Detektivarbeit eines Heimatforschers Nachschlagewerk über die Silberschätze Ostfrieslands
Schon sein ganzes Leben lang befasst sich der Restaurator Horst Arians aus Remels mit ostfriesischem Silber. Jetzt hat der 79-Jährige dazu ein Buch herausgebracht. Er ist der einzige, der das konnte.
Remels - Bereits aus dem Schaufenster des Antiquitätenhandels von Horst Arians in Remels grüßen Zuckerzangen, Filigranschmuck und eine kleine Windmühle aus Silber. Ostfriesisches Silber ist die Leidenschaft des Tischlermeisters und Restaurators. 2011 brachte er ein erstes Werk dazu heraus. „Riechdosen und Kleinsilber aus Ostfriesland“, erschienen bei der Ostfriesischen Landschaft, ist nicht nur ein umfassendes Standardwerk, das 2018 erneut aufgelegt wurde, sondern auch ein wunderbarer Erzählband über die Geschichte des Handwerks der Gold- und Silberschmiede auf der ostfriesischen Halbinsel, versehen mit vielen Beispielbildern.
Das Steckenpferd von Arians ist das Sammeln von Riechdosen. Seine erste kaufte er sich 1962 nach seiner Tischlerlehre von seinem ersten Gesellenlohn. Arians sammelte mehr als 400 dieser Riechdosen aus ostfriesischen Werkstätten. 2012 übernahm das Ostfriesische Landesmuseum in Emden einen Großteil seiner Sammlung.
Der Werdegang des Horst Arians
Im August 2023 ist Horst Arians 79 Jahre alt geworden. Er kam 1944 in Aurich zur Welt. Als er fünf Jahre alt war, zog seine Familie nach Remels. Bis heute lebt der Restaurator und Tischlermeister in seinem Elternhaus an der Ostertorstraße. Das Tischlerhandwerk erlernte Horst Arians in Lemwerder bei Bremen. Mit 22 Jahren legte er seine Meisterprüfung ab. Zunächst arbeitete er in der elterlichen Werkstatt, ab 1971 führte er einen eigenständigen Betrieb. Mit seiner Ehefrau Annegret hat er zwei Kinder. Arians’ Werkstatt wird seit 2007 in dritter Generation geführt von seinem Neffen Reiner Peppelenbosch. Zeit seines Berufslebens restaurierte Horst Arians Antiquitäten und handelte damit. Sein Oberthema ist die ostfriesische Wohnkultur. Herangeführt wurde er, weil sein Vater, Tischlermeister Hermann Arians, ab 1956 für den Leeraner Antiquitätenhändler Johann van Lengen, historische Möbel restaurierte. Dieser nahm den damals Zwölfjährigen oft mit. Bei ihm und seiner Frau Jette lernte Horst Arians zahlreiche Antiquitäten kennen der ostfriesischen Wohnkultur kennen. Von 1979 bis 2006 betrieb Horst Arians gemeinsam mit der Goldschmiedemeisterin Traute Zahn in Leer „Gold & Antik“ am Rathaus in Leer. Er arbeitete er 15 Jahre lang als vereidigter Sachverständiger, legte 1992 die Prüfung zum Restaurator im Handwerk ab und war außerdem Dozent an der Restauratorenschule Schloss Raesfeld/Westfalen.
So richteten sich einst wohlhabende Marschbauern ein
Im September hat Horst Arians ein zweites Buch zum Thema herausgegeben. „Die Gold- und Silberschmiede Ostfrieslands“, auch dieses verlegt von der Ostfriesischen Landschaft. Von dem neuen Werk sind etliche Exemplare originalverpackt aufgestapelt in einer Ecke des Ausstellungsraumes seines Antiquitätenhandels. Der Raum ist möbliert mit Schränken, Vitrinen und anderen Einrichtungsgegenständen von der Standuhr bis zum Taubenschlag. Alles hier atmet Historie und Regionalität. Mit dem, was Arians ausstellt und verkauft, richteten die wohlhabenden Marschbauern vergangener Jahrhunderte ihre Stuben ein. Im Kontor hängt sein Meisterbrief als Tischler, ausgestellt 1967. Horst Arians und seine Frau Annegret leben, wohnen und arbeiten inmitten der Antiquitäten. Das tun sie seit 1974 in der ehemaligen Tischlerei seines Vaters Hermann, die 1949 gegründet wurde. Das Gebäude an der Remelser Ostertorstraße wurde 1956 gebaut.
