Gewissheit nach Havarie Fünf Seeleute der „Verity“ kehren nicht mehr nach Hause zurück

Daniel Noglik
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Von Daniel Noglik
| 25.10.2023 15:39 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Dr. Robby Renner, Leiter des Havariekommandos, sieht keine Chance mehr, Überlebende zu finden. Foto: Schuldt/DPA
Dr. Robby Renner, Leiter des Havariekommandos, sieht keine Chance mehr, Überlebende zu finden. Foto: Schuldt/DPA
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Alle Versuche, nach der Kollision zweier Frachter noch Überlebende zu finden, sind eingestellt. Das Havariekommando konzentriert sich nun auf das Wrack – und gibt neue Infos über den Diesel-Austritt.

Langeoog/Helgoland - Das Havariekommando in Cuxhaven und die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) gehen im Fall des Untergangs der „Verity“ zwischen Helgoland und Langeoog endgültig von fünf toten Seeleuten aus. Das machten Havariekommando-Leiter Dr. Robby Renner und Kapitän Michael Ippich aus der DGzRS-Geschäftsführung am Mittwochnachmittag in einer Pressekonferenz deutlich. „Wir haben es geschafft, zwei Leben zu retten“, sagte Renner mit belegter Stimme. „Das ist die positive Quintessenz.“ Doch fünf Menschen hätten auf See ihr Leben gelassen. „Unsere Gedanken sind bei deren Familien.“

Ippich sagte, dass die Suche nach den bis zuletzt vermisst gebliebenen vier Seeleuten endgültig eingestellt worden sei. Nur „bei optimalsten Bedingungen“ hätten sie höchstens 20 Stunden in der zwölf Grad Celsius kalten Nordsee überleben können. Diese Zeit ist längst abgelaufen. Renner: „Wer bei solchen Temperaturen über einen solchen Zeitraum in einem Wrack eingeschlossen ist, der hat keine Chance.“ Zwei Versuche von Tauchern, an die gesunkene „Verity“ zu kommen, waren am Dienstag an den schlechten Bedingungen gescheitert. Der Einsatz eines Tauchroboters am Mittwochmorgen diente Renner zufolge allein der Schadensbegutachtung.

25 Schiffe, sechs Hubschrauber, zwei Flugzeuge

Insgesamt hatten sich Ippich zufolge 25 Schiffe, sechs Hubschrauber und zwei Flugzeuge an der Suche nach den vermissten Seeleuten beteiligt. Deren Besatzungen und allen weiteren Beteiligten sprachen er und Renner am Mittwochnachmittag ihren Dank aus. Dabei hob Ippich auch noch einmal das Engagement der Crew des auf der Meyer-Werft gebauten Kreuzfahrtschiffes „Iona“ hervor. „Sie hat uns mit medizinischer Unterstützung geholfen“, so Ippich. Renner ergänzte, dass die 22-köpfige Besatzung der mit der „Verity“ kollidierten „Polesie“ physisch wohlauf sei, allerdings durch Fachkräfte psychisch betreut werde.

Die „Verity“

Foto: Dietmar Hasenpusch Photo-Productions/DPA
Foto: Dietmar Hasenpusch Photo-Productions/DPA

Schiffstyp: Frachtschiff

Flagge: Großbritannien

Länge: 91 Meter

Breite: 14 Meter

Kapazität: 3360 Tonnen

Zum Zeitpunkt des Unglücks war die Crew der „Verity“ auf dem Weg von Bremen nach Immingham in Großbritannien. Das 2001 gebaute Schiff fuhr für die britische Reederei Faversham Ships. Als sie am Montag gegen 19 Uhr in Bremen aufgebrochen war, hatte die „Verity“ Stahl-Coils geladen – zu Rollen geformte Bleche. Beim Zusammenstoß außerdem an Bord: 130 Kubikmeter Schiffsdiesel.

Renner konkretisierte am Mittwoch auch die von der in 30 Metern Tiefe liegenden „Verity“ ausgehende Gewässerverunreinigung. Zum Unfallzeitpunkt hatte das Schiff 127 Kubikmeter – also 127.000 Liter – Marinediesel an Bord, sagte der Leiter des Havariekommandos und korrigierte damit die am Dienstag genannte Zahl von 1300 Kubikmetern. Der Schiffsdiesel trete in „tischtennisballgroßen Blasen“ aus, so Renner. Messungen zufolge seien bislang rund 90 Liter ausgetreten. Den Erkenntnissen einer Flugzeug-Besatzung zufolge verteile sich der Kraftstoff um das Wrack herum.

