Ausflug in die Geschichte Wie Baltrum den Künstler Paul Klee prägte
Paul Klee machte im September 1923 Urlaub auf Baltrum. Die Zeit dort hat nicht nur bei dem Künstler Spuren hinterlassen.
Er gilt als einer der bedeutendsten und vielseitigsten Maler des 20. Jahrhunderts. Ein Teil der Schaffensperiode von Paul Klee ist eng verbunden mit der ostfriesischen Insel Baltrum. Dort verbrachte der Künstler im September 1923 mit seiner Familie einen mehrwöchigen Urlaub. Während dieser Zeit schuf er diverse Zeichnungen und Aquarelle, die heute in seinem Gesamtwerk als „Nordseebilder“ geführt werden.
Im Heimatmuseum „Altes Zollhaus“ auf Baltrum läuft bis zum Saisonende eine Sonderausstellung zu Paul Klee. Zu sehen sind 34 Faksimiles von Werken des Künstlers sowie drei Aquarelle seines Sohnes Felix. Die Öffnungszeiten sind von Montag bis Samstag zwischen 10 Uhr und 12 Uhr sowie von Montag bis Donnerstag zwischen 15 und 17 Uhr. Nähere Informationen online unter www.baltrum.org.Ausstellung auf Baltrum
Paul Klee wurde am 18. Dezember 1879 in Münchenbuchen bei Bern als Sohn einer Schweizer Mutter und eines deutschstämmigen Vaters geboren. Nach seinem Abitur studierte er in München und machte sich anschließend erst einmal hauptsächlich als Grafiker einen Namen. 1911 schloss er sich der Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“ an. Inspiriert durch eine Studienreise nach Tunesien widmete er sich ab 1914 verstärkt der Malerei. Da sich der Vater nie um eine Einbürgerung des Sohnes gekümmert hatte, erhielt Klee 1916 einen Einberufungsbescheid zur bayrischen Armee, konnte seine künstlerische Arbeit, abgesehen von einem kurzen Fronteinsatz, aber außerhalb der Kaserne weitgehend unbehelligt fortsetzen. 1920 berief ihn Walter Gropius an das Staatliche Bauhaus nach Weimar, wo Paul Klee im Januar 1921 seine Lehrtätigkeit als Werkstattmeister für Buchbinderei aufnahm.
Kein Geld für Auslandsurlaub
Auch die nächsten beiden Jahre waren von Rastlosigkeit geprägt. Im März 1921 beteiligte sich Klee an einer Gruppenausstellung in New York, bei der seine Werke erstmals der breiten Öffentlichkeit in den USA vorgestellt wurden. Am Bauhaus übernahm er 1922 die Werkstätte für Gold-, Silber- und Kupferschmiede und dazu ab der zweiten Jahreshälfte die Werkstätte für Glasmalerei. Im Februar 1923 veranstaltete die Nationalgalerie im Berliner Kronprinzenpalais eine Einzelausstellung mit 270 Werken des Künstlers. In Weimar stand im Sommer eine weitere Ausstellung über „Fünf Jahre Bauhaus“ auf dem Programm. Kein Wunder also, wenn Paul Klee nach diesem ständigen Hin und Her urlaubsreif war. Doch warum fiel seine Wahl ausgerechnet auf Baltrum, zumal seine bis dahin bevorzugten Reiseziele eher fernere Gefilde wie Afrika, Paris oder Italien waren? Als Erstes hat sich mit dieser Frage der Kunsthistoriker Sadao Wada beschäftigt. Dessen Recherchen über die Reise von Paul Klee auf die ostfriesische Nordseeinsel mündeten in einem Aufsatz, der 1975 zunächst auf Japanisch erschienen.
Der Esenser Autor und Maler Gerd Rokahr hat den Text übersetzen lassen und in einem eigenen Beitrag für ein Jahrbuch verarbeitet. Demnach wäre Paul Klee wohl tatsächlich lieber ins Ausland gereist. Nur ging das aus finanziellen Gründen nicht. In Deutschland herrschte eine galoppierende Inflation. Zum Glück hatte sich Klee ein paar Schweizer Franken zurückgelegt, die er zu günstigen Konditionen gegen Deutsche Mark eintauschen konnte. Der Vorschlag, den Urlaub auf Baltrum zu verbringen, stammte ursprünglich von Otto Ralfs, einem Freund und Förderer des Künstlers. Mitte September machte sich Paul Klee gemeinsam mit seiner Frau Lily und seinem damals 16-jährigen Sohn Felix aus Weimar über Hannover und Bremen auf den Weg nach Ostfriesland.