Das neue Buch „Die Gold- und Silberschmiede Ostfrieslands“ ist im Gegensatz zum Erstling kein Erzählbuch. Es ist ein Nachschlagewerk mit hohem, wissenschaftlichen Anspruch. Darin sind alle 771 Gold- und Silberschmiede erfasst, die in Ostfriesland vom Mittelalter bis etwa um 1900 tätig waren. Nicht nur ihre Lebensdaten und ihre familiären Beziehungen untereinander sind dort aufgeführt, sondern auch alle ihre Meisterzeichen dokumentiert, also die Stempel, mit denen sie Stücke als aus ihrer Werkstatt stammend kennzeichneten.
In Kirchen, Museen, Archiven und Bauernhäusern unterwegs
Das Buch ist für Recherchen nutzbar, wenn man einen silbernen Gegenstand in der Hand hält, der vermutlich aus Ostfriesland stammt, dass man mit Hilfe der Systematik, die Arians verwendet, ermitteln kann, in welcher Zeit und von welchem Meister es angefertigt wurde. Jedes einzelne Meisterzeichen hat der Restaurator fotografiert und anschließend von Hand gezeichnet. 2000 Zeichnungen hat er davon angefertigt. Monate hat er an dem Buch gesessen, war dafür in vielen Archiven, in Kirchen, Werkstätten und Bauernhäusern unterwegs, hat von dem profitiert, was ihm Sammler an Kleinsilber ins Haus brachten.
Doch tatsächlich hat Horst Arians dieses Werk nur veröffentlichen können, weil er sich schon sein ganzes Leben fachkundig der Thematik widmet. „Der Anspruch des Buches ist hoch. Es strebt nach Vollständigkeit und dauerhafter Gültigkeit der Informationen, die es versammelt. So ein Buch wird zumeist nur einmal geschrieben. Und dafür braucht es einen großen Kenner und Spezialisten, wie es Hort Arians für das ostfriesische Gold- und Silberschmiedewesen ist“, loben Landschaftsdirektor Matthias Stenger und Nina Hennig, die Leiterin der Museumsfachstelle in ihrem Vorwort.
Bücher genießen Anerkennung als Standardwerke
Horst Arians selbst drückt es schlichter aus: „Es wird niemand mehr so ein Buch machen“, stellt er mit feinem Lächeln fest. „Ich bin als Kind damit angefangen, und das ist eigentlich mein Leben.“ Nun hat der Restaurator das, was ihn sein ganzes Erdendasein lang erfreut und begeistert hat, zu seinem Vermächtnis gemacht für Fachwelt und Region. „Die Gold- und Silberschmiede Ostfrieslands“ ist ein Nachschlagewerk für Händler, Sammler und Museen.
Ist schon der erste Band über das ostfriesische Kleinsilber ein Standardwerk, auf das verwiesen wird, sobald irgendwo Silber aus Ostfriesland auftaucht, werde das mit dem aktuell erschienenen Kompendium „sicher noch schlimmer“ schätzt Arians.
Friesische Freiheit Grund für Silberreichtum
Doch warum gab es denn gerade in Ostfriesland so zahlreiche Gold- und Silberschmiede? Das, erläutert Horst Arians in seiner kundigen, bedächtigen Art, das liege an der Friesischen Freiheit. Dieses Recht, das den Friesen im frühen Mittelalter von Karl dem Großen verliehen worden sein soll, sicherte ihnen zu, dass sie keinem adligen Grundherrn dienstbar sein mussten. Es gab kein flächendeckendes Feudalsystem.
Anderswo war Goldschmuck per Dekret dem Adel vorbehalten. Doch die Friesen waren keiner Herrschaft untertan. Und wer es sich damals leisten konnte, der schmückte sich mit Edelmetall. Das zeigen etwa die Trachten, die Unico Manninga 1561 im Hausbuch von Lütetesburg abbildete. Mieder und Hauben der Frauen waren mit Plättchen aus Gold und Silber besetzt. Beides zierte auch die Kleidung der Männer. Das war nicht nur Dekoration, sondern zugleich eine Altersvorsorge, erläutert Horst Arians.
