Vom Entenschnabel ins All Die Nordsee wird zum Weltraumhafen
Deutschland soll einen Zugang zum All bekommen. Im kommenden Frühjahr soll es losgehen.
Berlin - Ab ins All: Im April nächsten Jahres soll zum ersten Mal eine kleine Trägerrakete von einem Schiff in der Nordsee aus abheben. Geplant ist zunächst eine Testphase. Wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Mittwoch mitteilte, sollen künftig europäische Microlauncher, das sind Mini-Raketen, von der schwimmenden Plattform aus starten und Satelliten in den Weltraum transportieren.
Der Startpunkt soll im sogenannten Entenschnabel sein, dem entlegensten Winkel der Ausschließlichen Deutschen Wirtschaftszone, etwa 350 Kilometer vor der Küste. Dort hat Deutschland noch bestimmte Hoheitsrechte. Hinter den Plänen steht ein Milliardenmarkt.
Die Mission
Die Initiative für das Vorhaben startete der BDI bei seinem ersten Weltraumkongress vor vier Jahren. Damals hieß es, die zunehmende Kommerzialisierung der Raumfahrt sei eine große Chance auch für das Industrieland Deutschland. Der BDI schlug vor, dass künftig von Deutschland aus Kleinsatelliten starten sollen, von einem privaten Space-Port aus – es entstand der Begriff eines deutschen Weltraumbahnhofs. Konkret soll es nun aber einen Weltraumhafen geben. „In immer mehr Branchen gilt: Wer im All nicht vorne mit dabei ist, wird auf der Erde kein Technologieführer sein“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.
In einer am Mittwoch vorgelegten Studie der Strategieberatung Roland Berger und des BDI heißt es, Deutschland sei in einer „gefährlichen Abhängigkeit“ bei der Weltrauminfrastruktur und dem Zugang zum Weltraum - daher soll nun ein eigener Space-Port kommen. Der Bund will Entwicklung und Bau der Infrastruktur bis 2025 mit zwei Millionen Euro fördern.
Der Weltraumhafen
Deutschland bekommt keinen Weltraumbahnhof wie Cape Canaveral in den USA oder Baikonur in Kasachstan. Geplant ist eine schwimmende Startplattform in der Nordsee, ein Spezialschiff mit Startrampe. Im April 2024 solle im Rahmen einer Demo-Mission erstmals eine Rakete der niederländischen Firma T-Minus von der mobilen Startplattform der German-Offshore Spaceport Alliance in der Nordsee abheben, sagte Russwurm. Diese Allianz (GOSA) ist ein privates Konsortium, dazu gehört etwa das Raumfahrtunternehmen OHB aus Bremen. Heimathafen des Schiffs soll nach BDI-Angaben Bremerhaven sein. Die Allianz GOSA nannte die geplante erste Demo-Mission den nächsten entscheidenden Schritt hin zur Umsetzung eines deutschen Weltraumhafens in der Nordsee. Es sollten zunächst mit suborbitalen Raketenstarts praktische technische Erfahrungen und Know-how gesammelt werden, so Sabine von der Recke, Mitglied der Geschäftsführung. Suborbital bedeutet, dass die Erdumlaufbahn nicht erreicht wird.
„Diese Erfahrungswerte werden uns dabei helfen, in Zukunft auch komplexere orbitale Starts umzusetzen.“ Die Demo-Mission solle etwa zwei Wochen laufen. In dieser Zeit sei der Start von bis zu vier Raketen mit einer maximalen Länge von sieben Metern und einer Flughöhe von bis zu 50 Kilometern geplant. Künftig sollten von der schwimmenden, mobilen Plattform in der Nordsee Trägerraketen mit Nutzlasten von bis zu einer Tonne in erdnahe Orbits gebracht werden. Mit der Plattform solle dem steigenden Bedarf auf dem Markt kommerzieller Klein-Satelliten begegnet werden.
„In diesem Jahrzehnt werden viermal mehr Satelliten gestartet als im vorherigen. Dies führt zu Engpässen bei den landbasierten Space-Ports.“ Deshalb sei der Betrieb einer weiteren europäischen Startinfrastruktur so entscheidend. Jeder Start solle von einem Kontrollschiff und einem neuen multifunktionalen Mission Control Center in Bremen aus begleitet werden.
Die Erwartungen
Satellitendaten werden immer wichtiger. Nach der neuen Studie wächst der Markt für weltraumgestützte Anwendungen bis 2040 jährlich um 7,4 Prozent auf 1,25 Billionen Euro. Die Daten würden für viele Wirtschaftsbereiche unerlässlich sein, etwa für autonomes Fahren oder die Digitalisierung industrieller Produktionen. Weltraumanwendungen ermöglichten zum Beispiel präzisere Daten und Analysen, welche die Effizienz in Produktion und Logistik steigerten.
Russwurm sprach von einer „Riesen-Chance“. Deutschland brauche einen souveränen Zugang ins Weltall – auch als Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit. Sie forderte von der Bundesregierung aber zugleich größere Ambitionen. Diese hatte vor kurzem eine neue Raumfahrtstrategie vorgelegt, die aber in der Branche auf Kritik stieß. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie monierte die Kürzung des nationalen Raumfahrtbudgets. Der Abstand zu den USA oder China drohe, immer größer zu werden. Laut Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, sind dafür mehr Mittel für die Europäische Weltraumorganisation Esa geplant.