich Freunde bei dir übernachten lassen?“