In Emden wurde die erste Zunft gegründet
Edelmetall spielte bei dem Seefahrervolk der Friesen, das mit vielen Völkern Handel trieb, von jeher eine bedeutende Rolle. Schon im 15. Jahrhundert sind die Namen von 21 Gold- und Silberschmieden in Ostfriesland bekannt, davon allein 17 in Emden, zwei in Jever und zwei in Norden. So schildert es Arians in seinem Buch „Riechdosen und Kleinsilber aus Ostfriesland“. In Emden gründeten die Goldschmiede im 15. Jahrhundert auch ihre erste Vereinigung, deren Verordnungen sie in einer Gilderolle festhielten.
Goldschmiede mussten ehelich geboren sein, wie jeder, der einer Zunft angehören wollte. Die meisten, weiß Arians, gehörten einer wohlhabenden Schicht an. Oft engagierten sie sich im Rat der Stadt und in der Armenfürsorge. Im Durchschnitt war ein Goldschmied bei seiner Meisterprüfung gut 25 Jahre alt. „Der jüngste Schmied war 20, der älteste 33 Jahre alt, als er den Titel erwarb“, haben Arians‘ Recherchen ergeben. Geheiratet haben die Handwerksmeister übrigens erst später: Im Schnitt waren sie bei ihrer Hochzeit gut 33 Jahre alt, hat Arians herausgefunden.
Im Ammerland reißt Silberreichtum abrupt ab
Sein Wohnort Remels liege nur etwa 14 Kilometer entfernt von Westerstede, der Kreisstadt des Ammerlands, schildert Arians. Das Gebiet dieses Landkreises deckt sich vollständig mit dem des mittelalterliches Ammergaus, der die östliche Grenze zum Siedlungsgebiet der Friesen bildete. „Dort gab es schon keinen Goldschmuck mehr“, weiß der Kenner. Erst anfangs des 19. Jahrhunderts wurde dort der erste selbstständige Goldschmied registriert.
Die Friesische Freiheit, die diesen Unterschied begründete, wirkt sich aus bis heute. Arians erzählt, wie er bei einem Bauern auf Besuch war, der hinter Emden wohnte. Dort fielen ihm zwei massive, antike Silberleuchter auf. Jeder von ihnen war 640 Gramm schwer. Doch das, erklärte ihm sein Gastgeber, seien nur die beiden Leuchter, die auf ihn gekommen wären. Weitere zehn Kerzenleuchter seien an andere Mitglieder seiner Familie vererbt worden. Sieben Kilogramm Silber, verarbeitet, um es auf die Tafel zu stellen.
Viel Gebrauchssilber eingeschmolzen für Kriegssold
Das älteste Stück, das in Arians‘ Nachschlagewerk gezeigt wird, ist ein Krug aus dem Mineral Serpentin mit silbernen Beschlägen und Deckel. Er wurde 1589 angefertigt von dem Emder Meister Franz A. Müntinck und ist heute im Grünen Gewölbe in Dresden ausgestellt. Obwohl das 16. Jahrhundert die Blütezeit der Gold- und Silberschmiede war, Müntinck 29 Jahre lang in Emden eine große Werkstatt betrieb und viele Gesellen für sich arbeiten ließ, ist der Krug das einzige seiner Stücke, das die Zeiten überdauert hat. Das wiederum, erläutert Arians, lag am Dreißigjährigen Krieg. Viel silbernes Gerät sei damals eingeschmolzen worden, um Münzen daraus zu schlagen, von denen Soldaten bezahlt wurden.
Den Krug von Müntinck hat Arians selbstverständlich im Original gesehen. Bei einem Kolloquium der Silberforscher, deren Gemeinschaft er angehört, sei man im Grünen Gewölbe exklusiv zu Gast gewesen. Den Emder Krug mit eigenen Augen zu erblicken, sei für ihn „der Höhepunkt des Jahres“ gewesen, sagt er, und seine Augen leuchten dabei. 25 Krüge waren es, die dort ausgestellt wurden. Zwar blieb das Trinkgefäß aus Emden zwischen 25 anderen Krügen an seinem Platz und wurde ihm nicht in die Hand gegeben. Doch Horst Arians bekam alle Unterlagen dazu nach Hause geschickt, um sie für sein neues Buch zu verwenden.
