Polen ausgenutzt Ausbeuter von Emder Leiharbeitern steht vor Gericht

Daniel Noglik
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Von Daniel Noglik
| 07.09.2023 19:29 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Jonas P. (Name geändert) leistete sich auf Kosten der Leiharbeiter ein Luxusleben. Grafik: Fischer
Jonas P. (Name geändert) leistete sich auf Kosten der Leiharbeiter ein Luxusleben. Grafik: Fischer
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Am kommenden Mittwoch soll der Prozess gegen den Firmenboss beginnen, der in Emden polnische Leiharbeiter ausnutzte. Doch unsere Quellen sagen: Er könnte sich ins Ausland absetzen.

Emden/Köln - Der Mann, der als Firmenboss in Emden vor allem polnische Leiharbeiter im Umfeld des Volkswagen-Werkes ausgebeutet hat, steht in der kommenden Woche vor Gericht – unter anderem, weil er die Krankenkassenbeiträge seiner Beschäftigten nicht gezahlt haben soll. Am Mittwoch beginnt um 9.30 Uhr am Amtsgericht Köln gegen Jonas P. (Name geändert) der Strafprozess. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm insgesamt 47 Taten zwischen Dezember 2020 und Oktober 2022 vor. In 46 Fällen geht es unseren Informationen zufolge um Außenstände bei der AOK Rheinland-Hamburg, der Kaufmännischen Krankenkasse, der Pronova-BKK, der Barmer und weiteren Krankenkassen.

Im 47. Fall geht es um Insolvenzverschleppung: P.s Unternehmen soll den Ermittlern zufolge schon Ende Dezember 2020 nicht mehr zahlungsfähig gewesen sein. Doch erst als die AOK als Gläubigerin das zuständige Gericht informierte, begann das Insolvenzverfahren – inklusive einer Benachrichtigung an die Staatsanwaltschaft. P. hatte die Firmeninsolvenz nicht angemeldet. Versäumt ein Geschäftsführer, das zu tun, obwohl die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung eingetreten ist, begeht er eine Straftat. Eine strafrechtliche Verurteilung könnte aber nicht das einzige Problem für P. sein, denn: In der Regel haftet der Geschäftsführer für Zahlungsverpflichtungen nach Eintritt der Insolvenzreife persönlich, also mit dem Privatvermögen.

Kommt es überhaupt zur Verhandlung?

Im Regelfall sieht das Gesetz für den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Gefängnis vor. Für die Nichtabführung von Sozialabgaben kann es ebenfalls eine Geldstrafe geben – oder bis zu fünf Jahre Haft. Von besonders hohen Strafen ist im vorliegenden Fall allerdings nicht auszugehen. Dass das so ist, lässt sich aus dem Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft herauslesen: 581 Ds 274/23. Das „Ds“ im Aktenzeichen bedeutet, dass die Sache vor dem Strafrichter am Amtsgericht angeklagt ist – also nur ein einziger Richter entscheiden wird. Der Einzelrichter ist immer dann zuständig, wenn eine Bestrafung von weniger als zwei Jahren Haft zu erwarten ist. Maximal verhängen darf der Strafrichter vier Jahre Gefängnis.

Unklar ist indes, ob es am Mittwoch überhaupt zu einer Verurteilung kommen kann. Unsere Quellen berichten davon, dass P. in jüngster Zeit oft im Ausland gewesen sei – und sie befürchten, dass er nicht zum Gerichtsprozess erscheinen könnte. Das ist vor allem deshalb problematisch, weil P. unseren Erkenntnissen zufolge zusätzlich zur deutschen eine weitere Staatsbürgerschaft besitzt, und zwar die eines Landes, das seine eigenen Staatsbürger nicht an die deutschen Behörden ausliefert. Zwar kann das Gericht beim unentschuldigten Fernbleiben des Angeklagten einen Haftbefehl erlassen. Setzt sich P. vor Verhandlungsbeginn allerdings in sein zweites Heimatland ab, kann er sich dem Prozess und einer möglichen Bestrafung entziehen.

„Für jeden Betroffenen eine Frechheit“

Angesichts der Praxis, eigene Staatsbürger nicht zu überstellen, würde auch ein Internationaler Haftbefehl im Fall Jonas P. nichts bringen – sofern er nicht in ein Land reist, das ein Auslieferungsabkommen mit dem deutschen Staat hat. Würde er nach seinem Fernbleiben allerdings beispielsweise einen EU-Mitgliedsstaat betreten, wäre dieser ersucht, den Flüchtigen an die Bundesrepublik auszuliefern. Kürzlich war beispielsweise ein mutmaßlicher Komplize der Wiesmoorer Cannabis-Anbauer aus Spanien nach Ostfriesland ausgeliefert worden. Der rechtsextreme und verschwörungsideologische Aktivist Attila Hiltmann hatte sich aber beispielsweise durch seine türkische Staatsbürgerschaft einem Haftbefehl entzogen.

Die IG Metall in Emden hatte parallel zu unseren Enthüllungen daran gearbeitet, die Leiharbeiter den Machenschaften von P. und seinen Kollegen zu entziehen. Dabei hatten die Gewerkschafter auch verdeckt in den Emder Produktionshallen agiert. „Für jede betroffene Kollegin und jeden betroffenen Kollegen ist es eine Frechheit, dass dieser Mensch immer neue Unternehmen gründen konnte und bis jetzt damit ungeschoren davonkam“, sagt Gewerkschaftssekretär Henrik Köller der Redaktion. „Wir brauchen in Deutschland endlich Kontrollmechanismen, die dafür sorgen, dass die Beschäftigten in der Leiharbeits- und Werksarbeitsbranche nicht weiter ausgebeutet werden.“

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