Keine Gefahr für Ostfriesland und Helgoland

Ein Drei-Tage-Strömungsmodell habe berechnet, dass sich der ausgetretene Schiffsdiesel gegen den Uhrzeigersinn herum um die „Verity“ verteilen werde, erklärte Renner. Demnach bestehe derzeit keine Gefahr für die ostfriesische Küste und die Insel Helgoland. Aufgenommen werden könne der Diesel allerdings auch nicht – weil er sich nicht gut vom Wasser trennen lasse. „Diesel verflüchtigt sich schnell“, sagte Renner. Die raue See komme den Einsatzkräften daher zu Gute: Je mehr das Wasser in Bewegung sei, desto besser verdunste der Treibstoff – und desto weniger davon bleibe im Meer zurück.

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Das Wrack selbst liegt laut Renner stabil auf dem Meeresgrund, „es ist nicht so, dass dort tausend Teile liegen“. Es gebe zwar eine Schadstelle, aber die „Verity“ befinde sich weitgehend an einem Stück auf dem Grund der Nordsee. Gemeinsam mit dem Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Weser-Jade-Nordsee arbeite man derzeit an einer Bergungsverfügung. „Das heißt, die Behörden weisen den Eigner, an, für Abhilfe zu sorgen.“ Die Verfügung habe das Ziel, den Austritt von Treibstoff zu stoppen oder das Schiff zu bergen. Dafür seien dann aber weder das Havariekommando noch andere Behörden zuständig: „Es gibt Bergungsfirmen, die darauf spezialisiert sind“, so Renner. Einen Zeithorizont nannte der Leiter des Havariekommandos nicht.

Überlebende auf dem Weg der Besserung

Um das Wrack herum wurde in einem Zwei-Seemeilen-Radius ein Sperrgebiet errichtet. Das WSA prüfe nun, wie weiter vorgegangen werden soll. Als mögliche weitere Verfahrensweisen nannte Renner beispielsweise das Setzen einer Hindernistonne als Warnung für den Schiffsverkehr. Sollten Aufbauten des gesunkenen Schiffes zu nah an die Wasseroberfläche und damit an die Fahrrinne in der Deutschen Bucht hinaufreichen, müssten womöglich bereits kurzfristigere Bergungsmaßnahmen umgesetzt werden. Wozu es am Ende kommen werde, sei zum aktuellen Zeitpunkt aber noch unklar.

Die „Polesie“

Foto: Dietmar Hasenpusch Photo-Productions/DPA
Foto: Dietmar Hasenpusch Photo-Productions/DPA

Schiffstyp: Schüttgutfrachter

Flagge: Bahamas

Länge: 190 Meter

Breite: 28 Meter

Kapazität: 38.000 Tonnen

Als die „Polesie“ mit der „Verity“ kollidierte, war sie mit einer 22-köpfigen Besatzung auf dem Weg von Hamburg ins spanische A Coruña. Mit ihren 190 Metern Länge ist sie mehr als zweimal so groß wie die „Verity“. Der Schüttgutfrachter wurde 2009 gebaut und fährt für die polnische Reederei Polsteam mit Sitz in Szczecin. Am Dienstagnachmittag hatte ein Reederei-Sprecher der polnischen Nachrichtenagentur PAP mitgeteilt, die Crew sei „in Sicherheit“ und habe einen Überlebenden der „Verity“ aufgenommen.

Unseren Informationen zufolge befinden sich die beiden lebend aus den Fluten geretteten Seeleute auf dem Weg der Besserung. Sie sollen kurzfristig aus dem Krankenhaus entlassen werden. Was die verstorbenen Personen angeht, ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und des gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr. Gegen wen sich das Ermittlungsverfahren richtet, sagte eine Sprecherin der Redaktion auf Nachfrage nicht. Der Leichnam des einzigen gefundenen toten Seemannes wird in der Rechtsmedizin obduziert, um Erkenntnisse über die Todesursache zu gewinnen.

Ein Video zeigt den Moment der Kollision