„Wir nahmen auseinander, was andere nicht mal fotografieren durften“
Der Restaurator berichtet auch von anderen schönen Erlebnissen, die er während seiner Forschungsarbeit hatte. Im Groninger Museum etwa hatte der gerade in Ruhestand gegangene Kurator Dr. Egge Knol ihm einen ganzen Tisch voll mit ostfriesischem Silber gestellt, das er nach Herzenslust fotografieren durfte. Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gibt es zwei Archivräume. In jedem der beiden befinden sich eine große Menge Teile aus Silber, erzählt Arians. Weil sie nicht nur ihrer Herkunftsregion sortiert waren, er aber über Silber aus Ostfriesland forschte, durfte er sie alle durchgehen, Becher, Teller, Salzstreuer, Besteck und Leuchter, um „die Ostfriesen herauszusuchen“.
Eine Sternstunde sei auch der Besuch der Goldschmiedekapelle in Augsburg gewesen, in der es sieben große Kelche aus Silber gab, dazu Abendmahlsschalen und Leuchter. All dieses Kirchensilber habe er in die Hand nehmen dürfen, um es zu untersuchen. In Kassel sei das älteste Teil eine Weinkanne aus dem Jahr 1420 von der Burg Eltz gewesen, vier Kilo schwer. „Wir durften das auseinandernehmen, was andere nicht einmal fotografieren dürfen. Können Sie sich das vorstellen?“ wendet sich Arians mit leuchtenden Augen seinem Gegenüber zu.
Ein Drittel der Erstauflage ist schon verkauft
Um für sein Werk zu forschen, brachte er allein drei Monate im Staatsarchiv in Aurich zu, war im Landeskirchenamt in Hannover, wo man ihm alles zeigte, was an Meistermarken für ostfriesisches Silber archiviert war. Das betrifft allerdings nur die lutherischen Kirchen. Im Kirchenamt der reformierten Kirche sind die Altargefäße nicht registriert. Horst Arians suchte deshalb mehr als 100 Kirchen auf, um die Meisterzeichen ihrer Silbergefäße vor Ort zu fotografieren.
Der 700 Seiten starke Band „Die Gold- und Silberschmiede Ostfrieslands“ ist in einer Auflage von 350 Stück erschienen und für 59 Euro zu kaufen. Etwa 130 Exemplare, sagt Arians, habe er seit dem Erscheinen am 1. September bereits veräußert. Das Interesse ist groß, bedeutende Händler wenden sich an ihn.
Einer sei extra aus Lübeck angereist, um das Werk signiert zu bekommen. Auch nach Norwegen, in die Schweiz und nach Italien hat Arians bereits Bücher versandt. Allein 25 Stück gingen in die Niederlande. Die bringen er und seine Frau über die Grenze, um sie bei der Post in Nieuweschans aufzugeben, weil auf diese Weise die Portokosten niedriger sind.
Auch der Elefantenkopf am Gehstock ist aus Silber
Gewidmet ist Arians‘ neuestes Werk dem 2018 verstorbenen Denkmalpfleger des Landkreises Aurich Jan Smidt. Der Restaurator legt Wert darauf, dass dies erwähnt wird. Der Greetsieler Smidt, ebenfalls ein großer Kenner und Sammler ostfriesischen Silbers, sei ihm „immer Ansprechpartner und eine große Hilfe“ gewesen. Smidt, der alle kannte und bestens vernetzt war, sei stets gerne nach Remels gekommen, um sich mit ihm auszutauschen.
Mit diesen Worten erhebt sich Horst Arians, um zu einer der Vitrinen mit ostfriesischen Silber zu gehen, die ihn umgeben. Der Knauf des Handstocks, auf den er sich dabei stützt, hat die Form eines Elefantenkopfes, das Lieblingstier der Eheleute Arians. Auch er ist aus Silber gearbeitet.
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