Spaziergänge am Strand
Die Anreise schilderte Felix Klee später wie folgt: „Abenteuerlich war die Fahrt von Bremen bis Dornum und von da mit einer Kutsche bis Neßmersiel. Dort warteten wir bis zum hohen Wasserstand, dann mit dem Boot teils Segel, teils Motor übers Wattenmeer zum Ziel der Reise. Ich selbst war zum ersten Mal am Meer. Alles: Der Wind, die herrliche Luft, die großen Möwen und das kleine Dorf auf der Insel waren für mich höchst ereignisvoll. Durch die Inflation der Mark waren wir im Herbst die einzigen Kurgäste.“ Seine Mutter war genauso fasziniert. Auch Lily Klee hat über die Überfahrt von Neßmersiel geschrieben: „Hier nahm uns ein grosses primitives Boot auf, was hinüberfuhr zur Insel Baltrum, die wir wie ein Traumland in der Femeliegen sahen. Nach etwa ein bis anderthalbstündiger Fahrt durch das Wattenmeer landeten wir auf der Insel Baltrum. Und es begann eine völlig neue Welt für uns.“
Im Heimatmuseum „Altes Zollhaus“ auf Baltrum läuft bis zum Saisonende eine Sonderausstellung zu Paul Klee. Zu sehen sind 34 Faksimiles von Werken des Künstlers sowie drei Aquarelle seines Sohnes Felix. Die Öffnungszeiten sind von Montag bis Samstag zwischen 10 Uhr und 12 Uhr sowie von Montag bis Donnerstag zwischen 15 und 17 Uhr. Nähere Informationen online unter www.baltrum.org.Ausstellung auf Baltrum
1923 standen auf Baltrum etwa 50 vorwiegend kleinere Häuschen. In einem davon kam die Familie Klee als Privatquartier unter. Zum Baden war es schon zu kalt. Dafür unternahmen Vater und Sohn fast täglich ausgedehnte Strandspaziergänge. „Wir versuchten auch zu fischen, vom Steg aus mit einem Wurmbündel“, schrieb Felix Klee weiter in seinen Erinnerungen. „Krebse und Knurrhahn fraßen sich fest. Doch gaben wir unseren Fang stets wieder dem Wasser zurück. Wie schön waren die Wanderungen hinter und vor den Dünen: rückwärts vom Winde geschützt viel Gemüse- und Blumenanlagen. Und davor stets der starke Wind. Der aufgewirbelte Sand stach nadelähnlich die Beine. Wir beobachteten mit Vergnügen die Strandläufer, die leicht und elegant das Ufer nach Nahrung absuchten. Auch die Sandaale waren von großem Interesse mit ihren kleinen Schlupflöchern. Es gab auch Hasen, die mit dem Wind um die Wette liefen. Aufregend war auch das Strandgut, das wir vereinzelt fanden.“
Immer wieder Dünen
Interessant ist die stilistische Bandbreite der Werke, die auf Baltrum entstanden sind. Sie weisen sowohl surrealistische als auch expressionistische Einflüsse auf. Meistens hat Paul Klee seine Natureindrücke mit abstrakten geometrischen Formen kombiniert. Die „Dünenlandschaft“ wird zum Beispiel fast komplett überdeckt von bunten Quadraten, wie sie in Kunstwerken des Künstlers stetig wiederkehren. Klee hat während seines Nordseeaufenthaltes aber ebenso Bilder gemalt, auf denen die Motive oder zumindest deren Konturen noch gut erkennbar sind; besonders deutlich bei zwei Aquarellen, die genau deshalb eigentlich eher untypisch für ihn sind. Eines zeigt eine befestigte Düne und das andere einen Blick aus dem Fenster seiner Baltrumer Privatpension auf ein gegenüberliegendes Haus. Laut den Recherchen von Wada verbrachte die Familie Klee drei Wochen auf Baltrum. Auf seiner Rückreise nach Weimar legte der Maler einen Zwischenstopp in Hannover ein, wo er die Kollegen Kurt Schwitters und El Lissitzky traf. Der Kreativurlaub auf der Nordseeinsel hat nach Ansicht vieler Experten das weitere Schaffen von Paul Klee durchaus nachhaltig beeinflusst. So weist der Kunsthistoriker Werner Haftmann darauf hin, dass auch in späteren Bildern häufiger Dünenlandschaften auftauchen.
Sadao Wada glaubte, die faserige Struktur des Strandhafers in Klees Zeichnungen aus den früher 1930er Jahren wiederzuerkennen. Dem Sohn Felix, selber Maler, Kunsthistoriker und nicht zuletzt Nachlassverwalter des Lebenswerks seines Vaters, blieb die Reise nach Ostfriesland ebenfalls lange im Gedächtnis. „Auf einen Aufenthalt auf der Nordseeinsel Baltrum möchte ich hier noch besonders hinweisen“, erzählte er rückblickend. „Dieses raue und unwirkliche Eiland“ habe seinen Vater „zu einer Anzahl wundervoller Aquarelle“ angeregt. „Einige davon stellen exakt vermittelte Natureindrücke dar, andere variieren diese zu fast abstrakten Formen“, so Felix Klee. „Alle dort entstandenen Werke aber geben in prägnanter Weise Eindruck jener Insel mit ihren starken Winden, der unbarmherzigen Brandung, den kleinen Häusern und ihrer wunderbaren Flora in den windgeschützten Dünentälern wieder.“ Obwohl seine Werke in den 1930er Jahren in renommierten Ausstellungshäusern in London, Bern und New York zu sehen waren, galt Paul Klee in Deutschland bei den Nationalsozialisten als „entarteter Künstler“. Er zog daraufhin im Dezember 1933 in die Schweiz und starb 1940 in einer Klinik in Locarno. Sein Nachlass wurde wegen Erbstreitigkeiten aufgeteilt, mit der Eröffnung des Zentrums Paul Klee in Bern 2005 aber wieder zusammengeführt. Hier befinden sich nun etwa 4000 der knapp 10.000 Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle, die der Künstler insgesamt geschaffen hat.